Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band.kurze Zeit von dem Jubel der Piushymne übertönt wurde, und aussprach, Die Nutzanwendung ist einfach. Die dramatische Kunst wird -- wenn Das Gebiet des Patriotischen wird demnach für den Dichter gewisse kurze Zeit von dem Jubel der Piushymne übertönt wurde, und aussprach, Die Nutzanwendung ist einfach. Die dramatische Kunst wird — wenn Das Gebiet des Patriotischen wird demnach für den Dichter gewisse <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0375" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/115767"/> <p xml:id="ID_1048" prev="#ID_1047"> kurze Zeit von dem Jubel der Piushymne übertönt wurde, und aussprach,<lb/> was seitdem das Glaubensbekenntniß Aller geworden ist. Man weiß, weiche<lb/> Wirkung diese Dramen hervorbrachten, wie sie das Feuer heimlich schürten,<lb/> das bald darauf in hellen Flammen emporschlug. Aber wenige Jahre später,<lb/> und ihre Entstehung wäre undenkbar. Schon in dem Zeitraum nach 1848<lb/> hätten sie die Wirkung nicht mehr haben können, die sie vorher ausübten: es<lb/> hatte die prosaische Arbeit begonnen. Die Poesie hatte das Ihrige gethan,<lb/> jetzt war sie überflüssig. Entständen heute diese Tragödien, so wären sie vol¬<lb/> lends wirkungslos. Was einmal in das praktische Leben der Nation über¬<lb/> gegangen, was Gegenstand der Debatte, des öffentlichen Kampfs geworden ist,<lb/> hat aufgehört Gegenstand der Poesie zu sein. Ein Drama, dessen Tendenz<lb/> die Einheit Italiens wäre, ist heute ein Anachronismus. Höchstens könnten<lb/> Anspielungen auf Rom und Venedig ein dankbares Auditorium finden.</p><lb/> <p xml:id="ID_1049"> Die Nutzanwendung ist einfach. Die dramatische Kunst wird — wenn<lb/> doch einmal nicht von rein künstlerischer, sondern zugleich von stofflicher Wir¬<lb/> kung die Rede ist — dann am tiefsten wirken und zünden, wenn sie dasjenige<lb/> zum Ausdruck bringt, was gleichsam noch gebunden im Schoße des Volksgeistes<lb/> ruht, was sich noch nicht ans Tageslicht emporgerungen hat, Ahnungen, In¬<lb/> stinkte, die eben erst der erstaunten Menge offenbar werden, Bestrebungen, die.<lb/> sei es durch äußeren Druck zurückgehalten oder der mangelnden Reife entbeh¬<lb/> rend, noch im Stadium vorbereitender Gährung begriffen sind, Ideen, die dem<lb/> älteren Geschlecht fremd sind, und für die eben erst das heranwachsende Alter<lb/> beginnt zu schlagen. Darum zündete Schillers Don Karlos, nicht weil Alles<lb/> reif und gewonnen war für Aufklärung und Menschenrechte, sondern weil ein<lb/> altes Geschlecht sich zusammenfand mit einem jungen, das neue Ideale in die<lb/> alte Welt warf. Gedanken, die in der vollen Beleuchtung des Mittags stehen,<lb/> die als gemeine Münze auf dem Markt des Lebens, cursiren, für die kommt<lb/> der Dichter zu spät. Sein Amt ist das eines Sehers. Mit prophetischem In¬<lb/> stinkte aus dem Drang der Gegenwart das herauszufühlen, dem die Zukunft<lb/> gehört, und in künstlerische Form zu gießen, wird ihm die Begeisterung der<lb/> Mitwelt, wird ihm den Kranz ewiger Jugend bei der Nachwelt sichern.</p><lb/> <p xml:id="ID_1050" next="#ID_1051"> Das Gebiet des Patriotischen wird demnach für den Dichter gewisse<lb/> Grenzen haben, die er nicht ungestraft überschreiten kann. Es ist sehr mißlich,<lb/> wenn der Dichter mit seinem poetischen Patriotismus glaubt dem noch zu Hilfe<lb/> kommen zu müssen, was eben am lautesten geredet und verhandelt wird. Was<lb/> in der Kammerdebatte schön und zweckmäßig ist, ist es nicht ebenso auf der<lb/> Bühne; was sich für Turm- und Schützenfeste schickt, ziemt nicht auch dem tra¬<lb/> gischen Helden. Je sonnenklarer und unbestrittener, je lebhafter disputirt durch<lb/> berufene Organe eine Sache ist, um so mehr wird sich der Dichter hüten<lb/> müssen, sie wieder zurückzuschrauben in die Sphäre der Phantasie. Er erzielt</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0375]
kurze Zeit von dem Jubel der Piushymne übertönt wurde, und aussprach,
was seitdem das Glaubensbekenntniß Aller geworden ist. Man weiß, weiche
Wirkung diese Dramen hervorbrachten, wie sie das Feuer heimlich schürten,
das bald darauf in hellen Flammen emporschlug. Aber wenige Jahre später,
und ihre Entstehung wäre undenkbar. Schon in dem Zeitraum nach 1848
hätten sie die Wirkung nicht mehr haben können, die sie vorher ausübten: es
hatte die prosaische Arbeit begonnen. Die Poesie hatte das Ihrige gethan,
jetzt war sie überflüssig. Entständen heute diese Tragödien, so wären sie vol¬
lends wirkungslos. Was einmal in das praktische Leben der Nation über¬
gegangen, was Gegenstand der Debatte, des öffentlichen Kampfs geworden ist,
hat aufgehört Gegenstand der Poesie zu sein. Ein Drama, dessen Tendenz
die Einheit Italiens wäre, ist heute ein Anachronismus. Höchstens könnten
Anspielungen auf Rom und Venedig ein dankbares Auditorium finden.
Die Nutzanwendung ist einfach. Die dramatische Kunst wird — wenn
doch einmal nicht von rein künstlerischer, sondern zugleich von stofflicher Wir¬
kung die Rede ist — dann am tiefsten wirken und zünden, wenn sie dasjenige
zum Ausdruck bringt, was gleichsam noch gebunden im Schoße des Volksgeistes
ruht, was sich noch nicht ans Tageslicht emporgerungen hat, Ahnungen, In¬
stinkte, die eben erst der erstaunten Menge offenbar werden, Bestrebungen, die.
sei es durch äußeren Druck zurückgehalten oder der mangelnden Reife entbeh¬
rend, noch im Stadium vorbereitender Gährung begriffen sind, Ideen, die dem
älteren Geschlecht fremd sind, und für die eben erst das heranwachsende Alter
beginnt zu schlagen. Darum zündete Schillers Don Karlos, nicht weil Alles
reif und gewonnen war für Aufklärung und Menschenrechte, sondern weil ein
altes Geschlecht sich zusammenfand mit einem jungen, das neue Ideale in die
alte Welt warf. Gedanken, die in der vollen Beleuchtung des Mittags stehen,
die als gemeine Münze auf dem Markt des Lebens, cursiren, für die kommt
der Dichter zu spät. Sein Amt ist das eines Sehers. Mit prophetischem In¬
stinkte aus dem Drang der Gegenwart das herauszufühlen, dem die Zukunft
gehört, und in künstlerische Form zu gießen, wird ihm die Begeisterung der
Mitwelt, wird ihm den Kranz ewiger Jugend bei der Nachwelt sichern.
Das Gebiet des Patriotischen wird demnach für den Dichter gewisse
Grenzen haben, die er nicht ungestraft überschreiten kann. Es ist sehr mißlich,
wenn der Dichter mit seinem poetischen Patriotismus glaubt dem noch zu Hilfe
kommen zu müssen, was eben am lautesten geredet und verhandelt wird. Was
in der Kammerdebatte schön und zweckmäßig ist, ist es nicht ebenso auf der
Bühne; was sich für Turm- und Schützenfeste schickt, ziemt nicht auch dem tra¬
gischen Helden. Je sonnenklarer und unbestrittener, je lebhafter disputirt durch
berufene Organe eine Sache ist, um so mehr wird sich der Dichter hüten
müssen, sie wieder zurückzuschrauben in die Sphäre der Phantasie. Er erzielt
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