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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band.

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Fall eintritt, daß sie ihre Interessen nur so weit verfolgen können, als es
Frankreich beliebt, und daß sie ohne Gewinn/ oder selbst mit Verlust für sich,
nur für die Steigerung der französischen Uebermacht arbeiten.

Vor allen andern Staaten ist Oestreich der Gefahr ausgesetzt, die Impulse
zu seinem Handeln von Frankreich zu empfangen. Auf ein dauerndes und
aufrichtigem Einverständnis^ mit Preußen, welches allein ihm die Stärke ver¬
leihen würde, sich der Rücksicht auf Frankreich entschlagen zu können, ist bei
der Rivalität beider Mächte durchaus nicht zu rechnen. Vor Allem aber wird
Oestreich sowohl durch seine eignen, wie durch' Frankreichs Beziehungen zu
Italien an jeder freien Bewegung, an jeder selbständigen Action gehindert und
zu einer Politik des Lavirens gezwungen, deren Resultate sich jeder Berechnung
entziehen, und die den Staat jeden Augenblick in eine Jsolirung versetzen kann,
von deren vernichtenden Folgen er sich nur durch die äußersten Opfer würde
retten können.

Alle Bemühungen Oestreichs, sich durch die von allen Seiten seiner Ent¬
wickelung entgegentretenden Hindernisse hindurchzuwinden, find vergeblich, alle
seine Erfolge sind scheinbar, so lange es trotz der völlig veränderten Verhält¬
nisse aus seiner alten italienischen Politik principiell verharrt. Und daß es
für jetzt nicht daran denkt, von seiner traditionellen Politik abzuweichen, lehrt
ein Blick aus das Verfahren, welches es seit dem Frieden von Villafranca ein¬
geschlagen Hai. Zwar hat es die in Italien eingetretenen Veränderungen ge¬
schehen lassen, aber anerkanntermaßen nur, weil es nicht im Stande war, sie
zu hindern, und mit dem Vorbehalt, sie rückgängig zu machen, sobald die
Verhältnisse es dazu in Stand setzen würden. Und in der That ist es auch
schwer für Oestreich, eine andere Wahl zu treffen, so lange das Königreich
Italien Venetien beansprucht. Italien aber kann nicht wohl auf einen Besitz
ausdrücklich verzichten, ohne den in den Augen aller Italiener das Königreich
Italien ein unvollständiger, verstümmelter Körper wäre. In den Augen der
Neapolitaner, Toscaner, Nomagnoleu würde Victor Emanuel den Rechtstitel,
kraft dessen er Neapel, Toscana, die Romagna dem Königreich Italien einver¬
leibt hat, für ungiltig erklären, wenn er durch eine völkerrechtlich bindende Er¬
klärung diesen Rechtstitel in Bezug auf Venetien außer Kraft setzen wollte.
Es war ohne Zweifel eine Handlung der feinsten Berechnung, daß Napoleon
vor Venetien Halt machte, indem er dadurch nicht allein Italien, das seines
Beistandes bedarf, um bei günstigerer Gelegenheit die Resultate des letzten
Krieges zu vervollständigen, sondern auch Oestreich, das Alles von seiner Un¬
gunst zu fürchten und daher Alles von seiner Gunst zu hoffen hat, von sich
abhängig gemacht hat. Wir wollen übrigens nicht behaupten, daß Venetien
das einzige Hinderniß ist, welches sich einer Annäherung Oestreichs und Italiens
entgegenstellt. Auch ohne die Gebietsfrage würde sich Oestreich schwer in den


Fall eintritt, daß sie ihre Interessen nur so weit verfolgen können, als es
Frankreich beliebt, und daß sie ohne Gewinn/ oder selbst mit Verlust für sich,
nur für die Steigerung der französischen Uebermacht arbeiten.

Vor allen andern Staaten ist Oestreich der Gefahr ausgesetzt, die Impulse
zu seinem Handeln von Frankreich zu empfangen. Auf ein dauerndes und
aufrichtigem Einverständnis^ mit Preußen, welches allein ihm die Stärke ver¬
leihen würde, sich der Rücksicht auf Frankreich entschlagen zu können, ist bei
der Rivalität beider Mächte durchaus nicht zu rechnen. Vor Allem aber wird
Oestreich sowohl durch seine eignen, wie durch' Frankreichs Beziehungen zu
Italien an jeder freien Bewegung, an jeder selbständigen Action gehindert und
zu einer Politik des Lavirens gezwungen, deren Resultate sich jeder Berechnung
entziehen, und die den Staat jeden Augenblick in eine Jsolirung versetzen kann,
von deren vernichtenden Folgen er sich nur durch die äußersten Opfer würde
retten können.

Alle Bemühungen Oestreichs, sich durch die von allen Seiten seiner Ent¬
wickelung entgegentretenden Hindernisse hindurchzuwinden, find vergeblich, alle
seine Erfolge sind scheinbar, so lange es trotz der völlig veränderten Verhält¬
nisse aus seiner alten italienischen Politik principiell verharrt. Und daß es
für jetzt nicht daran denkt, von seiner traditionellen Politik abzuweichen, lehrt
ein Blick aus das Verfahren, welches es seit dem Frieden von Villafranca ein¬
geschlagen Hai. Zwar hat es die in Italien eingetretenen Veränderungen ge¬
schehen lassen, aber anerkanntermaßen nur, weil es nicht im Stande war, sie
zu hindern, und mit dem Vorbehalt, sie rückgängig zu machen, sobald die
Verhältnisse es dazu in Stand setzen würden. Und in der That ist es auch
schwer für Oestreich, eine andere Wahl zu treffen, so lange das Königreich
Italien Venetien beansprucht. Italien aber kann nicht wohl auf einen Besitz
ausdrücklich verzichten, ohne den in den Augen aller Italiener das Königreich
Italien ein unvollständiger, verstümmelter Körper wäre. In den Augen der
Neapolitaner, Toscaner, Nomagnoleu würde Victor Emanuel den Rechtstitel,
kraft dessen er Neapel, Toscana, die Romagna dem Königreich Italien einver¬
leibt hat, für ungiltig erklären, wenn er durch eine völkerrechtlich bindende Er¬
klärung diesen Rechtstitel in Bezug auf Venetien außer Kraft setzen wollte.
Es war ohne Zweifel eine Handlung der feinsten Berechnung, daß Napoleon
vor Venetien Halt machte, indem er dadurch nicht allein Italien, das seines
Beistandes bedarf, um bei günstigerer Gelegenheit die Resultate des letzten
Krieges zu vervollständigen, sondern auch Oestreich, das Alles von seiner Un¬
gunst zu fürchten und daher Alles von seiner Gunst zu hoffen hat, von sich
abhängig gemacht hat. Wir wollen übrigens nicht behaupten, daß Venetien
das einzige Hinderniß ist, welches sich einer Annäherung Oestreichs und Italiens
entgegenstellt. Auch ohne die Gebietsfrage würde sich Oestreich schwer in den


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/254>, abgerufen am 28.07.2024.