Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

lose Werk, das nach Byrons Wahrsagung schwerer durch die Thüre eines eng
lischen Familienzimmers geht, als ein Kameel durch ein Nadelöhr! -- der
Don Juan. Wir werden es nie genug bewundern sonnen, wie der Dichter,
körperlich erschöpft und tief verstimmt durch das Ankämpfen gegen die öffent¬
liche Stimme seines Landes, sich am Abend seines Lebens zu jener Kunstform
erhob, die allein seine Begabung rein und verklärt offenbaren konnte, zu dem
freien Spiele des Humors. Hat uns sein Menschenhaß verletzt, so lange er
unklar und unfrei in den interessanten Verbrechergestaltcn seiner ersten Werke
sich verkörperte: hier, in der übermüthigen Laune des komischen Epos, kommt
'alle Bitterkeit, die das Herz des Dichters drückt, frei und in der rechten Weise
an den Tag, hier dürfte er mit gutem Grunde sagen! "wollen die Leute die
Moral meines Gedichts nicht sehen, so ist es i.hre, nicht meine Schuld/' In
Deutschland wenigstens werden die Männer alle darin übereinstimmen, daß
Byrons dichterische Kunst in seinen letzten Jahren ihr Schönstes geschaffen hat,
nicht, wie selbst Macaulay meint, einem traurigen Verfalle entgegenging.

Was aber war es, das Byron an der modernen Gesellschaft bekämpfte,
indem er ihr stolz sein persönliches Belieben entgegenhielt? Es war zunächst
jene Tyrannei der öffentlichen Meinung, die im Don Juan so schneidend ge¬
schildert wird:


in nie times ok via
mer> macle tre MÄnrisrs, MÄNnors now mals mon.

Ja wohl, Byrons aristokratisches Wesen hätte sich leichter heimisch gefühlt in
der alten Zeit, da die ungeheure Mehrheit des Volks unter hartem Drucke lag, doch
auf den Höhen der Gesellschaft der souveränen Willkür der Person, der allseitigen
Entfaltung ihrer Launen und Kräfte keine Schranke gesetzt war. Wo waren sie doch
hin, jene kraftstrotzenden, übermüthigen, lebensfroher Männer aus dem Whigadel
des achtzehnten Jahrhunderts, die nach durchschwelgtem Tage mit weingeröthetem
Gesicht im Parlamente ihre großen Reden sprachen? Die unbändigen Kräfte,
die großen Talente der Aristokratie starben aus. die öffentliche Meinung fiel
allmälig unter die, Herrschaft jenes Mittelstandes, der, nach unten duldsamer
als der alte Adel, zu den glänzenden Erscheinungen auf der Höhe der Gesell¬
schaft sich ungleich mißtrauischer, eifersüchtiger stellt. Und die ungeheure stille
Tyrannei dieser conventionellen, auf den Schein bedachten Sitte hatte Byron
an seinem Leibe erfahren, als er -- ein Pair von England, also in der unab¬
hängigsten, der stolzesten Stellung, die einem modernen Menschen beschieden
sein kann -- sich thatsächlich aus seiner Heimath verbannt sah, ohne daß man
eine irgend haltbare Anklage wider ihn vorbrachte, ja ohne daß man ihn hörte.
Denn so gewiß Byron jedes Sinnes entbehrte für die Treue und Reinheit des
englischen häuslichen Lebens, ebenso gewiß hat er während seiner unglücklichen
Ehe durchaus kein ungewöhnliches Unrecht begangen, hat er nichts verschuldet,


lose Werk, das nach Byrons Wahrsagung schwerer durch die Thüre eines eng
lischen Familienzimmers geht, als ein Kameel durch ein Nadelöhr! — der
Don Juan. Wir werden es nie genug bewundern sonnen, wie der Dichter,
körperlich erschöpft und tief verstimmt durch das Ankämpfen gegen die öffent¬
liche Stimme seines Landes, sich am Abend seines Lebens zu jener Kunstform
erhob, die allein seine Begabung rein und verklärt offenbaren konnte, zu dem
freien Spiele des Humors. Hat uns sein Menschenhaß verletzt, so lange er
unklar und unfrei in den interessanten Verbrechergestaltcn seiner ersten Werke
sich verkörperte: hier, in der übermüthigen Laune des komischen Epos, kommt
'alle Bitterkeit, die das Herz des Dichters drückt, frei und in der rechten Weise
an den Tag, hier dürfte er mit gutem Grunde sagen! „wollen die Leute die
Moral meines Gedichts nicht sehen, so ist es i.hre, nicht meine Schuld/' In
Deutschland wenigstens werden die Männer alle darin übereinstimmen, daß
Byrons dichterische Kunst in seinen letzten Jahren ihr Schönstes geschaffen hat,
nicht, wie selbst Macaulay meint, einem traurigen Verfalle entgegenging.

Was aber war es, das Byron an der modernen Gesellschaft bekämpfte,
indem er ihr stolz sein persönliches Belieben entgegenhielt? Es war zunächst
jene Tyrannei der öffentlichen Meinung, die im Don Juan so schneidend ge¬
schildert wird:


in nie times ok via
mer> macle tre MÄnrisrs, MÄNnors now mals mon.

Ja wohl, Byrons aristokratisches Wesen hätte sich leichter heimisch gefühlt in
der alten Zeit, da die ungeheure Mehrheit des Volks unter hartem Drucke lag, doch
auf den Höhen der Gesellschaft der souveränen Willkür der Person, der allseitigen
Entfaltung ihrer Launen und Kräfte keine Schranke gesetzt war. Wo waren sie doch
hin, jene kraftstrotzenden, übermüthigen, lebensfroher Männer aus dem Whigadel
des achtzehnten Jahrhunderts, die nach durchschwelgtem Tage mit weingeröthetem
Gesicht im Parlamente ihre großen Reden sprachen? Die unbändigen Kräfte,
die großen Talente der Aristokratie starben aus. die öffentliche Meinung fiel
allmälig unter die, Herrschaft jenes Mittelstandes, der, nach unten duldsamer
als der alte Adel, zu den glänzenden Erscheinungen auf der Höhe der Gesell¬
schaft sich ungleich mißtrauischer, eifersüchtiger stellt. Und die ungeheure stille
Tyrannei dieser conventionellen, auf den Schein bedachten Sitte hatte Byron
an seinem Leibe erfahren, als er — ein Pair von England, also in der unab¬
hängigsten, der stolzesten Stellung, die einem modernen Menschen beschieden
sein kann — sich thatsächlich aus seiner Heimath verbannt sah, ohne daß man
eine irgend haltbare Anklage wider ihn vorbrachte, ja ohne daß man ihn hörte.
Denn so gewiß Byron jedes Sinnes entbehrte für die Treue und Reinheit des
englischen häuslichen Lebens, ebenso gewiß hat er während seiner unglücklichen
Ehe durchaus kein ungewöhnliches Unrecht begangen, hat er nichts verschuldet,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0018" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/115412"/>
          <p xml:id="ID_25" prev="#ID_24"> lose Werk, das nach Byrons Wahrsagung schwerer durch die Thüre eines eng<lb/>
lischen Familienzimmers geht, als ein Kameel durch ein Nadelöhr! &#x2014; der<lb/>
Don Juan. Wir werden es nie genug bewundern sonnen, wie der Dichter,<lb/>
körperlich erschöpft und tief verstimmt durch das Ankämpfen gegen die öffent¬<lb/>
liche Stimme seines Landes, sich am Abend seines Lebens zu jener Kunstform<lb/>
erhob, die allein seine Begabung rein und verklärt offenbaren konnte, zu dem<lb/>
freien Spiele des Humors. Hat uns sein Menschenhaß verletzt, so lange er<lb/>
unklar und unfrei in den interessanten Verbrechergestaltcn seiner ersten Werke<lb/>
sich verkörperte: hier, in der übermüthigen Laune des komischen Epos, kommt<lb/>
'alle Bitterkeit, die das Herz des Dichters drückt, frei und in der rechten Weise<lb/>
an den Tag, hier dürfte er mit gutem Grunde sagen! &#x201E;wollen die Leute die<lb/>
Moral meines Gedichts nicht sehen, so ist es i.hre, nicht meine Schuld/' In<lb/>
Deutschland wenigstens werden die Männer alle darin übereinstimmen, daß<lb/>
Byrons dichterische Kunst in seinen letzten Jahren ihr Schönstes geschaffen hat,<lb/>
nicht, wie selbst Macaulay meint, einem traurigen Verfalle entgegenging.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_26"> Was aber war es, das Byron an der modernen Gesellschaft bekämpfte,<lb/>
indem er ihr stolz sein persönliches Belieben entgegenhielt? Es war zunächst<lb/>
jene Tyrannei der öffentlichen Meinung, die im Don Juan so schneidend ge¬<lb/>
schildert wird:</p><lb/>
          <quote> in nie times ok via<lb/>
mer&gt; macle tre MÄnrisrs, MÄNnors now mals mon.</quote><lb/>
          <p xml:id="ID_27" next="#ID_28"> Ja wohl, Byrons aristokratisches Wesen hätte sich leichter heimisch gefühlt in<lb/>
der alten Zeit, da die ungeheure Mehrheit des Volks unter hartem Drucke lag, doch<lb/>
auf den Höhen der Gesellschaft der souveränen Willkür der Person, der allseitigen<lb/>
Entfaltung ihrer Launen und Kräfte keine Schranke gesetzt war. Wo waren sie doch<lb/>
hin, jene kraftstrotzenden, übermüthigen, lebensfroher Männer aus dem Whigadel<lb/>
des achtzehnten Jahrhunderts, die nach durchschwelgtem Tage mit weingeröthetem<lb/>
Gesicht im Parlamente ihre großen Reden sprachen? Die unbändigen Kräfte,<lb/>
die großen Talente der Aristokratie starben aus. die öffentliche Meinung fiel<lb/>
allmälig unter die, Herrschaft jenes Mittelstandes, der, nach unten duldsamer<lb/>
als der alte Adel, zu den glänzenden Erscheinungen auf der Höhe der Gesell¬<lb/>
schaft sich ungleich mißtrauischer, eifersüchtiger stellt. Und die ungeheure stille<lb/>
Tyrannei dieser conventionellen, auf den Schein bedachten Sitte hatte Byron<lb/>
an seinem Leibe erfahren, als er &#x2014; ein Pair von England, also in der unab¬<lb/>
hängigsten, der stolzesten Stellung, die einem modernen Menschen beschieden<lb/>
sein kann &#x2014; sich thatsächlich aus seiner Heimath verbannt sah, ohne daß man<lb/>
eine irgend haltbare Anklage wider ihn vorbrachte, ja ohne daß man ihn hörte.<lb/>
Denn so gewiß Byron jedes Sinnes entbehrte für die Treue und Reinheit des<lb/>
englischen häuslichen Lebens, ebenso gewiß hat er während seiner unglücklichen<lb/>
Ehe durchaus kein ungewöhnliches Unrecht begangen, hat er nichts verschuldet,</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0018] lose Werk, das nach Byrons Wahrsagung schwerer durch die Thüre eines eng lischen Familienzimmers geht, als ein Kameel durch ein Nadelöhr! — der Don Juan. Wir werden es nie genug bewundern sonnen, wie der Dichter, körperlich erschöpft und tief verstimmt durch das Ankämpfen gegen die öffent¬ liche Stimme seines Landes, sich am Abend seines Lebens zu jener Kunstform erhob, die allein seine Begabung rein und verklärt offenbaren konnte, zu dem freien Spiele des Humors. Hat uns sein Menschenhaß verletzt, so lange er unklar und unfrei in den interessanten Verbrechergestaltcn seiner ersten Werke sich verkörperte: hier, in der übermüthigen Laune des komischen Epos, kommt 'alle Bitterkeit, die das Herz des Dichters drückt, frei und in der rechten Weise an den Tag, hier dürfte er mit gutem Grunde sagen! „wollen die Leute die Moral meines Gedichts nicht sehen, so ist es i.hre, nicht meine Schuld/' In Deutschland wenigstens werden die Männer alle darin übereinstimmen, daß Byrons dichterische Kunst in seinen letzten Jahren ihr Schönstes geschaffen hat, nicht, wie selbst Macaulay meint, einem traurigen Verfalle entgegenging. Was aber war es, das Byron an der modernen Gesellschaft bekämpfte, indem er ihr stolz sein persönliches Belieben entgegenhielt? Es war zunächst jene Tyrannei der öffentlichen Meinung, die im Don Juan so schneidend ge¬ schildert wird: in nie times ok via mer> macle tre MÄnrisrs, MÄNnors now mals mon. Ja wohl, Byrons aristokratisches Wesen hätte sich leichter heimisch gefühlt in der alten Zeit, da die ungeheure Mehrheit des Volks unter hartem Drucke lag, doch auf den Höhen der Gesellschaft der souveränen Willkür der Person, der allseitigen Entfaltung ihrer Launen und Kräfte keine Schranke gesetzt war. Wo waren sie doch hin, jene kraftstrotzenden, übermüthigen, lebensfroher Männer aus dem Whigadel des achtzehnten Jahrhunderts, die nach durchschwelgtem Tage mit weingeröthetem Gesicht im Parlamente ihre großen Reden sprachen? Die unbändigen Kräfte, die großen Talente der Aristokratie starben aus. die öffentliche Meinung fiel allmälig unter die, Herrschaft jenes Mittelstandes, der, nach unten duldsamer als der alte Adel, zu den glänzenden Erscheinungen auf der Höhe der Gesell¬ schaft sich ungleich mißtrauischer, eifersüchtiger stellt. Und die ungeheure stille Tyrannei dieser conventionellen, auf den Schein bedachten Sitte hatte Byron an seinem Leibe erfahren, als er — ein Pair von England, also in der unab¬ hängigsten, der stolzesten Stellung, die einem modernen Menschen beschieden sein kann — sich thatsächlich aus seiner Heimath verbannt sah, ohne daß man eine irgend haltbare Anklage wider ihn vorbrachte, ja ohne daß man ihn hörte. Denn so gewiß Byron jedes Sinnes entbehrte für die Treue und Reinheit des englischen häuslichen Lebens, ebenso gewiß hat er während seiner unglücklichen Ehe durchaus kein ungewöhnliches Unrecht begangen, hat er nichts verschuldet,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/18
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/18>, abgerufen am 27.07.2024.