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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band.

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niederländischen Kleinmalerei erschien ihm verwerflich und verächtlich, weil sie
seinem heroischen Ideale widersprach. So kehrt in all seinen früheren Gedich¬
ten das Bild des Dichters selber wieder, der geheimnißvolle Mann, geziert
"mit einer Tugend und mit tausend Sünden", der Abgott der Weiber, der
Feind der Welt, die ihn mißhandelt und verbannt, und die er großherzig immer
aufs Neue überrascht und beschämt. Auf den ersten Blick ähnelt dieser by¬
ronische Held gar sehr jenen edelmüthigen sentimentalen Schurken, die in schlech¬
ten Romanen von Alters her ihr Wesen treiben. Doch eigenthümlich ist ihm
der selbstbewußte Trotz, den er der Welt entgegenstellt, eigenthümlich vor Allem
jene berufene Zerrissenheit, die mit dem eigenen Gefühle spielt. Und eben
dies Schwelgen in zwei widersprechenden Empfindungen, diese Lust "zugleich
durchnäßt und verbrannt" zu sein, sich dem Schmerze hinzugeben und seiner
zu spotten -- war es nicht ein Zug, so recht den geheimsten Neigungen der
modernen Menschen abgelauscht? Es geht ein ruheloses Wesen, eine Lust an
ewig neuer nervöser Aufregung durch die moderne Welt' und offenbart sich
überall bis hinab in unsre unscheinbarsten Gewohnheiten wie denn die
Verzehrung der Narkotika in keiner Zeit der Geschichte so stark gewesen ist wie
heute. Ueberaus reizbar und empfänglich, ist das Gemüth des modernen Men¬
schen tausend Eindrücken geöffnet, die ein rauheres Zeitalter nicht verstehen
konnte, aber diese massenhaften Eindrücke drängen und.jagen sich, hinterlassen
nur getheilte, flüchtige Empfindungen, und ein alter Grieche würde aus jedem
Gespräche unserer Zeitgenossen ein hastiges Abspringen des Gefühles heraus¬
hören, das der einfachen Sicherheit der Alten unbegreiflich war. So ist die
'Zerrissenheit der byronschen Empfindung allerdings ein Zug aus dem mo¬
dernen Gemüthsleben. Nur soll die Dichtung ein Höheres sein als ein getreues
Bild der Wirklichkeit. Dies jähe Umschlagen der Trauer, der Begeisterung
in bitteren Spott ist in einzelnen Fällen von erschütternder Wirkung, doch wenn
es den Grundton der Dichtung bildet, so führt es geradezu zur Selbstvernich¬
tung der Poesie, denn das Wesen aller Dichtung hat Goethe schon im Götz
von Berlichingen in einem wunderschönen Worte bezeichnet: "was macht den
Dichter? ein warmes, ganz von einer Empfindung volles Herz."

Den Zeitgenossen hat Byron durch phantastische Beleuchtung und den
koketten Schleier des Geheimnisses die innere Schwäche seiner sentimentalen
Helden verborgen, und wer mochte in einem romantischen Epos nach scharfer,
eindringender Charakterzeichnung suchen? Uns Nachlebenden ist es nicht mehr
möglich, für die düsteren verschwommenen Gestalten des Lara, des Corsaren
eine reine Theilnahme zu empfinden. Das wahrhaft unsterbliche unter Byrons
Werken, das die Gegenwart und alle späteren Geschlechter zur Bewunderung
hinreißen wird, ist vielmehr jenes "schwärzeste Denkmal menschlicher Verworfen¬
heit", das die englischen Literaturgeschichten kaum zu nennen wagen, jenes ruch-


Grenzboten III. isss. 2

niederländischen Kleinmalerei erschien ihm verwerflich und verächtlich, weil sie
seinem heroischen Ideale widersprach. So kehrt in all seinen früheren Gedich¬
ten das Bild des Dichters selber wieder, der geheimnißvolle Mann, geziert
„mit einer Tugend und mit tausend Sünden", der Abgott der Weiber, der
Feind der Welt, die ihn mißhandelt und verbannt, und die er großherzig immer
aufs Neue überrascht und beschämt. Auf den ersten Blick ähnelt dieser by¬
ronische Held gar sehr jenen edelmüthigen sentimentalen Schurken, die in schlech¬
ten Romanen von Alters her ihr Wesen treiben. Doch eigenthümlich ist ihm
der selbstbewußte Trotz, den er der Welt entgegenstellt, eigenthümlich vor Allem
jene berufene Zerrissenheit, die mit dem eigenen Gefühle spielt. Und eben
dies Schwelgen in zwei widersprechenden Empfindungen, diese Lust „zugleich
durchnäßt und verbrannt" zu sein, sich dem Schmerze hinzugeben und seiner
zu spotten — war es nicht ein Zug, so recht den geheimsten Neigungen der
modernen Menschen abgelauscht? Es geht ein ruheloses Wesen, eine Lust an
ewig neuer nervöser Aufregung durch die moderne Welt' und offenbart sich
überall bis hinab in unsre unscheinbarsten Gewohnheiten wie denn die
Verzehrung der Narkotika in keiner Zeit der Geschichte so stark gewesen ist wie
heute. Ueberaus reizbar und empfänglich, ist das Gemüth des modernen Men¬
schen tausend Eindrücken geöffnet, die ein rauheres Zeitalter nicht verstehen
konnte, aber diese massenhaften Eindrücke drängen und.jagen sich, hinterlassen
nur getheilte, flüchtige Empfindungen, und ein alter Grieche würde aus jedem
Gespräche unserer Zeitgenossen ein hastiges Abspringen des Gefühles heraus¬
hören, das der einfachen Sicherheit der Alten unbegreiflich war. So ist die
'Zerrissenheit der byronschen Empfindung allerdings ein Zug aus dem mo¬
dernen Gemüthsleben. Nur soll die Dichtung ein Höheres sein als ein getreues
Bild der Wirklichkeit. Dies jähe Umschlagen der Trauer, der Begeisterung
in bitteren Spott ist in einzelnen Fällen von erschütternder Wirkung, doch wenn
es den Grundton der Dichtung bildet, so führt es geradezu zur Selbstvernich¬
tung der Poesie, denn das Wesen aller Dichtung hat Goethe schon im Götz
von Berlichingen in einem wunderschönen Worte bezeichnet: „was macht den
Dichter? ein warmes, ganz von einer Empfindung volles Herz."

Den Zeitgenossen hat Byron durch phantastische Beleuchtung und den
koketten Schleier des Geheimnisses die innere Schwäche seiner sentimentalen
Helden verborgen, und wer mochte in einem romantischen Epos nach scharfer,
eindringender Charakterzeichnung suchen? Uns Nachlebenden ist es nicht mehr
möglich, für die düsteren verschwommenen Gestalten des Lara, des Corsaren
eine reine Theilnahme zu empfinden. Das wahrhaft unsterbliche unter Byrons
Werken, das die Gegenwart und alle späteren Geschlechter zur Bewunderung
hinreißen wird, ist vielmehr jenes „schwärzeste Denkmal menschlicher Verworfen¬
heit", das die englischen Literaturgeschichten kaum zu nennen wagen, jenes ruch-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/17>, abgerufen am 22.12.2024.