Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band.Deutscher, den sofortigen Tod und ein Jude lebensgefährliche Wunden davon Ich habe den Brief eines Gefangenen vom Kronwerk gelesen. Er trug Deutscher, den sofortigen Tod und ein Jude lebensgefährliche Wunden davon Ich habe den Brief eines Gefangenen vom Kronwerk gelesen. Er trug <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0199" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/115589"/> <p xml:id="ID_523" prev="#ID_522"> Deutscher, den sofortigen Tod und ein Jude lebensgefährliche Wunden davon<lb/> getragen haben soll/' Ich bin von der Natur mit einer so reichlichen Gabe<lb/> Skepsis ausgestattet, daß ich das Gerücht für ein ganz unbegründetes zu halten<lb/> versucht bin. Sie haben gar keine Vorstellung, was hier gelogen wird, und es<lb/> mag daher jeder Verbreiter ungenauer Nachrichten nicht ernst genug gewarnt<lb/> werden. Ein junger Offizier erholte sich — gerade heute acht Tage — von<lb/> den Anstrengungen einer nächtlichen Patrouille bei einem Glase Grog,<lb/> konnte sich aber vor dem Examen des unbescheidnen Kellners nicht retten. Ohne<lb/> sich des Ernstes der Dinge bewußt zu sein, entwarf er einen Schlachtbericht, und<lb/> in weniger. Stunden war das Städtchen davon voll. Ein Beamter, welcher auf<lb/> dem Lande zu thun hatte, brachte die Nachricht dorthin, und so ging sie noch<lb/> zur zweiten und dritten Stelle. Wenig fehlte, daß die grünen Blätter eine<lb/> Kunde davon erhalten hätten; denn Referent, der ein gut Stück Weges von<lb/> dem vermeintlichen Schlachtfelde entfernt wohnt, schrieb Ihnen gerade über die<lb/> Affaire bei Milvslaw, als ein sehr besonnener polnischer Herr ihm in größter<lb/> Aufregung das wichtige Ereigniß mittheilte, Erhalten hätten Sie also vielleicht<lb/> den Tartaren, weiter gegeben aber nicht; denn der Telegraph hätte den Brief<lb/> überholt und wird es, worauf Sie sich verlassen können, in jeden, ähnlichen<lb/> Falle. Item,,es wird gelogen, scharf gelogen und noch schärfer geglaubt; aber<lb/> auffällig ist es, daß die heutige Posener über die Sache schweigt. 'Diesen'Lü¬<lb/> gen gegenüber, vor denen sich die Tagesblätter beim besten Willen nicht<lb/> zu hüten vermögen, erlangen die Wochenberichte eine gewisse Bedeutung.<lb/> Sie haben die Pflicht zu corrigiren und dem Urtheil der fernen Mitbürger ein<lb/> sicheres Fundament zu geben. Ich habe deshalb zu wiederholen, daß bei Mi-<lb/> loslaw —es hat darüber sogar eine Untersuchung durch das wreschner Kreisgcricht.<lb/> an Ort und Stelle, stattgefunden — der erste Angriff.von den Insurgenten aus¬<lb/> gegangen ist, ebenso, daß die Russen von Preußen aus keine Meldung erhalten<lb/> haben. Daß sie -ihre Ohren weder gegen die Signalschüsse, noch gegen die<lb/> während des Gefechts gefallnen verschließen konnten, ist natürlich. Ganier. der<lb/> Führer, ist übrigens leicht verwundet, aber durch seine Blessur an der Flucht<lb/> nach Frankreich nicht verhindert worden, zu der ihm die Polen die Mittel ge¬<lb/> währt haben. Bei diesem vielbesprochenen Rencontre ist auch eine Dame in<lb/> einer Weise hervorgetreten, die uns lebhaft an gewisse Figuren aus Walter<lb/> Scott, z. B. aus Ivanhoe erinnert. Es war die Frau Gräfin Dabska, die<lb/> Plötzlich vor den Soldaten, welche die erbeuteten Waffen zusammenlasen, erschien<lb/> und ihnen solches im Namen der Nationalregierung verbot. Wenn weiter<lb/> nichts gegen sie vorliegt, wird ihre am 23. Juli eingetretene Haft wohl ein<lb/> schnelles Ende finden, wie auch Fräulein v. Lat'inska in Pleschen wieder ent¬<lb/> lassen worden ist.</p><lb/> <p xml:id="ID_524" next="#ID_525"> Ich habe den Brief eines Gefangenen vom Kronwerk gelesen. Er trug</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0199]
Deutscher, den sofortigen Tod und ein Jude lebensgefährliche Wunden davon
getragen haben soll/' Ich bin von der Natur mit einer so reichlichen Gabe
Skepsis ausgestattet, daß ich das Gerücht für ein ganz unbegründetes zu halten
versucht bin. Sie haben gar keine Vorstellung, was hier gelogen wird, und es
mag daher jeder Verbreiter ungenauer Nachrichten nicht ernst genug gewarnt
werden. Ein junger Offizier erholte sich — gerade heute acht Tage — von
den Anstrengungen einer nächtlichen Patrouille bei einem Glase Grog,
konnte sich aber vor dem Examen des unbescheidnen Kellners nicht retten. Ohne
sich des Ernstes der Dinge bewußt zu sein, entwarf er einen Schlachtbericht, und
in weniger. Stunden war das Städtchen davon voll. Ein Beamter, welcher auf
dem Lande zu thun hatte, brachte die Nachricht dorthin, und so ging sie noch
zur zweiten und dritten Stelle. Wenig fehlte, daß die grünen Blätter eine
Kunde davon erhalten hätten; denn Referent, der ein gut Stück Weges von
dem vermeintlichen Schlachtfelde entfernt wohnt, schrieb Ihnen gerade über die
Affaire bei Milvslaw, als ein sehr besonnener polnischer Herr ihm in größter
Aufregung das wichtige Ereigniß mittheilte, Erhalten hätten Sie also vielleicht
den Tartaren, weiter gegeben aber nicht; denn der Telegraph hätte den Brief
überholt und wird es, worauf Sie sich verlassen können, in jeden, ähnlichen
Falle. Item,,es wird gelogen, scharf gelogen und noch schärfer geglaubt; aber
auffällig ist es, daß die heutige Posener über die Sache schweigt. 'Diesen'Lü¬
gen gegenüber, vor denen sich die Tagesblätter beim besten Willen nicht
zu hüten vermögen, erlangen die Wochenberichte eine gewisse Bedeutung.
Sie haben die Pflicht zu corrigiren und dem Urtheil der fernen Mitbürger ein
sicheres Fundament zu geben. Ich habe deshalb zu wiederholen, daß bei Mi-
loslaw —es hat darüber sogar eine Untersuchung durch das wreschner Kreisgcricht.
an Ort und Stelle, stattgefunden — der erste Angriff.von den Insurgenten aus¬
gegangen ist, ebenso, daß die Russen von Preußen aus keine Meldung erhalten
haben. Daß sie -ihre Ohren weder gegen die Signalschüsse, noch gegen die
während des Gefechts gefallnen verschließen konnten, ist natürlich. Ganier. der
Führer, ist übrigens leicht verwundet, aber durch seine Blessur an der Flucht
nach Frankreich nicht verhindert worden, zu der ihm die Polen die Mittel ge¬
währt haben. Bei diesem vielbesprochenen Rencontre ist auch eine Dame in
einer Weise hervorgetreten, die uns lebhaft an gewisse Figuren aus Walter
Scott, z. B. aus Ivanhoe erinnert. Es war die Frau Gräfin Dabska, die
Plötzlich vor den Soldaten, welche die erbeuteten Waffen zusammenlasen, erschien
und ihnen solches im Namen der Nationalregierung verbot. Wenn weiter
nichts gegen sie vorliegt, wird ihre am 23. Juli eingetretene Haft wohl ein
schnelles Ende finden, wie auch Fräulein v. Lat'inska in Pleschen wieder ent¬
lassen worden ist.
Ich habe den Brief eines Gefangenen vom Kronwerk gelesen. Er trug
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