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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band.

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Hatte man aber diese Absicht und diese Kraft nicht, wie dachte man sich
mit Preußen zu stellen, im Fall dieser Staat sich nickt auf der Stelle demü¬
thigte und im Falle das Vcrfassungswerk nicht auf der Stelle gelang. Welchen
Sturm hat man dort aufgeregt! Mühsam halten die gemeinsamen Interessen
und die landsmannschaftliche Stimmung gegen das deutsch-östreichische Volk
seit Jahren den Eifersüchteleien und Intriguen der Cabinete das Gegengewicht.
Wie weit jetzt die preußische Negierung durch das Verfahren Oestreichs belei¬
digt ist, das wissen wir nicht, die Empfindungen dieser Kreise sind uns unbe¬
rechenbar. Aber das preußische Volk fühlt diese Beleidigung tief, und wir
fürchten, es wird ihrer lange gedenken. Was soll nun werden, wenn in
Preußen eine volkstümliche Negierung ihre Pflichten gegen Deutschland be¬
greift und darnach handelt? War es nöthig, den Tag von Bregenz durch den
Tag von Gastein zu überbieten?

Wenn die rücksichtslose Behandlung Preußens ein Fehler war, so lag
sicher ein noch größeres Wagniß gerade in dem Vorgehen, welches für den
Augenblick den größten Erfolg bereitete, in der dramatischen Action und dem
Einsetzen der kaiserlichen Persönlichkeit, zu welchem die östreichischen Politiker
gerathen haben. Wenn nun das Beginnen trotz diesem Aufwand von Reprä¬
sentation und Effecten scheitert, ja wenn es sich nur verkümmert und umge¬
formt ins Leben führen laßt, so ist die Person des Monarchen einer argen
Beeinträchtigung seiner Würde ausgesetzt worden. Daß die Staatsmänner,
welche den Kaiser umgeben, von ihrem jungen Herrn ein solches gewagtes
Hervortreten auf so unsicherer Grundlage nicht abwehrte", das mag ihnen der¬
einst eine unfreundliche Erinnerung werden.

Und sieht man näher zu, so wird der Mangel an Kenntniß des deutschen
Terrains noch auffallender. Man will durch die deutschen Fürsten und Re¬
gierungen ein Verfassungswerk für Deutschland zu Stande bringen. Nun wir
haben allen Respect vor unsern deutschen Fürsten. Sie sitzen zum großen Theil
fest auf ihrem Grunde, sie sind durch Geschichte und zum Theil durch Pietät
der Bewohner eng mit ihrem Volke verbunden. Aber seit dem Jahre 1848
haben die Fürsten thatsächlich nicht die entscheidende Stimme bei einer Neuge¬
staltung Deutschlands. Wenn es möglich wäre, alle Fürsten unter einem Kaiser-
Hut zu sammeln, so wäre immer noch zu besorgen, daß das deutsche Volk sein
Veto gegen ihre Beschlüsse einlegte. Und dieses Veto würde sich zuletzt als
das entscheidende erweisen. Daß es in Oestreich sehr schwer wird, diese Ver¬
hältnisse zu würdigen, ist natürlich. Der deutsche Liberalismus ist von dem
östreichischen in der Hauptsache so verschieden, daß der liberale-deutsche Oest¬
reicher und der nationale Deutsche zur Zeit wenig mit einander gemein haben.
Und der Unterschied liegt darin, daß der Oestreicher in einer weit andern Stel¬
lung zu seiner Regierung lebt, wie diese auch beschaffen sei, als der liberale


Hatte man aber diese Absicht und diese Kraft nicht, wie dachte man sich
mit Preußen zu stellen, im Fall dieser Staat sich nickt auf der Stelle demü¬
thigte und im Falle das Vcrfassungswerk nicht auf der Stelle gelang. Welchen
Sturm hat man dort aufgeregt! Mühsam halten die gemeinsamen Interessen
und die landsmannschaftliche Stimmung gegen das deutsch-östreichische Volk
seit Jahren den Eifersüchteleien und Intriguen der Cabinete das Gegengewicht.
Wie weit jetzt die preußische Negierung durch das Verfahren Oestreichs belei¬
digt ist, das wissen wir nicht, die Empfindungen dieser Kreise sind uns unbe¬
rechenbar. Aber das preußische Volk fühlt diese Beleidigung tief, und wir
fürchten, es wird ihrer lange gedenken. Was soll nun werden, wenn in
Preußen eine volkstümliche Negierung ihre Pflichten gegen Deutschland be¬
greift und darnach handelt? War es nöthig, den Tag von Bregenz durch den
Tag von Gastein zu überbieten?

Wenn die rücksichtslose Behandlung Preußens ein Fehler war, so lag
sicher ein noch größeres Wagniß gerade in dem Vorgehen, welches für den
Augenblick den größten Erfolg bereitete, in der dramatischen Action und dem
Einsetzen der kaiserlichen Persönlichkeit, zu welchem die östreichischen Politiker
gerathen haben. Wenn nun das Beginnen trotz diesem Aufwand von Reprä¬
sentation und Effecten scheitert, ja wenn es sich nur verkümmert und umge¬
formt ins Leben führen laßt, so ist die Person des Monarchen einer argen
Beeinträchtigung seiner Würde ausgesetzt worden. Daß die Staatsmänner,
welche den Kaiser umgeben, von ihrem jungen Herrn ein solches gewagtes
Hervortreten auf so unsicherer Grundlage nicht abwehrte», das mag ihnen der¬
einst eine unfreundliche Erinnerung werden.

Und sieht man näher zu, so wird der Mangel an Kenntniß des deutschen
Terrains noch auffallender. Man will durch die deutschen Fürsten und Re¬
gierungen ein Verfassungswerk für Deutschland zu Stande bringen. Nun wir
haben allen Respect vor unsern deutschen Fürsten. Sie sitzen zum großen Theil
fest auf ihrem Grunde, sie sind durch Geschichte und zum Theil durch Pietät
der Bewohner eng mit ihrem Volke verbunden. Aber seit dem Jahre 1848
haben die Fürsten thatsächlich nicht die entscheidende Stimme bei einer Neuge¬
staltung Deutschlands. Wenn es möglich wäre, alle Fürsten unter einem Kaiser-
Hut zu sammeln, so wäre immer noch zu besorgen, daß das deutsche Volk sein
Veto gegen ihre Beschlüsse einlegte. Und dieses Veto würde sich zuletzt als
das entscheidende erweisen. Daß es in Oestreich sehr schwer wird, diese Ver¬
hältnisse zu würdigen, ist natürlich. Der deutsche Liberalismus ist von dem
östreichischen in der Hauptsache so verschieden, daß der liberale-deutsche Oest¬
reicher und der nationale Deutsche zur Zeit wenig mit einander gemein haben.
Und der Unterschied liegt darin, daß der Oestreicher in einer weit andern Stel¬
lung zu seiner Regierung lebt, wie diese auch beschaffen sei, als der liberale


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/364>, abgerufen am 01.09.2024.