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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band.

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Sonderbarerweise aber verlangte man von dem Offizier nicht einmal dieses
Minimum von Kenntnissen und wenn -- wie es sich oft ereignete -- Leute be¬
fördert wurden, bevor sie die Cadetcnschule absolvirt hatten, so kümmerte sich
Niemand darum, ob sie das Fehlende sich anzueignen sich bemühten oder nicht.

Bei den deutsch-östreichischen Regimentern hatte man übrigens immer eine
große Auswahl, und wenn dem Inhaber und dem Oberst überhaupt etwas
daran gelegen war, ihr Regiment mit tüchtigen Offizieren zu versehen, so hatte
dieses keine Schwierigkeiten. Schlimmer stand es aber bei den ungarischen und
italienischen Regimentern. Letztere hatten überhaupt wenige Cadeten, und auch
diese wenigen waren nur selten zur Erlangung einer höheren Stellung befähigt,
da ihnen die Kenntniß der deutschen Sprache mangelte.

Die Obersten und Inhaber waren oft in der größten Verlegenheit, wenn
eine offene Stelle besetzt werden sollte, und diese Regimenter waren daher das
Eldorado der überzähligen Cadeten bei den deutschen Regimentern; denn von
diesen niußte zuletzt der Ersatz geleistet werden.

Das Offiziercorps der Infanterie war also verschiedenartig genug zusam¬
mengesetzt. Die höchste Intelligenz stand neben der- größten Unwissenheit und
geistigen Beschränktheit. Ebenso verschieden waren die Geburth- und Vermö¬
gensverhältnisse. Das' Offiziercorps der Infanterie war weder, wie es bei der
Kavallerie der Fall war, fast ausnahmslos der Geburth- und Geldaristokratie
angehörend, noch war es wie bei der Artillerie durchgängig von bürgerlicher
Herkunft und aus unbemittelten Männern bestehend.

Von den vier Offizieren einer Compagnie war vielleicht der eine ein Fürst,
der andere ein Findelkind, welches in einem Erziehungshause seine Ausbildung
erhalten hatte und wegen seiner Verwendung im Schreibfache befördert worden
war, der dritte der Sohn eines Bankiers und der vierte, welcher sich nach einer
langen mühevollen Dienstzeit vom Unteroffizier zu seiner jetzigen Stellung em¬
porgearbeitet hatte, mußte von seiner geringen Gage seine Gattin und eine
zahlreiche Familie erhalten.

Diese Vermischung aller Stände hätte gute Früchte tragen können, da das
Avancement, vom Fähnrich oder Lieutenant aufwärts nach dem Range zu gehen
hatte. Allein da jedes Regiment seine eigene Rangliste hatte, so bot die Ver¬
setzung von einem Regiment zum andern ein vortreffliches Mittel, die Aristo¬
kraten und andere Protectionskinder schnell in die Höhe zu bringen/ So man¬
cher tüchtige Hauptmann, welcher bereits seit Jahren auf eine erledigte Stelle
harrte, sah plötzlich seine Hoffnungen zu Wasser werden, indem ein junger
Hauptmann eines andern Regiments, welcher ein Jahr zuvor als Lieutenant
bei seiner Compagnie gestanden, jetzt als Major in das Regiment zurückkehrte.
Wiederholte sich ein solcher Fall, so wurde obendrein gewöhnlich der auf
diese Weise Zurückgesetzte von dem Offiziercorps genöthigt, seinen Abschied zu


Sonderbarerweise aber verlangte man von dem Offizier nicht einmal dieses
Minimum von Kenntnissen und wenn — wie es sich oft ereignete — Leute be¬
fördert wurden, bevor sie die Cadetcnschule absolvirt hatten, so kümmerte sich
Niemand darum, ob sie das Fehlende sich anzueignen sich bemühten oder nicht.

Bei den deutsch-östreichischen Regimentern hatte man übrigens immer eine
große Auswahl, und wenn dem Inhaber und dem Oberst überhaupt etwas
daran gelegen war, ihr Regiment mit tüchtigen Offizieren zu versehen, so hatte
dieses keine Schwierigkeiten. Schlimmer stand es aber bei den ungarischen und
italienischen Regimentern. Letztere hatten überhaupt wenige Cadeten, und auch
diese wenigen waren nur selten zur Erlangung einer höheren Stellung befähigt,
da ihnen die Kenntniß der deutschen Sprache mangelte.

Die Obersten und Inhaber waren oft in der größten Verlegenheit, wenn
eine offene Stelle besetzt werden sollte, und diese Regimenter waren daher das
Eldorado der überzähligen Cadeten bei den deutschen Regimentern; denn von
diesen niußte zuletzt der Ersatz geleistet werden.

Das Offiziercorps der Infanterie war also verschiedenartig genug zusam¬
mengesetzt. Die höchste Intelligenz stand neben der- größten Unwissenheit und
geistigen Beschränktheit. Ebenso verschieden waren die Geburth- und Vermö¬
gensverhältnisse. Das' Offiziercorps der Infanterie war weder, wie es bei der
Kavallerie der Fall war, fast ausnahmslos der Geburth- und Geldaristokratie
angehörend, noch war es wie bei der Artillerie durchgängig von bürgerlicher
Herkunft und aus unbemittelten Männern bestehend.

Von den vier Offizieren einer Compagnie war vielleicht der eine ein Fürst,
der andere ein Findelkind, welches in einem Erziehungshause seine Ausbildung
erhalten hatte und wegen seiner Verwendung im Schreibfache befördert worden
war, der dritte der Sohn eines Bankiers und der vierte, welcher sich nach einer
langen mühevollen Dienstzeit vom Unteroffizier zu seiner jetzigen Stellung em¬
porgearbeitet hatte, mußte von seiner geringen Gage seine Gattin und eine
zahlreiche Familie erhalten.

Diese Vermischung aller Stände hätte gute Früchte tragen können, da das
Avancement, vom Fähnrich oder Lieutenant aufwärts nach dem Range zu gehen
hatte. Allein da jedes Regiment seine eigene Rangliste hatte, so bot die Ver¬
setzung von einem Regiment zum andern ein vortreffliches Mittel, die Aristo¬
kraten und andere Protectionskinder schnell in die Höhe zu bringen/ So man¬
cher tüchtige Hauptmann, welcher bereits seit Jahren auf eine erledigte Stelle
harrte, sah plötzlich seine Hoffnungen zu Wasser werden, indem ein junger
Hauptmann eines andern Regiments, welcher ein Jahr zuvor als Lieutenant
bei seiner Compagnie gestanden, jetzt als Major in das Regiment zurückkehrte.
Wiederholte sich ein solcher Fall, so wurde obendrein gewöhnlich der auf
diese Weise Zurückgesetzte von dem Offiziercorps genöthigt, seinen Abschied zu


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/351>, abgerufen am 28.07.2024.