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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band.

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Befremdlich möge es erscheinen, die polnischen Aufrührer als eine fremde Macht
zu bezeichnen; da ja darin etwas von einer Anerkennung der Nationalregie¬
rung liege. Man müsse jedoch annehmen, daß der Gesetzgeber vielmehr eine
factische als eine legitimirte Macht im Auge gehabt habe, sonst komme man
auf einen Nonsens, dahin nämlich, daß sich §. 111 überall auf Seite der
Revolution stelle. Es wäre ja sonst z. B. verboten, Soldaten für die Nord¬
staaten Amerikas zu werben, erlaubt, dem Süden" solche zuzuführen; es wäre
vor der Anerkennung Italiens durch Preußen ebenso strafbar gewesen, für Kö¬
nig Franz. erlaubt, für Garibaldi Partei zu ergreifen. Der Gerichtshof er¬
kannte die Richtigkeit dieses Exposes im Allgemeinen an und verurtheilte den
Budzinski nach dem Antrage des Staatsanwaltes zu sechs Monaten Gefängniß.
Wird die klare und schlagende Induction durch alle Instanzen anerkannt, so
gewinnen unsere Gerichte die Möglichkeit, die Veranstaltung der Zuzüge ernst¬
lich zu strafen, ohne sich auf die Frage einlassen zu müssen, ob der Aufstand
gegen Preußen mit gerichtet sei.

Nachdem Czas die Echtheit der famosen Proclamation, die selbst der Nord¬
deutschen Allgemeinen Zeitung -- wie verlautet, auf eine von Posen aus¬
gegangene Anregung hin -- die Confiscation zugezogen hat. anerkannte, ist
dies nun freilich von der Nationalregierung bejaht. Das wenigstens mag Czas
und Dziennik sauer werden, aus dem Satze: kein Polen ohne die Kronländer
und ohne Reußen, der ohne jede Beschränkung dasteht, zu deduciren, daß Preu¬
ßisch- und Oestreichisch-Polen nicht gemeint seien, da doch Großpolen, Westpreußen,
Krakau, selbst ein Stück Ostpreußens zu den Kronländern, Galizien zu Reu¬
ßen gehörte. Jedenfalls hat diese tolle Proclamation den Gefangenen in
Moabit ihre Lage wesentlich erschwert. Zu ihnen ist jetzt auch Dr. v. Niego-
lewski über Glogau gebracht worden; ein Ende des Processes ist so bald nicht
zu hoffen. Es ist auch nicht möglich, da ja die ganze Organisation eine einige
und zwar eine Hydra ist, der immer wieder neue Häupter wachsen. Es sieht
eben nicht aus, als ob die Polen müde wären.

Und jedenfalls ergeht es uns hier wie mit der Winterkälte, die, wenn
ihre Kraft draußen nachläßt, erst recht in die Häuser schlägt, mit der Stimmung
unserer niederen Classen. Ich könnte Ihnen von den verschiedensten Gegenden
der Provinz aus von Angriffen berichten, die von gemeinen Polen gegen
Deutsche ergehen. Von diesen sehen denn Manche eine Absichtlichkeit, Provo-
cation darin. Gewiß irrthümlich. Das kochende Wasser läuft über und ver¬
dampft. Etwas ernstlicher scheint die Sache in Gvliancz (zwischen Margonin
und Exin) gewesen zu sein. Es war Ablaß, d. i. ein großes polnisches
Kirchenfest, das eine bedeutende Menge Volkes vereinigte. Wie bekannt be¬
schränkt man sich dabei nicht auf Beten und Singen. Während der Probst von
den wirklich anstrengenden Arbeiten des Tages mit seinen Amtsbrüdem bei


Befremdlich möge es erscheinen, die polnischen Aufrührer als eine fremde Macht
zu bezeichnen; da ja darin etwas von einer Anerkennung der Nationalregie¬
rung liege. Man müsse jedoch annehmen, daß der Gesetzgeber vielmehr eine
factische als eine legitimirte Macht im Auge gehabt habe, sonst komme man
auf einen Nonsens, dahin nämlich, daß sich §. 111 überall auf Seite der
Revolution stelle. Es wäre ja sonst z. B. verboten, Soldaten für die Nord¬
staaten Amerikas zu werben, erlaubt, dem Süden" solche zuzuführen; es wäre
vor der Anerkennung Italiens durch Preußen ebenso strafbar gewesen, für Kö¬
nig Franz. erlaubt, für Garibaldi Partei zu ergreifen. Der Gerichtshof er¬
kannte die Richtigkeit dieses Exposes im Allgemeinen an und verurtheilte den
Budzinski nach dem Antrage des Staatsanwaltes zu sechs Monaten Gefängniß.
Wird die klare und schlagende Induction durch alle Instanzen anerkannt, so
gewinnen unsere Gerichte die Möglichkeit, die Veranstaltung der Zuzüge ernst¬
lich zu strafen, ohne sich auf die Frage einlassen zu müssen, ob der Aufstand
gegen Preußen mit gerichtet sei.

Nachdem Czas die Echtheit der famosen Proclamation, die selbst der Nord¬
deutschen Allgemeinen Zeitung — wie verlautet, auf eine von Posen aus¬
gegangene Anregung hin — die Confiscation zugezogen hat. anerkannte, ist
dies nun freilich von der Nationalregierung bejaht. Das wenigstens mag Czas
und Dziennik sauer werden, aus dem Satze: kein Polen ohne die Kronländer
und ohne Reußen, der ohne jede Beschränkung dasteht, zu deduciren, daß Preu¬
ßisch- und Oestreichisch-Polen nicht gemeint seien, da doch Großpolen, Westpreußen,
Krakau, selbst ein Stück Ostpreußens zu den Kronländern, Galizien zu Reu¬
ßen gehörte. Jedenfalls hat diese tolle Proclamation den Gefangenen in
Moabit ihre Lage wesentlich erschwert. Zu ihnen ist jetzt auch Dr. v. Niego-
lewski über Glogau gebracht worden; ein Ende des Processes ist so bald nicht
zu hoffen. Es ist auch nicht möglich, da ja die ganze Organisation eine einige
und zwar eine Hydra ist, der immer wieder neue Häupter wachsen. Es sieht
eben nicht aus, als ob die Polen müde wären.

Und jedenfalls ergeht es uns hier wie mit der Winterkälte, die, wenn
ihre Kraft draußen nachläßt, erst recht in die Häuser schlägt, mit der Stimmung
unserer niederen Classen. Ich könnte Ihnen von den verschiedensten Gegenden
der Provinz aus von Angriffen berichten, die von gemeinen Polen gegen
Deutsche ergehen. Von diesen sehen denn Manche eine Absichtlichkeit, Provo-
cation darin. Gewiß irrthümlich. Das kochende Wasser läuft über und ver¬
dampft. Etwas ernstlicher scheint die Sache in Gvliancz (zwischen Margonin
und Exin) gewesen zu sein. Es war Ablaß, d. i. ein großes polnisches
Kirchenfest, das eine bedeutende Menge Volkes vereinigte. Wie bekannt be¬
schränkt man sich dabei nicht auf Beten und Singen. Während der Probst von
den wirklich anstrengenden Arbeiten des Tages mit seinen Amtsbrüdem bei


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[0317] Befremdlich möge es erscheinen, die polnischen Aufrührer als eine fremde Macht zu bezeichnen; da ja darin etwas von einer Anerkennung der Nationalregie¬ rung liege. Man müsse jedoch annehmen, daß der Gesetzgeber vielmehr eine factische als eine legitimirte Macht im Auge gehabt habe, sonst komme man auf einen Nonsens, dahin nämlich, daß sich §. 111 überall auf Seite der Revolution stelle. Es wäre ja sonst z. B. verboten, Soldaten für die Nord¬ staaten Amerikas zu werben, erlaubt, dem Süden" solche zuzuführen; es wäre vor der Anerkennung Italiens durch Preußen ebenso strafbar gewesen, für Kö¬ nig Franz. erlaubt, für Garibaldi Partei zu ergreifen. Der Gerichtshof er¬ kannte die Richtigkeit dieses Exposes im Allgemeinen an und verurtheilte den Budzinski nach dem Antrage des Staatsanwaltes zu sechs Monaten Gefängniß. Wird die klare und schlagende Induction durch alle Instanzen anerkannt, so gewinnen unsere Gerichte die Möglichkeit, die Veranstaltung der Zuzüge ernst¬ lich zu strafen, ohne sich auf die Frage einlassen zu müssen, ob der Aufstand gegen Preußen mit gerichtet sei. Nachdem Czas die Echtheit der famosen Proclamation, die selbst der Nord¬ deutschen Allgemeinen Zeitung — wie verlautet, auf eine von Posen aus¬ gegangene Anregung hin — die Confiscation zugezogen hat. anerkannte, ist dies nun freilich von der Nationalregierung bejaht. Das wenigstens mag Czas und Dziennik sauer werden, aus dem Satze: kein Polen ohne die Kronländer und ohne Reußen, der ohne jede Beschränkung dasteht, zu deduciren, daß Preu¬ ßisch- und Oestreichisch-Polen nicht gemeint seien, da doch Großpolen, Westpreußen, Krakau, selbst ein Stück Ostpreußens zu den Kronländern, Galizien zu Reu¬ ßen gehörte. Jedenfalls hat diese tolle Proclamation den Gefangenen in Moabit ihre Lage wesentlich erschwert. Zu ihnen ist jetzt auch Dr. v. Niego- lewski über Glogau gebracht worden; ein Ende des Processes ist so bald nicht zu hoffen. Es ist auch nicht möglich, da ja die ganze Organisation eine einige und zwar eine Hydra ist, der immer wieder neue Häupter wachsen. Es sieht eben nicht aus, als ob die Polen müde wären. Und jedenfalls ergeht es uns hier wie mit der Winterkälte, die, wenn ihre Kraft draußen nachläßt, erst recht in die Häuser schlägt, mit der Stimmung unserer niederen Classen. Ich könnte Ihnen von den verschiedensten Gegenden der Provinz aus von Angriffen berichten, die von gemeinen Polen gegen Deutsche ergehen. Von diesen sehen denn Manche eine Absichtlichkeit, Provo- cation darin. Gewiß irrthümlich. Das kochende Wasser läuft über und ver¬ dampft. Etwas ernstlicher scheint die Sache in Gvliancz (zwischen Margonin und Exin) gewesen zu sein. Es war Ablaß, d. i. ein großes polnisches Kirchenfest, das eine bedeutende Menge Volkes vereinigte. Wie bekannt be¬ schränkt man sich dabei nicht auf Beten und Singen. Während der Probst von den wirklich anstrengenden Arbeiten des Tages mit seinen Amtsbrüdem bei

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/317>, abgerufen am 28.07.2024.