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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band.

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Diese Frage liegt daher nahe. Sie ist in einer bekannten Zeitschrift*) vor
einiger Zeit dahin beantwortet worden, daß List heute auf Seite der Freihan¬
delspartei für Erhaltung und Reform des Zollvereins, für Annahme des fran¬
zösischen Handelsvertrags kämpfen würde. Eine gewagte Behauptung, die na¬
türlich der Anfechtung sicher ist, die aber unfraglich einen richtigen Kern ent¬
hält, sobald man nur das Bleibende und wahrhaft Schöpferische in Lifts
Wirksamkeit trennt von dem, was ihr Zufälliges und Einseitiges anklebte, die
Ziele, nach denen er strebte, von den Mittel", die er augenblicklich für die rich¬
tigen hielt, und aus die er allerdings im Lauf einer erbitterten Discussion mehr
und mehr seine ganze Kraft concentrirte.

Im Ganzen ist jedoch Lifts Name in den letzten Kämpfen wenig genannt
worden. Man wird darin nicht ein Verkennen großer Verdienste, sondern einer¬
seits gewiß ein gutes Zeichen erblicken dürfen. Es ist ein Beweis, daß die
Streitigkeiten, weiche seine Lebenskraft zerstörten, heute hinter uns liegen, daß
der gegenwärtige Kampf nicht mit Autoritäten, sondern mit den Waffen der
realen Interessen geführt wird, daß somit jene principielle Forderung Lifts, die
Theorie der politischen Oekonomie aus den Studirstuben der Gelehrten, von
den Kathedern der Professoren, aus den Cabineten der Staatsbeamten herauf¬
zuführen in die Comptoirs der Fabrikanten, Großhändler, Gutsbesitzer u. s. w.,
sie zum Gemeingut aller Gebildeten in der Nation zu machen, heute, nicht
ohne wesentliches Verdienst eben seiner Wirksamkeit, zum guten Theile erfüllt
ist. Dennoch bleibt es zu verwundern, daß der einst vielgenannte Name so
wenig als Standarte für eines der beiden Kampflager tauglich erfunden wor¬
den ist, und am meisten muß es auffallen, daß gerade die Anhänger des Schutz¬
zollsystems, seine süddeutschen Freunde, ihn vergessen zu haben scheinen, und
fast mehr durch die einstigen Gegner sein Andenken lebendig erhalten und
wieder aufgefrischt wurde. Der Grund ist freilich ein. einfacher. Je mehr jene
Parteikämpfe in den Hintergrund traten, die sich eine Zeit lang um ihn als
Mittelpunkt gedreht hatten, um so mehr stellte sich sein geistiges Bild heraus
aus den Umhüllungen einer verworrenen Gegenwart, um so mehr hob sich
seine nationale Bedeutung über das Gezänk des Tags. Je schärfer aber so
das Bleibende an seiner Erscheinung von den Zufälligkeiten, die ihr anhas¬
teten, sich unterschied, um so weniger konnte irgend eine particuläre Richtung
in ihr sich wiederfinden. Seine Schriften bilden wohl ein Arsenal von Waffen
für die eine der heutigen Parteien, aber ebenso für die andere, und wenn sein
Name einerseits unzertrennlich ist von der schutzzöllnerischen Agitation der vier¬
ziger Jahre, so hat er andererseits mehr als einmal den ihn beherrschenden



") Ausland.- Ur. 18 d. Jahrg.

Diese Frage liegt daher nahe. Sie ist in einer bekannten Zeitschrift*) vor
einiger Zeit dahin beantwortet worden, daß List heute auf Seite der Freihan¬
delspartei für Erhaltung und Reform des Zollvereins, für Annahme des fran¬
zösischen Handelsvertrags kämpfen würde. Eine gewagte Behauptung, die na¬
türlich der Anfechtung sicher ist, die aber unfraglich einen richtigen Kern ent¬
hält, sobald man nur das Bleibende und wahrhaft Schöpferische in Lifts
Wirksamkeit trennt von dem, was ihr Zufälliges und Einseitiges anklebte, die
Ziele, nach denen er strebte, von den Mittel», die er augenblicklich für die rich¬
tigen hielt, und aus die er allerdings im Lauf einer erbitterten Discussion mehr
und mehr seine ganze Kraft concentrirte.

Im Ganzen ist jedoch Lifts Name in den letzten Kämpfen wenig genannt
worden. Man wird darin nicht ein Verkennen großer Verdienste, sondern einer¬
seits gewiß ein gutes Zeichen erblicken dürfen. Es ist ein Beweis, daß die
Streitigkeiten, weiche seine Lebenskraft zerstörten, heute hinter uns liegen, daß
der gegenwärtige Kampf nicht mit Autoritäten, sondern mit den Waffen der
realen Interessen geführt wird, daß somit jene principielle Forderung Lifts, die
Theorie der politischen Oekonomie aus den Studirstuben der Gelehrten, von
den Kathedern der Professoren, aus den Cabineten der Staatsbeamten herauf¬
zuführen in die Comptoirs der Fabrikanten, Großhändler, Gutsbesitzer u. s. w.,
sie zum Gemeingut aller Gebildeten in der Nation zu machen, heute, nicht
ohne wesentliches Verdienst eben seiner Wirksamkeit, zum guten Theile erfüllt
ist. Dennoch bleibt es zu verwundern, daß der einst vielgenannte Name so
wenig als Standarte für eines der beiden Kampflager tauglich erfunden wor¬
den ist, und am meisten muß es auffallen, daß gerade die Anhänger des Schutz¬
zollsystems, seine süddeutschen Freunde, ihn vergessen zu haben scheinen, und
fast mehr durch die einstigen Gegner sein Andenken lebendig erhalten und
wieder aufgefrischt wurde. Der Grund ist freilich ein. einfacher. Je mehr jene
Parteikämpfe in den Hintergrund traten, die sich eine Zeit lang um ihn als
Mittelpunkt gedreht hatten, um so mehr stellte sich sein geistiges Bild heraus
aus den Umhüllungen einer verworrenen Gegenwart, um so mehr hob sich
seine nationale Bedeutung über das Gezänk des Tags. Je schärfer aber so
das Bleibende an seiner Erscheinung von den Zufälligkeiten, die ihr anhas¬
teten, sich unterschied, um so weniger konnte irgend eine particuläre Richtung
in ihr sich wiederfinden. Seine Schriften bilden wohl ein Arsenal von Waffen
für die eine der heutigen Parteien, aber ebenso für die andere, und wenn sein
Name einerseits unzertrennlich ist von der schutzzöllnerischen Agitation der vier¬
ziger Jahre, so hat er andererseits mehr als einmal den ihn beherrschenden



") Ausland.- Ur. 18 d. Jahrg.
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[0330] Diese Frage liegt daher nahe. Sie ist in einer bekannten Zeitschrift*) vor einiger Zeit dahin beantwortet worden, daß List heute auf Seite der Freihan¬ delspartei für Erhaltung und Reform des Zollvereins, für Annahme des fran¬ zösischen Handelsvertrags kämpfen würde. Eine gewagte Behauptung, die na¬ türlich der Anfechtung sicher ist, die aber unfraglich einen richtigen Kern ent¬ hält, sobald man nur das Bleibende und wahrhaft Schöpferische in Lifts Wirksamkeit trennt von dem, was ihr Zufälliges und Einseitiges anklebte, die Ziele, nach denen er strebte, von den Mittel», die er augenblicklich für die rich¬ tigen hielt, und aus die er allerdings im Lauf einer erbitterten Discussion mehr und mehr seine ganze Kraft concentrirte. Im Ganzen ist jedoch Lifts Name in den letzten Kämpfen wenig genannt worden. Man wird darin nicht ein Verkennen großer Verdienste, sondern einer¬ seits gewiß ein gutes Zeichen erblicken dürfen. Es ist ein Beweis, daß die Streitigkeiten, weiche seine Lebenskraft zerstörten, heute hinter uns liegen, daß der gegenwärtige Kampf nicht mit Autoritäten, sondern mit den Waffen der realen Interessen geführt wird, daß somit jene principielle Forderung Lifts, die Theorie der politischen Oekonomie aus den Studirstuben der Gelehrten, von den Kathedern der Professoren, aus den Cabineten der Staatsbeamten herauf¬ zuführen in die Comptoirs der Fabrikanten, Großhändler, Gutsbesitzer u. s. w., sie zum Gemeingut aller Gebildeten in der Nation zu machen, heute, nicht ohne wesentliches Verdienst eben seiner Wirksamkeit, zum guten Theile erfüllt ist. Dennoch bleibt es zu verwundern, daß der einst vielgenannte Name so wenig als Standarte für eines der beiden Kampflager tauglich erfunden wor¬ den ist, und am meisten muß es auffallen, daß gerade die Anhänger des Schutz¬ zollsystems, seine süddeutschen Freunde, ihn vergessen zu haben scheinen, und fast mehr durch die einstigen Gegner sein Andenken lebendig erhalten und wieder aufgefrischt wurde. Der Grund ist freilich ein. einfacher. Je mehr jene Parteikämpfe in den Hintergrund traten, die sich eine Zeit lang um ihn als Mittelpunkt gedreht hatten, um so mehr stellte sich sein geistiges Bild heraus aus den Umhüllungen einer verworrenen Gegenwart, um so mehr hob sich seine nationale Bedeutung über das Gezänk des Tags. Je schärfer aber so das Bleibende an seiner Erscheinung von den Zufälligkeiten, die ihr anhas¬ teten, sich unterschied, um so weniger konnte irgend eine particuläre Richtung in ihr sich wiederfinden. Seine Schriften bilden wohl ein Arsenal von Waffen für die eine der heutigen Parteien, aber ebenso für die andere, und wenn sein Name einerseits unzertrennlich ist von der schutzzöllnerischen Agitation der vier¬ ziger Jahre, so hat er andererseits mehr als einmal den ihn beherrschenden ") Ausland.- Ur. 18 d. Jahrg.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/330>, abgerufen am 28.07.2024.