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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band.

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und Ausfuhr und den Durchgang fremder Güter durch Verbote, Auflagen,
Sperrung der Schifffahrt u. tgi. erschweren, sondern die gegenseitige Commu-
nication ganz aufheben. Ganz falsch sei es, daß die inländische Industrie durch
Zölle und Mauthen geweckt werden könne, solche Auflagen werden einerseits
zu Prämien für die Schleichhändler, andrerseits wirken sie nachtheilig auf die
inländische Industrie selbst zurück. Durch allgemeine Handelsfreiheit allein
könne Europa den höchsten Grad der Civilisation erreichen, und diese Bahn
einzuschlagen müsse Deutschland seine schutzzöllnerischcn Nachbarstaaten nöthigen,
indem es Gleiches mit Gleichem vergelte und durch Aufhebung der achtund¬
dreißig Mauthlinien innerhalb seiner Grenzen ein einheitliches, auf dem Grund¬
satz der Retorsion beruhendes Zollsystem bilde, so lange bis auch die fremden
Staaten den Grundsatz der europäischen Handelsfreiheit anerkennen würden.

Und auch der politische Werth dieser Reform wird bereits in diesem Docu-
ment mit richtigem Instinkt angedeutet. Der deutsche Bund habe nicht blos die
Pflicht, durch bewaffnete Macht, sondern auch durch Bundesdouanen zu schützen.
Ein Staatenbund werde immer nur der Form, nicht dem Wesen nach bestehen,
,wenn derselbe nicht auf der Einheit der Interessen aller seiner Individuen be¬
ruhe. Daher müssen die Zoll- und Mauthlinien im Inneren Deutschlands,
welche die Bewohner der übrigen deutschen Staaten und fremde Nationen gleich
behandeln, als Bande betrachtet werden, welche weder Nationalwohlstand noch
Nationalgefühl aufkommen lassen.

Wahrlich jedes Wort in dieser Denkschrift muß wie ein Schlag ins Gesicht
von denjenigen empfunden werden, welche den künstlichen Schutz der Industrie
als den normalen Zustand vertheidigen wollen, der wohl gar seinen Fortschritt
nur in der Verschärfung des Schutzes haben könne, während er für List nur
eine, vorübergehende Maßregel war, ein Mittel, die deutsche Nation zur in¬
dustriellen Ebenbürtigkeit mit den andern Nationen zu erziehen, um diese durch
den Grundsatz der Retorsion zum Princip der allgemeinen Handelsfreiheit zu zwin¬
gen. Ob der Grundsatz der Retorsion an sich wissenschaftlich gerechtfertigt ist, kann
hier nicht die Frage sein. Offenbar hatte er für List selbst ursprünglich weit mehr
Politische als theoretische Bedeutung. Genug, daß der Erfolg ihn im vorlie¬
genden Fall im Allgemeinen gerechtfertigt hat, und die Concurrenzfähigkeit der
deutschen Industrie eine Thatsache ist. Was ihn außerdem rechtfertigt, ist die
in der That ganz exceptionelle Lage, in welcher die deutsche Industrie damals
überhaupt den Fremden' gegenüber sich befand. Es galt in Deutschland im Lauf
weniger Jahre das nachzuholen, was in den Nachbarstaaten ein historischer
Proceß von mehren Jahrhunderten gewesen war: die Umbildung des Feudal¬
staats in den Einheitsstaat mit einer geschlossenen nationalen Handelspolitik.
Daß die zur Zeit überall herrschende Politik, d. h. das Merkantilsystem, nicht
blos für Deutschland schädlich wirkte, sondern an sich falsch und verwerflich


und Ausfuhr und den Durchgang fremder Güter durch Verbote, Auflagen,
Sperrung der Schifffahrt u. tgi. erschweren, sondern die gegenseitige Commu-
nication ganz aufheben. Ganz falsch sei es, daß die inländische Industrie durch
Zölle und Mauthen geweckt werden könne, solche Auflagen werden einerseits
zu Prämien für die Schleichhändler, andrerseits wirken sie nachtheilig auf die
inländische Industrie selbst zurück. Durch allgemeine Handelsfreiheit allein
könne Europa den höchsten Grad der Civilisation erreichen, und diese Bahn
einzuschlagen müsse Deutschland seine schutzzöllnerischcn Nachbarstaaten nöthigen,
indem es Gleiches mit Gleichem vergelte und durch Aufhebung der achtund¬
dreißig Mauthlinien innerhalb seiner Grenzen ein einheitliches, auf dem Grund¬
satz der Retorsion beruhendes Zollsystem bilde, so lange bis auch die fremden
Staaten den Grundsatz der europäischen Handelsfreiheit anerkennen würden.

Und auch der politische Werth dieser Reform wird bereits in diesem Docu-
ment mit richtigem Instinkt angedeutet. Der deutsche Bund habe nicht blos die
Pflicht, durch bewaffnete Macht, sondern auch durch Bundesdouanen zu schützen.
Ein Staatenbund werde immer nur der Form, nicht dem Wesen nach bestehen,
,wenn derselbe nicht auf der Einheit der Interessen aller seiner Individuen be¬
ruhe. Daher müssen die Zoll- und Mauthlinien im Inneren Deutschlands,
welche die Bewohner der übrigen deutschen Staaten und fremde Nationen gleich
behandeln, als Bande betrachtet werden, welche weder Nationalwohlstand noch
Nationalgefühl aufkommen lassen.

Wahrlich jedes Wort in dieser Denkschrift muß wie ein Schlag ins Gesicht
von denjenigen empfunden werden, welche den künstlichen Schutz der Industrie
als den normalen Zustand vertheidigen wollen, der wohl gar seinen Fortschritt
nur in der Verschärfung des Schutzes haben könne, während er für List nur
eine, vorübergehende Maßregel war, ein Mittel, die deutsche Nation zur in¬
dustriellen Ebenbürtigkeit mit den andern Nationen zu erziehen, um diese durch
den Grundsatz der Retorsion zum Princip der allgemeinen Handelsfreiheit zu zwin¬
gen. Ob der Grundsatz der Retorsion an sich wissenschaftlich gerechtfertigt ist, kann
hier nicht die Frage sein. Offenbar hatte er für List selbst ursprünglich weit mehr
Politische als theoretische Bedeutung. Genug, daß der Erfolg ihn im vorlie¬
genden Fall im Allgemeinen gerechtfertigt hat, und die Concurrenzfähigkeit der
deutschen Industrie eine Thatsache ist. Was ihn außerdem rechtfertigt, ist die
in der That ganz exceptionelle Lage, in welcher die deutsche Industrie damals
überhaupt den Fremden' gegenüber sich befand. Es galt in Deutschland im Lauf
weniger Jahre das nachzuholen, was in den Nachbarstaaten ein historischer
Proceß von mehren Jahrhunderten gewesen war: die Umbildung des Feudal¬
staats in den Einheitsstaat mit einer geschlossenen nationalen Handelspolitik.
Daß die zur Zeit überall herrschende Politik, d. h. das Merkantilsystem, nicht
blos für Deutschland schädlich wirkte, sondern an sich falsch und verwerflich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/333>, abgerufen am 28.07.2024.