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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band.

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kerthum -- dies war der schönsten Träume meines Lebens einer!" Eine solche
schrankenlose Subjectivität wird mit reformatorischer Lust wirken, wo sie auf
keinen Widerstand stößt, überall willige Werkzeuge findet; Bildung und Sitte,
Wissenschaft und Gesetzgebung werden diesen wohlthätigen Einfluß spüren.
Allein sie wird Richtung und Ziel verlieren, sobald sie auf kräftigen Widerstand
stößt, den sie nicht geahnt hat. Ein solcher Mann wird schon Andern gar nicht
dieselbe Freiheit zugestehen wie sich selbst. Der Ketzer freie Meinung ist ihm
zügellose Willkür. Tritt ihm ein selbständiger Wille gegenüber, so wird er in
demselben Maße, in welchem dieser sich auf das Recht beruft, ungerecht leiden¬
schaftlich werden; er vergißt sich, wird grausam, läßt sich in seiner Verblen¬
dung zu Thaten hinreißen, die er dann bitter bereut, und wird mit Anderen
sich selbst zerstören.

Eines so gearteten Kaisers Freund und Berather nun ist Pietro. Er
war es, der ihm die neue Zeit bilden half; er besitzt sein unbedingtes Ver¬
trauen, ans Herz ist er ihm gewachsen. Friedrich möchte sich kaum denken ohne
ihn. "Was jeder von uns Beiden thut, es ist als wie gehandelt aus des An¬
dern Seele." Pietro bildet zugleich die schöne Ergänzung zu Friedrichs Wesen,
indem er ein Mann des Rechts ist. Als solcher steht er in den schwierigsten
Momenten für seinen Herrn ein, er ist der Diplomat, der den großen Kampf
mit der Kirche zu führen hat. Aber genau nur so viel will er für Friedrich,
als diesem rechtmäßig zukommt. Gleich soll das Recht abgewogen werden
zwischen Papst und Kaiser; soweit als möglich soll dieser in seinen Zugeständ¬
nissen gehen, wenn nur dem eignen Rechte nichts vergeben wird. Hierin liegt
an sich noch nicht ein Moment des Conflicts; denn gerade seine Rechtsansprüche
ist Friedrich am wenigsten geneigt zu überspannen. Aber bedenklich ist schon
der eifersüchtige Stolz, mit dem Pietro seinem Herrn dient; er will sein ein¬
ziger Freund und Vertrauter sein, er fühlt sich gekränkt, wenn einem An¬
deren eine wichtige Mission anvertraut wird, der er sich allein gewachsen glaubt.
Hierin spricht sich bereits ein empfindliches Selbstgefühl aus, das nur eines
Anlasses bedarf, um mit dem Selbstgefühl des Kaisers in Conflict zu gerathen.
Wie nun dieser Riß entsteht, allmälig sich erweitert und unheilbar wird, ist
vom Dichter ganz vortrefflich motivirt. Der erste Anlaß ist eine Gefahr, die
durch Pietros Zugeständnisse an die Kirche dem Kaiser droht, und die der Kanz¬
ler nun als selbstverschuldet auch selbst abwenden möchte. Mönche nämlich,
denen Pietro freieren Wandel verschafft hat, wollen eine päpstliche Aufforderung
zur Absetzung des Kaisers nach Deutschland überbringen, werden aber unter¬
wegs abgefangen. Pietro würde erröthen, dem Kaiser zu sagen: ich habe
geirrt; erst wenn die Gefahr abgewandt, soll dieser sie erfahren. Er
will zeigen, wer den Donnerkeil von Friedrichs Haupt abgewandt. Aber er
hat sich verrechnet, die Botschaft gelangt doch nach Deutschland, und nun ge-


kerthum — dies war der schönsten Träume meines Lebens einer!" Eine solche
schrankenlose Subjectivität wird mit reformatorischer Lust wirken, wo sie auf
keinen Widerstand stößt, überall willige Werkzeuge findet; Bildung und Sitte,
Wissenschaft und Gesetzgebung werden diesen wohlthätigen Einfluß spüren.
Allein sie wird Richtung und Ziel verlieren, sobald sie auf kräftigen Widerstand
stößt, den sie nicht geahnt hat. Ein solcher Mann wird schon Andern gar nicht
dieselbe Freiheit zugestehen wie sich selbst. Der Ketzer freie Meinung ist ihm
zügellose Willkür. Tritt ihm ein selbständiger Wille gegenüber, so wird er in
demselben Maße, in welchem dieser sich auf das Recht beruft, ungerecht leiden¬
schaftlich werden; er vergißt sich, wird grausam, läßt sich in seiner Verblen¬
dung zu Thaten hinreißen, die er dann bitter bereut, und wird mit Anderen
sich selbst zerstören.

Eines so gearteten Kaisers Freund und Berather nun ist Pietro. Er
war es, der ihm die neue Zeit bilden half; er besitzt sein unbedingtes Ver¬
trauen, ans Herz ist er ihm gewachsen. Friedrich möchte sich kaum denken ohne
ihn. „Was jeder von uns Beiden thut, es ist als wie gehandelt aus des An¬
dern Seele." Pietro bildet zugleich die schöne Ergänzung zu Friedrichs Wesen,
indem er ein Mann des Rechts ist. Als solcher steht er in den schwierigsten
Momenten für seinen Herrn ein, er ist der Diplomat, der den großen Kampf
mit der Kirche zu führen hat. Aber genau nur so viel will er für Friedrich,
als diesem rechtmäßig zukommt. Gleich soll das Recht abgewogen werden
zwischen Papst und Kaiser; soweit als möglich soll dieser in seinen Zugeständ¬
nissen gehen, wenn nur dem eignen Rechte nichts vergeben wird. Hierin liegt
an sich noch nicht ein Moment des Conflicts; denn gerade seine Rechtsansprüche
ist Friedrich am wenigsten geneigt zu überspannen. Aber bedenklich ist schon
der eifersüchtige Stolz, mit dem Pietro seinem Herrn dient; er will sein ein¬
ziger Freund und Vertrauter sein, er fühlt sich gekränkt, wenn einem An¬
deren eine wichtige Mission anvertraut wird, der er sich allein gewachsen glaubt.
Hierin spricht sich bereits ein empfindliches Selbstgefühl aus, das nur eines
Anlasses bedarf, um mit dem Selbstgefühl des Kaisers in Conflict zu gerathen.
Wie nun dieser Riß entsteht, allmälig sich erweitert und unheilbar wird, ist
vom Dichter ganz vortrefflich motivirt. Der erste Anlaß ist eine Gefahr, die
durch Pietros Zugeständnisse an die Kirche dem Kaiser droht, und die der Kanz¬
ler nun als selbstverschuldet auch selbst abwenden möchte. Mönche nämlich,
denen Pietro freieren Wandel verschafft hat, wollen eine päpstliche Aufforderung
zur Absetzung des Kaisers nach Deutschland überbringen, werden aber unter¬
wegs abgefangen. Pietro würde erröthen, dem Kaiser zu sagen: ich habe
geirrt; erst wenn die Gefahr abgewandt, soll dieser sie erfahren. Er
will zeigen, wer den Donnerkeil von Friedrichs Haupt abgewandt. Aber er
hat sich verrechnet, die Botschaft gelangt doch nach Deutschland, und nun ge-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/385>, abgerufen am 22.12.2024.