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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band.

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anfangs eher befördert als bekämpft. Auch gibt es noch bis zu dieser Stunde
solche in den sogenannten Nectorclassen. Diese sind eine Art von Mittelschule,
meinetwegen cinclassige Progymnasien, eingerichtet auf Andringen des Justiz-
fiscus, um den Beamten, welche in kleinen polnischen Städten leben müssen,
einen gewissen Ersatz zu gewähren. Bei ihnen richtet sich die Confession des
Lehrers nach der Majorität der Kinder, welche beiden Nationalitäten angehören
und den Religionsunterricht je in ihrer Confession erhalten. -- In den Ele¬
mentarschulen hat man allmälig den confcsstonellen Charakter hergestellt, und
auch die Gymnasien haben ihn getragen.

Mit welcher Frucht, erfuhren wir aus der Verschwörung Zan. aus den
Vorgängen in Ostrowo, aus der Selbstauflösung von Trzcmeszno. Man sagt
sich nun, daß eine gemischte Schülerzahl bei deutscher Unterrichtssprache sich ge¬
genseitig fördern werde, daß hier zu Lande der politische Gesichtspunkt über
dem pädagogischen stehe, daß die gemeinschaftlich erzogene Jugend sich in spä¬
teren Jahren friedlicher begegnen werde, daß endlich sogar der Unterricht ge¬
winnen könne, wenn er von unten auf aus einem Guße gehe. Doch hat die
Behörde in diesem Dinge nur zu gewähren; denn der Eifer unserer Mittelstädte
in der Errichtung gymnasialer Institute ist groß und überall geht deren Nei¬
gung auf Mischung. So folgte eben jetzt dem Vorgange von Inowraclaw und
Schneidcmühl in sehr ehrenwerther Opferwilligkeit die Stadt Gnesen. Vielleicht
später noch einige Worte davon.

Zur Charakteristik der edeln nationalen Erhebung, für die wer weih welche
Philister sich in allen Ländern begeistern, diene die speciellere Nachricht über
die Ermordung des kleinen Krohn; vgl. Ur. 29, S. 109. In dem Wirths¬
haus zu Borowo hausten Koszyniere und wie hier überhaupt wenig unbekannt
ist und-auch die Behörden gut instruirt sein würden, wenn Deutsche und Ju¬
den etwas mehr Muth hätten, so war das eben kein Geheimniß. Es galt
auch gar nicht als solches; sagt doch die Großmutter des Gemordeten "es ist
aber unrecht vom Krüger, daß er den Kindern nicht verboten hat zu plaudern."
Als nun eine Patrouille in jene Verlorne Ecke kam. begegnete sie den eben
heimziehenden Schulknaben, die ihnen auf ihre Fragen nach dem Aufenthalts¬
ort der Freiheitshelden die gewünschte Auskunft gaben. Es steht nicht einmal
fest, daß Krohn, eine Vater- und mutterlose Waise, sich dabei besonders hervor¬
gethan habe; doch wurden bald Drohungen gegen ihn laut. Diejenigen Koszy¬
niere, die der Verhaftung entgangen waren, trieben sich weiter in der Gegend
umher. Zu ihnen gehörte ein gewisser Nowak. Der sah an jenem Dienstage
den ihm verhaßten Knaben mit Flasche und Geld in den Krug gehen. "Dort
ist der Hund, der unsere Brüder verrathen hat", sagte er hörbar und ließ den
Armen nicht aus den Augen; kurz vorher, oder bald nachdem der Junge mit
der gefüllten Branntweinflasche zu seinen Pflegeeltern zurückgegangen war, ver-


anfangs eher befördert als bekämpft. Auch gibt es noch bis zu dieser Stunde
solche in den sogenannten Nectorclassen. Diese sind eine Art von Mittelschule,
meinetwegen cinclassige Progymnasien, eingerichtet auf Andringen des Justiz-
fiscus, um den Beamten, welche in kleinen polnischen Städten leben müssen,
einen gewissen Ersatz zu gewähren. Bei ihnen richtet sich die Confession des
Lehrers nach der Majorität der Kinder, welche beiden Nationalitäten angehören
und den Religionsunterricht je in ihrer Confession erhalten. — In den Ele¬
mentarschulen hat man allmälig den confcsstonellen Charakter hergestellt, und
auch die Gymnasien haben ihn getragen.

Mit welcher Frucht, erfuhren wir aus der Verschwörung Zan. aus den
Vorgängen in Ostrowo, aus der Selbstauflösung von Trzcmeszno. Man sagt
sich nun, daß eine gemischte Schülerzahl bei deutscher Unterrichtssprache sich ge¬
genseitig fördern werde, daß hier zu Lande der politische Gesichtspunkt über
dem pädagogischen stehe, daß die gemeinschaftlich erzogene Jugend sich in spä¬
teren Jahren friedlicher begegnen werde, daß endlich sogar der Unterricht ge¬
winnen könne, wenn er von unten auf aus einem Guße gehe. Doch hat die
Behörde in diesem Dinge nur zu gewähren; denn der Eifer unserer Mittelstädte
in der Errichtung gymnasialer Institute ist groß und überall geht deren Nei¬
gung auf Mischung. So folgte eben jetzt dem Vorgange von Inowraclaw und
Schneidcmühl in sehr ehrenwerther Opferwilligkeit die Stadt Gnesen. Vielleicht
später noch einige Worte davon.

Zur Charakteristik der edeln nationalen Erhebung, für die wer weih welche
Philister sich in allen Ländern begeistern, diene die speciellere Nachricht über
die Ermordung des kleinen Krohn; vgl. Ur. 29, S. 109. In dem Wirths¬
haus zu Borowo hausten Koszyniere und wie hier überhaupt wenig unbekannt
ist und-auch die Behörden gut instruirt sein würden, wenn Deutsche und Ju¬
den etwas mehr Muth hätten, so war das eben kein Geheimniß. Es galt
auch gar nicht als solches; sagt doch die Großmutter des Gemordeten „es ist
aber unrecht vom Krüger, daß er den Kindern nicht verboten hat zu plaudern."
Als nun eine Patrouille in jene Verlorne Ecke kam. begegnete sie den eben
heimziehenden Schulknaben, die ihnen auf ihre Fragen nach dem Aufenthalts¬
ort der Freiheitshelden die gewünschte Auskunft gaben. Es steht nicht einmal
fest, daß Krohn, eine Vater- und mutterlose Waise, sich dabei besonders hervor¬
gethan habe; doch wurden bald Drohungen gegen ihn laut. Diejenigen Koszy¬
niere, die der Verhaftung entgangen waren, trieben sich weiter in der Gegend
umher. Zu ihnen gehörte ein gewisser Nowak. Der sah an jenem Dienstage
den ihm verhaßten Knaben mit Flasche und Geld in den Krug gehen. „Dort
ist der Hund, der unsere Brüder verrathen hat", sagte er hörbar und ließ den
Armen nicht aus den Augen; kurz vorher, oder bald nachdem der Junge mit
der gefüllten Branntweinflasche zu seinen Pflegeeltern zurückgegangen war, ver-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/240>, abgerufen am 26.06.2024.