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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band.

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chem sich der Conflict der Beiden bereits befindet, erscheint doch eben jener Ge¬
danke, den Friedrich niederkämpft, als ein störender, fremdartiger, fast widriger.
Hier hat der Dichter die Gefahr, allzuviel zu motiviren, nicht vermieden.

Die Wechselrede der Beiden auf dem Hof zeigt ihren Conflict auf seiner
Höhe. Noch glaubt der Kaiser sich des Freundes sicher -- "soll denn die Liebe
täglich wiederholen und schwören, daß sie liebt?" Fast ängstlich klammert er sich
an ihn an. "Doch tutt' ichs nicht, daß sich ein fremder Geist einschlciche
zwischen Friedrich und Pietro." Allein das Mißtrauen des Letzteren kann
durch die Reden des Kaisers, die sein innerstes Denken wie seine letzten Ent¬
würfe enthüllen, nur befestigt und aufs Aeußerste gesteigert werden. Will auch
der Kaiser die Beleidigung, deren unvermutheter Zeuge Pietro gewesen, mit
einem schnellbereiten Witze Pariren, so sieht sich doch der strenge Nechtsmann,
der Italiener, von dem verwogenen Schwurverächter, der seiner Plane auf Ver¬
einigung Siciliens mit dem Reich jetzt offen geständig ist, durch eine immer
tiefere Kluft getrennt; er erklärt, ihm nicht mehr folgen zu können, und sein
Entschluß ist gesaßt, dem Kaiser mit Hilfe des Adels gewaltsamen Widerstand
zu leisten. Aber in demselben Moment sieht sich der Mann der strengen
Nechtslinie bereits überholt. Während er den Widerstand gesetzlich zu organi-
siren gedachte, ist dieser in Form einer von den Priestern angezettelten Ver¬
schwörung bereits ausgebrochen. Zugleich vermißt er den Brief, den er an
Innocenz geschrieben; er ahnt, daß er verrathen. Sein vermessener Versuch,
selbst etwas zu sein, sich zwischen den beiden Mächtigen zu erheben, ist nur
dahin ausgeschlagen, daß er von Beiden in die Mitte genommen und zermalmt
ist. "Wenn sich die Riesen streiten, wenn zwei Berge sich mit dem Felsenhals
entgegenrücken, was kümmert sie das Thal, das sie zermalmen?" Noch kommt
ihm der Gedanke, ob er zurück könne und Friedrich Alles entdecken soll. Aber
er fühlt, das Vertrauen ist unwiederbringlich dahin; er muß sich sagen, daß
die Versöhnung mit Friedrich Verrath am eignen Vaterland wäre. "Ich muß
den Weg verfolgen, den-ich einschlug, und spann'ich meinen eignen Untergang.
Der Würfel rollt, das Schicksal mag entscheiden!"

Von nun an eilt der tragische Conflict raschen Schritts seinen letzten Sta¬
dien zu. Die Lebenskraft Beider ist gebrochen, die Pietro's durch das Gefühl
seiner Schuld, die doch in Vergleich mit dem, was der Schein ihm aufwälzt,
fast Schuldlosigkeit ist, diejenige Friedrichs durch den Wechsel des Gefühls von
Schmerz und Wuth, von dem treusten Freund verrathen zu sein. Der Brief
des Papstes an Pietro und, noch gravirender, das Programm, das dieser für
die Erhebung des Adels in Apulien entworfen hatte, fällt dem Kaiser in die
Hände, und es bedarf kaum noch des letzten gräulichen Verdachts, der von seines
Arztes Malespini Vergiftungsversuch am Kaiser auf Pick" fällt, um die Kata¬
strophe herbeizuführen. Die Schuld, die dieser in sich fühlt, verschließt ihm


Grenzboten III. 1863. 48

chem sich der Conflict der Beiden bereits befindet, erscheint doch eben jener Ge¬
danke, den Friedrich niederkämpft, als ein störender, fremdartiger, fast widriger.
Hier hat der Dichter die Gefahr, allzuviel zu motiviren, nicht vermieden.

Die Wechselrede der Beiden auf dem Hof zeigt ihren Conflict auf seiner
Höhe. Noch glaubt der Kaiser sich des Freundes sicher — „soll denn die Liebe
täglich wiederholen und schwören, daß sie liebt?" Fast ängstlich klammert er sich
an ihn an. „Doch tutt' ichs nicht, daß sich ein fremder Geist einschlciche
zwischen Friedrich und Pietro." Allein das Mißtrauen des Letzteren kann
durch die Reden des Kaisers, die sein innerstes Denken wie seine letzten Ent¬
würfe enthüllen, nur befestigt und aufs Aeußerste gesteigert werden. Will auch
der Kaiser die Beleidigung, deren unvermutheter Zeuge Pietro gewesen, mit
einem schnellbereiten Witze Pariren, so sieht sich doch der strenge Nechtsmann,
der Italiener, von dem verwogenen Schwurverächter, der seiner Plane auf Ver¬
einigung Siciliens mit dem Reich jetzt offen geständig ist, durch eine immer
tiefere Kluft getrennt; er erklärt, ihm nicht mehr folgen zu können, und sein
Entschluß ist gesaßt, dem Kaiser mit Hilfe des Adels gewaltsamen Widerstand
zu leisten. Aber in demselben Moment sieht sich der Mann der strengen
Nechtslinie bereits überholt. Während er den Widerstand gesetzlich zu organi-
siren gedachte, ist dieser in Form einer von den Priestern angezettelten Ver¬
schwörung bereits ausgebrochen. Zugleich vermißt er den Brief, den er an
Innocenz geschrieben; er ahnt, daß er verrathen. Sein vermessener Versuch,
selbst etwas zu sein, sich zwischen den beiden Mächtigen zu erheben, ist nur
dahin ausgeschlagen, daß er von Beiden in die Mitte genommen und zermalmt
ist. „Wenn sich die Riesen streiten, wenn zwei Berge sich mit dem Felsenhals
entgegenrücken, was kümmert sie das Thal, das sie zermalmen?" Noch kommt
ihm der Gedanke, ob er zurück könne und Friedrich Alles entdecken soll. Aber
er fühlt, das Vertrauen ist unwiederbringlich dahin; er muß sich sagen, daß
die Versöhnung mit Friedrich Verrath am eignen Vaterland wäre. „Ich muß
den Weg verfolgen, den-ich einschlug, und spann'ich meinen eignen Untergang.
Der Würfel rollt, das Schicksal mag entscheiden!"

Von nun an eilt der tragische Conflict raschen Schritts seinen letzten Sta¬
dien zu. Die Lebenskraft Beider ist gebrochen, die Pietro's durch das Gefühl
seiner Schuld, die doch in Vergleich mit dem, was der Schein ihm aufwälzt,
fast Schuldlosigkeit ist, diejenige Friedrichs durch den Wechsel des Gefühls von
Schmerz und Wuth, von dem treusten Freund verrathen zu sein. Der Brief
des Papstes an Pietro und, noch gravirender, das Programm, das dieser für
die Erhebung des Adels in Apulien entworfen hatte, fällt dem Kaiser in die
Hände, und es bedarf kaum noch des letzten gräulichen Verdachts, der von seines
Arztes Malespini Vergiftungsversuch am Kaiser auf Pick» fällt, um die Kata¬
strophe herbeizuführen. Die Schuld, die dieser in sich fühlt, verschließt ihm


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[0387] chem sich der Conflict der Beiden bereits befindet, erscheint doch eben jener Ge¬ danke, den Friedrich niederkämpft, als ein störender, fremdartiger, fast widriger. Hier hat der Dichter die Gefahr, allzuviel zu motiviren, nicht vermieden. Die Wechselrede der Beiden auf dem Hof zeigt ihren Conflict auf seiner Höhe. Noch glaubt der Kaiser sich des Freundes sicher — „soll denn die Liebe täglich wiederholen und schwören, daß sie liebt?" Fast ängstlich klammert er sich an ihn an. „Doch tutt' ichs nicht, daß sich ein fremder Geist einschlciche zwischen Friedrich und Pietro." Allein das Mißtrauen des Letzteren kann durch die Reden des Kaisers, die sein innerstes Denken wie seine letzten Ent¬ würfe enthüllen, nur befestigt und aufs Aeußerste gesteigert werden. Will auch der Kaiser die Beleidigung, deren unvermutheter Zeuge Pietro gewesen, mit einem schnellbereiten Witze Pariren, so sieht sich doch der strenge Nechtsmann, der Italiener, von dem verwogenen Schwurverächter, der seiner Plane auf Ver¬ einigung Siciliens mit dem Reich jetzt offen geständig ist, durch eine immer tiefere Kluft getrennt; er erklärt, ihm nicht mehr folgen zu können, und sein Entschluß ist gesaßt, dem Kaiser mit Hilfe des Adels gewaltsamen Widerstand zu leisten. Aber in demselben Moment sieht sich der Mann der strengen Nechtslinie bereits überholt. Während er den Widerstand gesetzlich zu organi- siren gedachte, ist dieser in Form einer von den Priestern angezettelten Ver¬ schwörung bereits ausgebrochen. Zugleich vermißt er den Brief, den er an Innocenz geschrieben; er ahnt, daß er verrathen. Sein vermessener Versuch, selbst etwas zu sein, sich zwischen den beiden Mächtigen zu erheben, ist nur dahin ausgeschlagen, daß er von Beiden in die Mitte genommen und zermalmt ist. „Wenn sich die Riesen streiten, wenn zwei Berge sich mit dem Felsenhals entgegenrücken, was kümmert sie das Thal, das sie zermalmen?" Noch kommt ihm der Gedanke, ob er zurück könne und Friedrich Alles entdecken soll. Aber er fühlt, das Vertrauen ist unwiederbringlich dahin; er muß sich sagen, daß die Versöhnung mit Friedrich Verrath am eignen Vaterland wäre. „Ich muß den Weg verfolgen, den-ich einschlug, und spann'ich meinen eignen Untergang. Der Würfel rollt, das Schicksal mag entscheiden!" Von nun an eilt der tragische Conflict raschen Schritts seinen letzten Sta¬ dien zu. Die Lebenskraft Beider ist gebrochen, die Pietro's durch das Gefühl seiner Schuld, die doch in Vergleich mit dem, was der Schein ihm aufwälzt, fast Schuldlosigkeit ist, diejenige Friedrichs durch den Wechsel des Gefühls von Schmerz und Wuth, von dem treusten Freund verrathen zu sein. Der Brief des Papstes an Pietro und, noch gravirender, das Programm, das dieser für die Erhebung des Adels in Apulien entworfen hatte, fällt dem Kaiser in die Hände, und es bedarf kaum noch des letzten gräulichen Verdachts, der von seines Arztes Malespini Vergiftungsversuch am Kaiser auf Pick» fällt, um die Kata¬ strophe herbeizuführen. Die Schuld, die dieser in sich fühlt, verschließt ihm Grenzboten III. 1863. 48

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/387>, abgerufen am 01.09.2024.