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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band.

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hohen Reiz; Deutsche und Polen drehten sich gemeinsam im deutschen Walzer
und in der polnischen Mazurka. Der russisch-Polnische Aufstand trübte nur
wenig diese gegenseitig freundlichen Beziehungen. Er nahm schnell den Cha¬
rakter des großen Krieges an und hielt sich fern von den preußischen Grenzen,
zu deren Schuh damals wie heute preußische Truppen aufgestellt waren. Aber
allmälig, zu Ende der dreißiger und Anfang der vierziger Jahre, zog sich der
polnische Adel von dem deutschen zurück; man bemerkte eine geheime religiöse
Agitation auch in den niederen Volksschichten; eine gewisse Gewitterschwüle
lagerte sich über der Provinz und entlud sich endlich 1846 in einem Aufstands¬
versuch, der sofort Deutsche und Polen in die schroffste Stellung zu einander
brachte, und schon 1848 standen beide Nationalitäten in ausgesprochenem Racen-
haß von neuem einander gegenüber. Der Pole braucht jetzt das Wort "Nie-
miec" (Deutscher), mit einem gehässigen Zischlaut ausgesprochen, als ein ver¬
ächtliches Schimpfwort, etwa in der Bedeutung "deutscher Hund", und das
Wort "Prussiak" (preußischer Beamte und Soldat) kaum besser, nur mit einer
Beimischung von Furcht. Den Niemiec und Prussiak haßt er mehr wie den
Moskowiter, weil des Ersteren höhere Civilisation ihn sicherer unterjocht und
vernichtet, als des Letzteren blos Physische Kraft.

Seit 1848 hat absolut jeder gesellige Verkehr zwischen den Deutschen und
Polen aufgehört. Die höhere deutsche Gesellschaft hat in Posen ihr Casino,
ihre ausschließlich von ihnen besuchten Vergnügungsorte und ihre Bälle in den
Beamten- und Ofsizierskreisen. Es gibt ein deutsches Theater mit Oper und
Schauspiel, welches recht gute Geschäfte macht, im Winter im Schauspielhause,
im Sommer in einem öffentlichen Garten. Sonst überwiegt das materielle
Leben durchaus das geistige. Musik und literarische Interessen werden fast
gar nicht cultivirt, und in diesen, Umstände ist der Grund zu suchen, weshalb
sowohl von den Civilbeamten als von dem Militär die Provinz Posen mit
Inbegriff ihrer Hauptstadt als eine Art von Exil betrachtet wird, wo jeder
ungern hingeht und sich baldmöglichst wieder fortzumanövriren sucht.

Die Polen haben im Bazar, einem großen polnischen Hotel, ihren Ver¬
einigungspunkt. Dort finden während der Carnevalszeit allabendlich rauschende
Festlichkeiten statt. Ist der Carneval vorüber, so zieht sich der polnische Ade!
nach Dresden, Paris oder auf seine Güter zurück, um während des Woll¬
markts wieder auf einige Tage aufzutauchen; in diesen Tagen kommt von
Krakau eine polnische Theatertruppe zu einigen Aufführungen herüber.

Es sind unerfreuliche Zustände, welche wir in Obigem geschildert haben
und es ist kaum Aussicht vorhanden, daß sie sich in Zukunft bessern werden,
gleichviel ob die polnische Partei siegt, oder die deutsche am Ruder bleibt. Was
dem Deutschen bevorsteht, wenn der Pole die Oberhand behält, darüber kann
nur der im Zweifel sein, der die jetzt factisch bestehenden Zustände nie mit


hohen Reiz; Deutsche und Polen drehten sich gemeinsam im deutschen Walzer
und in der polnischen Mazurka. Der russisch-Polnische Aufstand trübte nur
wenig diese gegenseitig freundlichen Beziehungen. Er nahm schnell den Cha¬
rakter des großen Krieges an und hielt sich fern von den preußischen Grenzen,
zu deren Schuh damals wie heute preußische Truppen aufgestellt waren. Aber
allmälig, zu Ende der dreißiger und Anfang der vierziger Jahre, zog sich der
polnische Adel von dem deutschen zurück; man bemerkte eine geheime religiöse
Agitation auch in den niederen Volksschichten; eine gewisse Gewitterschwüle
lagerte sich über der Provinz und entlud sich endlich 1846 in einem Aufstands¬
versuch, der sofort Deutsche und Polen in die schroffste Stellung zu einander
brachte, und schon 1848 standen beide Nationalitäten in ausgesprochenem Racen-
haß von neuem einander gegenüber. Der Pole braucht jetzt das Wort „Nie-
miec" (Deutscher), mit einem gehässigen Zischlaut ausgesprochen, als ein ver¬
ächtliches Schimpfwort, etwa in der Bedeutung „deutscher Hund", und das
Wort „Prussiak" (preußischer Beamte und Soldat) kaum besser, nur mit einer
Beimischung von Furcht. Den Niemiec und Prussiak haßt er mehr wie den
Moskowiter, weil des Ersteren höhere Civilisation ihn sicherer unterjocht und
vernichtet, als des Letzteren blos Physische Kraft.

Seit 1848 hat absolut jeder gesellige Verkehr zwischen den Deutschen und
Polen aufgehört. Die höhere deutsche Gesellschaft hat in Posen ihr Casino,
ihre ausschließlich von ihnen besuchten Vergnügungsorte und ihre Bälle in den
Beamten- und Ofsizierskreisen. Es gibt ein deutsches Theater mit Oper und
Schauspiel, welches recht gute Geschäfte macht, im Winter im Schauspielhause,
im Sommer in einem öffentlichen Garten. Sonst überwiegt das materielle
Leben durchaus das geistige. Musik und literarische Interessen werden fast
gar nicht cultivirt, und in diesen, Umstände ist der Grund zu suchen, weshalb
sowohl von den Civilbeamten als von dem Militär die Provinz Posen mit
Inbegriff ihrer Hauptstadt als eine Art von Exil betrachtet wird, wo jeder
ungern hingeht und sich baldmöglichst wieder fortzumanövriren sucht.

Die Polen haben im Bazar, einem großen polnischen Hotel, ihren Ver¬
einigungspunkt. Dort finden während der Carnevalszeit allabendlich rauschende
Festlichkeiten statt. Ist der Carneval vorüber, so zieht sich der polnische Ade!
nach Dresden, Paris oder auf seine Güter zurück, um während des Woll¬
markts wieder auf einige Tage aufzutauchen; in diesen Tagen kommt von
Krakau eine polnische Theatertruppe zu einigen Aufführungen herüber.

Es sind unerfreuliche Zustände, welche wir in Obigem geschildert haben
und es ist kaum Aussicht vorhanden, daß sie sich in Zukunft bessern werden,
gleichviel ob die polnische Partei siegt, oder die deutsche am Ruder bleibt. Was
dem Deutschen bevorsteht, wenn der Pole die Oberhand behält, darüber kann
nur der im Zweifel sein, der die jetzt factisch bestehenden Zustände nie mit


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/272>, abgerufen am 28.07.2024.