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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band.

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ticfbekümmertem Herzen, weil er fühlte, daß dort die wichtigsten Interessen des
Vaterlandes in einem gefährlichen Spiel verdorben wurden*).

Im Jahre 1860 wurde Stockmar durch das Vertrauen seiner Mitbürger
als Abgeordneter nach Erfurt gesandt. Was er dort erfuhr von der Willen¬
schwäche und Unklarheit der preußischen Negierung, gab ihm die Ueberzeugung,
daß Vor der Hand jede Hoffnung auf eine Neugestaltung Deutschlands auf¬
gegeben werden müsse.

Vom Anfang der Bewegung hatte er dieselbe als einen ersten Anlauf un¬
geübter Volkskraft betrachtet. Und die eintretende Reaction, längst vorhergesagt,
vermochte keinen Augenblick das hoffnungsvolle Vertrauen zu erschüttern, mit
welchem er in die deutsche Zukunft blickte. Immer wußte er Muth einzusprechen,
und von seiner festen Zuversicht auch in der trüben Zeit, welche jetzt folgte.
Anderen mitzutheilen. "Die Deutschen sind ein gutes Volk, leicht zu regieren,
und die deutschen Fürsten, die das nicht verstehen, verdienen nicht, über ein
solches Volk zu herrschen." -- "Laßt Euch nicht abschrecken, Ihr Jüngern Ver¬
möge gar nicht zu übersehen, wie groß die Fortschritte sind, welche die Deut¬
schen in diesem Jahrhundert zu staatlicher Einheit gemacht haben; ich habe es
erfahren, ich kenne dies Volk, Ihr geht einer großen Zukunft entgegen, Ihr
werdet es erleben, ich aber nicht, dann denkt des Alten."

Sein letzter größerer Ausflug war im Herbst 1858 nach Berlin, wo er
sich Von dem Glück des jungen Fürstenpaares überzeugte, in das er so große
Hoffnungen setzte. Seitdem verließ er seine Heimath nicht wieder und in den
letzten Jahren nur selten sein Haus. Der gesellige Verkehr mit Fremden wurde
ihm anstrengend, und seine Thür öffnete sich nicht mehr bereitwillig für Jeder¬
mann, außer für alte Bekannte und die Freunde des Hauses, am willigsten
für die Armen Von Coburg. Diese kannten Vortrefflich die steinerne Schwelle,
auf der sie mit bangem Herzen die Klingel gezogen, von der sie mit leichtem
Gemüth wieder auf die Straße hinabgestiegen waren. Aber für den fremden
Neugierigen war nicht mit Sicherheit vorauszusagen, ob er weiter als in die
Hausflur gelangen würde, und es kam wohl vor, daß zugereiste Fremde ver¬
gebens um Einlaß pochten, auch solche, welche auf ihrer Krone den geschlossenen
Goldreis trugen. Er hielt sein Tagewerk für geendigt, sein Ende für nahe.
Aber immer noch flammte im Verkehr mit Bekannten, wenn er irgendwie an¬
geregt wurde, das alte Feuer seines Geistes auf; dann sprach er gern und mit
großer Offenheit über die Menschen und die Erfahrungen seines reichen Lebens.
Und immer erfreute dann den Hörenden die heitere Festigkeit und Größe des
Urtheils, der aufleuchtende Blick und die milde Lebendigkeit des Greises. Seit



*) Varnhagen schreibt in seinem Tagebuch vom 2. October- Der Baron v. Stockmar war
hier, der eiiglisch-coburgische Intriguant.
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ticfbekümmertem Herzen, weil er fühlte, daß dort die wichtigsten Interessen des
Vaterlandes in einem gefährlichen Spiel verdorben wurden*).

Im Jahre 1860 wurde Stockmar durch das Vertrauen seiner Mitbürger
als Abgeordneter nach Erfurt gesandt. Was er dort erfuhr von der Willen¬
schwäche und Unklarheit der preußischen Negierung, gab ihm die Ueberzeugung,
daß Vor der Hand jede Hoffnung auf eine Neugestaltung Deutschlands auf¬
gegeben werden müsse.

Vom Anfang der Bewegung hatte er dieselbe als einen ersten Anlauf un¬
geübter Volkskraft betrachtet. Und die eintretende Reaction, längst vorhergesagt,
vermochte keinen Augenblick das hoffnungsvolle Vertrauen zu erschüttern, mit
welchem er in die deutsche Zukunft blickte. Immer wußte er Muth einzusprechen,
und von seiner festen Zuversicht auch in der trüben Zeit, welche jetzt folgte.
Anderen mitzutheilen. „Die Deutschen sind ein gutes Volk, leicht zu regieren,
und die deutschen Fürsten, die das nicht verstehen, verdienen nicht, über ein
solches Volk zu herrschen." — „Laßt Euch nicht abschrecken, Ihr Jüngern Ver¬
möge gar nicht zu übersehen, wie groß die Fortschritte sind, welche die Deut¬
schen in diesem Jahrhundert zu staatlicher Einheit gemacht haben; ich habe es
erfahren, ich kenne dies Volk, Ihr geht einer großen Zukunft entgegen, Ihr
werdet es erleben, ich aber nicht, dann denkt des Alten."

Sein letzter größerer Ausflug war im Herbst 1858 nach Berlin, wo er
sich Von dem Glück des jungen Fürstenpaares überzeugte, in das er so große
Hoffnungen setzte. Seitdem verließ er seine Heimath nicht wieder und in den
letzten Jahren nur selten sein Haus. Der gesellige Verkehr mit Fremden wurde
ihm anstrengend, und seine Thür öffnete sich nicht mehr bereitwillig für Jeder¬
mann, außer für alte Bekannte und die Freunde des Hauses, am willigsten
für die Armen Von Coburg. Diese kannten Vortrefflich die steinerne Schwelle,
auf der sie mit bangem Herzen die Klingel gezogen, von der sie mit leichtem
Gemüth wieder auf die Straße hinabgestiegen waren. Aber für den fremden
Neugierigen war nicht mit Sicherheit vorauszusagen, ob er weiter als in die
Hausflur gelangen würde, und es kam wohl vor, daß zugereiste Fremde ver¬
gebens um Einlaß pochten, auch solche, welche auf ihrer Krone den geschlossenen
Goldreis trugen. Er hielt sein Tagewerk für geendigt, sein Ende für nahe.
Aber immer noch flammte im Verkehr mit Bekannten, wenn er irgendwie an¬
geregt wurde, das alte Feuer seines Geistes auf; dann sprach er gern und mit
großer Offenheit über die Menschen und die Erfahrungen seines reichen Lebens.
Und immer erfreute dann den Hörenden die heitere Festigkeit und Größe des
Urtheils, der aufleuchtende Blick und die milde Lebendigkeit des Greises. Seit



*) Varnhagen schreibt in seinem Tagebuch vom 2. October- Der Baron v. Stockmar war
hier, der eiiglisch-coburgische Intriguant.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/179>, abgerufen am 28.07.2024.