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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band.

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Gedanken finden, daß ihm durch Consolidirung des neuen Königreichs die
Aussicht auf Wiederherstellung der alten Herrschaft auf der Halbinsel abgeschnit¬
ten ist. Aber es würde sich schließlich in das Unvermeidliche fügen und daran
denken können, seine Verhältnisse zu Italien auf eine seinem wahren Vortheil
entsprechende Weise zu ordnen. Das Verhältniß beider Mächte zu Venetien
verewigt 'den Zwist und erhält zugleich in Oestreich die Hoffnung rege, daß an
einen unbedachten Gewaltschritt Italiens eine gewaltsame Wiederherstellung
der früheren Zustände sich knüpfen könne.

Daß Oestreich unter diesen Umständen eine Annäherung an den Staat,
der bis jetzt allein über die Geschicke Italiens zu disponiren bat. sucht, ist eben
nicht wunderbar. Auch ließe es sich wohl erklären, wenn es auf diese An¬
näherung große Hoffnungen baute, da ja der Kaiser Napoleon mit dem raschen
Wachsthum seines Schützlings sehr wenig zufrieden ist. Zwar die Annexion
der norditalischen Staaten hat Italien durch Abtretung von Nizza und Savoyen
erkauft; aber für Neapel und Sicilien ist noch kein Preis gezahlt worden.
Dazu kommt, daß die Bildung eines einheitlichen, starken Italiens durchaus
allen alten Traditionen Frankreichs widerspricht, von denen der staatskluge
Kaiser nur da abweicht, wo sein revolutionärer Ursprung ihm, sehr wider sei¬
nen Willen, eine andere Politik aufnöthigt. Dessenungeachtet dürfte die Hoff¬
nung, daß Napoleon Oestreich zu Liebe das Werk, welches er theils gefördert,
theils nicht gehindert hat, mit eigner Hand zerstören, oder seine Zerstörung
zulassen sollte, eitel sein. Es war ein gefährliches Unternehmen für Napoleon,
in Italien als Vertreter des Nativnalitätsprincips aufzutreten; und -in der
That ist dieses Princip weit über das Ziel hinausgegangen, das er ihm glaubte
stecken zu können: viel gefährlicher aber würde es für ihn sein, das im Namen
dieses Princips Geschaffne wieder rückgängig zu machen; völlig absurd aber
wäre es zu glauben, daß er Oestreich unter irgend einer Bedingung gestatten
könne, statt seiner das Werk der Zerstörung zu vollziehen. Ist es etwa, nach¬
dem er das Hauptziel seiner italienischen Politik erreicht hat, Oestreich jedes
Einflusses in Italien zu berauben, um sich selbst an dessen Stelle zu setzen,
denkbar, daß er dem verdrängten Rivalen selbst die Wege zur Rückkehr in die
verlorene Domäne bahnen wird? Gelingt es Victor Emanuel, wozu alle Aus¬
sicht vorhanden ist, seine Herrschaft in Unteritalien zu befestigen, fo fehlt es
Napoleon an jeder Handhabe, der Consolidirung des Einheitsstaates direct oder
indirect Hindernisse in den Weg zu legen. Es bleibt ihm dann nur übrig,
das geeinigte Italien unauflöslich an seine Politik zu ketten, und dazu bietet
ihm, wie schon bemerkt, die Spannung zwischen Oestreich und Italien das
beste Mittel. Und nehmen wir selbst den unwahrscheinlichen Fall an, daß
Victor Emanuel in seinen Bemühungen um die Pacificirung Neapels scheiterte,
so würde doch nur Napoleon von dieser Eventualität Vortheil haben; Oestreich


Gedanken finden, daß ihm durch Consolidirung des neuen Königreichs die
Aussicht auf Wiederherstellung der alten Herrschaft auf der Halbinsel abgeschnit¬
ten ist. Aber es würde sich schließlich in das Unvermeidliche fügen und daran
denken können, seine Verhältnisse zu Italien auf eine seinem wahren Vortheil
entsprechende Weise zu ordnen. Das Verhältniß beider Mächte zu Venetien
verewigt 'den Zwist und erhält zugleich in Oestreich die Hoffnung rege, daß an
einen unbedachten Gewaltschritt Italiens eine gewaltsame Wiederherstellung
der früheren Zustände sich knüpfen könne.

Daß Oestreich unter diesen Umständen eine Annäherung an den Staat,
der bis jetzt allein über die Geschicke Italiens zu disponiren bat. sucht, ist eben
nicht wunderbar. Auch ließe es sich wohl erklären, wenn es auf diese An¬
näherung große Hoffnungen baute, da ja der Kaiser Napoleon mit dem raschen
Wachsthum seines Schützlings sehr wenig zufrieden ist. Zwar die Annexion
der norditalischen Staaten hat Italien durch Abtretung von Nizza und Savoyen
erkauft; aber für Neapel und Sicilien ist noch kein Preis gezahlt worden.
Dazu kommt, daß die Bildung eines einheitlichen, starken Italiens durchaus
allen alten Traditionen Frankreichs widerspricht, von denen der staatskluge
Kaiser nur da abweicht, wo sein revolutionärer Ursprung ihm, sehr wider sei¬
nen Willen, eine andere Politik aufnöthigt. Dessenungeachtet dürfte die Hoff¬
nung, daß Napoleon Oestreich zu Liebe das Werk, welches er theils gefördert,
theils nicht gehindert hat, mit eigner Hand zerstören, oder seine Zerstörung
zulassen sollte, eitel sein. Es war ein gefährliches Unternehmen für Napoleon,
in Italien als Vertreter des Nativnalitätsprincips aufzutreten; und -in der
That ist dieses Princip weit über das Ziel hinausgegangen, das er ihm glaubte
stecken zu können: viel gefährlicher aber würde es für ihn sein, das im Namen
dieses Princips Geschaffne wieder rückgängig zu machen; völlig absurd aber
wäre es zu glauben, daß er Oestreich unter irgend einer Bedingung gestatten
könne, statt seiner das Werk der Zerstörung zu vollziehen. Ist es etwa, nach¬
dem er das Hauptziel seiner italienischen Politik erreicht hat, Oestreich jedes
Einflusses in Italien zu berauben, um sich selbst an dessen Stelle zu setzen,
denkbar, daß er dem verdrängten Rivalen selbst die Wege zur Rückkehr in die
verlorene Domäne bahnen wird? Gelingt es Victor Emanuel, wozu alle Aus¬
sicht vorhanden ist, seine Herrschaft in Unteritalien zu befestigen, fo fehlt es
Napoleon an jeder Handhabe, der Consolidirung des Einheitsstaates direct oder
indirect Hindernisse in den Weg zu legen. Es bleibt ihm dann nur übrig,
das geeinigte Italien unauflöslich an seine Politik zu ketten, und dazu bietet
ihm, wie schon bemerkt, die Spannung zwischen Oestreich und Italien das
beste Mittel. Und nehmen wir selbst den unwahrscheinlichen Fall an, daß
Victor Emanuel in seinen Bemühungen um die Pacificirung Neapels scheiterte,
so würde doch nur Napoleon von dieser Eventualität Vortheil haben; Oestreich


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[0255] Gedanken finden, daß ihm durch Consolidirung des neuen Königreichs die Aussicht auf Wiederherstellung der alten Herrschaft auf der Halbinsel abgeschnit¬ ten ist. Aber es würde sich schließlich in das Unvermeidliche fügen und daran denken können, seine Verhältnisse zu Italien auf eine seinem wahren Vortheil entsprechende Weise zu ordnen. Das Verhältniß beider Mächte zu Venetien verewigt 'den Zwist und erhält zugleich in Oestreich die Hoffnung rege, daß an einen unbedachten Gewaltschritt Italiens eine gewaltsame Wiederherstellung der früheren Zustände sich knüpfen könne. Daß Oestreich unter diesen Umständen eine Annäherung an den Staat, der bis jetzt allein über die Geschicke Italiens zu disponiren bat. sucht, ist eben nicht wunderbar. Auch ließe es sich wohl erklären, wenn es auf diese An¬ näherung große Hoffnungen baute, da ja der Kaiser Napoleon mit dem raschen Wachsthum seines Schützlings sehr wenig zufrieden ist. Zwar die Annexion der norditalischen Staaten hat Italien durch Abtretung von Nizza und Savoyen erkauft; aber für Neapel und Sicilien ist noch kein Preis gezahlt worden. Dazu kommt, daß die Bildung eines einheitlichen, starken Italiens durchaus allen alten Traditionen Frankreichs widerspricht, von denen der staatskluge Kaiser nur da abweicht, wo sein revolutionärer Ursprung ihm, sehr wider sei¬ nen Willen, eine andere Politik aufnöthigt. Dessenungeachtet dürfte die Hoff¬ nung, daß Napoleon Oestreich zu Liebe das Werk, welches er theils gefördert, theils nicht gehindert hat, mit eigner Hand zerstören, oder seine Zerstörung zulassen sollte, eitel sein. Es war ein gefährliches Unternehmen für Napoleon, in Italien als Vertreter des Nativnalitätsprincips aufzutreten; und -in der That ist dieses Princip weit über das Ziel hinausgegangen, das er ihm glaubte stecken zu können: viel gefährlicher aber würde es für ihn sein, das im Namen dieses Princips Geschaffne wieder rückgängig zu machen; völlig absurd aber wäre es zu glauben, daß er Oestreich unter irgend einer Bedingung gestatten könne, statt seiner das Werk der Zerstörung zu vollziehen. Ist es etwa, nach¬ dem er das Hauptziel seiner italienischen Politik erreicht hat, Oestreich jedes Einflusses in Italien zu berauben, um sich selbst an dessen Stelle zu setzen, denkbar, daß er dem verdrängten Rivalen selbst die Wege zur Rückkehr in die verlorene Domäne bahnen wird? Gelingt es Victor Emanuel, wozu alle Aus¬ sicht vorhanden ist, seine Herrschaft in Unteritalien zu befestigen, fo fehlt es Napoleon an jeder Handhabe, der Consolidirung des Einheitsstaates direct oder indirect Hindernisse in den Weg zu legen. Es bleibt ihm dann nur übrig, das geeinigte Italien unauflöslich an seine Politik zu ketten, und dazu bietet ihm, wie schon bemerkt, die Spannung zwischen Oestreich und Italien das beste Mittel. Und nehmen wir selbst den unwahrscheinlichen Fall an, daß Victor Emanuel in seinen Bemühungen um die Pacificirung Neapels scheiterte, so würde doch nur Napoleon von dieser Eventualität Vortheil haben; Oestreich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/255>, abgerufen am 28.07.2024.