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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band.

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mischen Forscher zu großem Danke verpflichtet hat. Denn inmitten der un¬
glaublichen fanatischen Dummheit, mit welcher zu seiner Zeit und später ne
Böhmen gehaust wurde, steht er als ein leuchtendes Beispiel edler Billigkeit
und Theilnahme für die untergehenden Schätze da, von denen er manchen Rest
gerettet hat. Bei Balbin erklärt es das überwiegend objective antiquarische
Interesse, sowie die gelehrte Ordensbildung, daß er lateinisch schrieb; aber daß
Pefina von Cechorod seine Arbeiten über die Geschichte Mährens böhmisch be¬
gann und lateinisch endigte, und daß fast alle vereinzelten literarischen Leistun¬
gen in böhmischer Sprache aus jener Zeit bis auf unsere Tage Manuscripte
geblieben sind, zeigt deutlich, wie tief der landesväterliche kaiserlich-königliche
Gedanke durchgegriffen hatte, die Böhmen möglichst zu entnationalisiren. In
der That wechseln damals in allen gebildeten Kreisen die böhmische und deutsche
Sprache ihre Rollen mit einer Schnelligkeit, die unbegreiflich wäre, wenn man
vergäße, daß der eigentliche Grundstamm des Volkes, diejenigen, welche seine
Traditionen wahrten und seine historischen Aufgaben zu erfüllen trachteten,
getödtet, geächtet oder aus freiem Antrieb flüchtig waren. Das ist in ganz
eigentlichem Wortverstande zu nehmen. Balbin selbst war es, der so weit ging,
seine Verwunderung darüber auszusprechen, daß nach dem, was Böhmen durch
die katholische Reaction und den dreißigjährigen Krieg erlebt hab-e, überhaupt
noch Einwohner übrig geblieben wären. Allein war auch durch die Vertreibung
der Akathvliken und durch die Ersetzung bedeutender ständischer Elemente durch
den neuen östreichischen Soldatenadel das Volk im Großen noch nicht ganz
vernichtet, so war doch die Tödtung des nationalen Geistes völlig gelungen.

Es ist ein empörend widerwärtiges Schauspiel, wie ein Volksgeist infolge
gänzlicher Lähmung endlich sein selbst vergißt und sich dergestalt untreu wird, daß
er erst mit eingelernten, dann aber mit wahrhaftigen Abscheu von seinen hei¬
ligen Erinnerungen sich abwendet und um seine höchsten Schätze betrügen läßt.
Dieser Zustand sittlicher und geistiger Verödung, dem äußerlich die überhand¬
nehmende Knechtung des Volkes und die Verrottung der wirthschaftlichen Dinge
entsprechen, ist das Merkmal des böhmischen Lebens in der ganzen Periode
vom dreißigjährigen Kriege bis über die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts.
Denn die, wenn gutgemeinten, so doch überaus mattherziger Versuche, welche
in diesem Zeiträume zur Verbesserung oder wenigstens zur Erhaltung einer
böhmischen Schriftsprache dadurch gemacht worden sind, daß hier und da die
Grammatik in Erinnerung gebracht wurde, sind von äußerst geringem Werthe.
Zur Fristung der Literatur als solcher war man auf das traurige Mittel ange¬
wiesen, durch Wiederholung des Druckes der übrig gebliebenen schlechten Bücher
den Wenigen, deren Gaumen darnach stand, eine dürftige Nahrung zuzuführen.
Die Literatur der Exulanten aber blieb, schon weil sie dissidentisch war, von
der Wirkung im Vaterlande so gut wie gänzlich ausgeschlossen.


mischen Forscher zu großem Danke verpflichtet hat. Denn inmitten der un¬
glaublichen fanatischen Dummheit, mit welcher zu seiner Zeit und später ne
Böhmen gehaust wurde, steht er als ein leuchtendes Beispiel edler Billigkeit
und Theilnahme für die untergehenden Schätze da, von denen er manchen Rest
gerettet hat. Bei Balbin erklärt es das überwiegend objective antiquarische
Interesse, sowie die gelehrte Ordensbildung, daß er lateinisch schrieb; aber daß
Pefina von Cechorod seine Arbeiten über die Geschichte Mährens böhmisch be¬
gann und lateinisch endigte, und daß fast alle vereinzelten literarischen Leistun¬
gen in böhmischer Sprache aus jener Zeit bis auf unsere Tage Manuscripte
geblieben sind, zeigt deutlich, wie tief der landesväterliche kaiserlich-königliche
Gedanke durchgegriffen hatte, die Böhmen möglichst zu entnationalisiren. In
der That wechseln damals in allen gebildeten Kreisen die böhmische und deutsche
Sprache ihre Rollen mit einer Schnelligkeit, die unbegreiflich wäre, wenn man
vergäße, daß der eigentliche Grundstamm des Volkes, diejenigen, welche seine
Traditionen wahrten und seine historischen Aufgaben zu erfüllen trachteten,
getödtet, geächtet oder aus freiem Antrieb flüchtig waren. Das ist in ganz
eigentlichem Wortverstande zu nehmen. Balbin selbst war es, der so weit ging,
seine Verwunderung darüber auszusprechen, daß nach dem, was Böhmen durch
die katholische Reaction und den dreißigjährigen Krieg erlebt hab-e, überhaupt
noch Einwohner übrig geblieben wären. Allein war auch durch die Vertreibung
der Akathvliken und durch die Ersetzung bedeutender ständischer Elemente durch
den neuen östreichischen Soldatenadel das Volk im Großen noch nicht ganz
vernichtet, so war doch die Tödtung des nationalen Geistes völlig gelungen.

Es ist ein empörend widerwärtiges Schauspiel, wie ein Volksgeist infolge
gänzlicher Lähmung endlich sein selbst vergißt und sich dergestalt untreu wird, daß
er erst mit eingelernten, dann aber mit wahrhaftigen Abscheu von seinen hei¬
ligen Erinnerungen sich abwendet und um seine höchsten Schätze betrügen läßt.
Dieser Zustand sittlicher und geistiger Verödung, dem äußerlich die überhand¬
nehmende Knechtung des Volkes und die Verrottung der wirthschaftlichen Dinge
entsprechen, ist das Merkmal des böhmischen Lebens in der ganzen Periode
vom dreißigjährigen Kriege bis über die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts.
Denn die, wenn gutgemeinten, so doch überaus mattherziger Versuche, welche
in diesem Zeiträume zur Verbesserung oder wenigstens zur Erhaltung einer
böhmischen Schriftsprache dadurch gemacht worden sind, daß hier und da die
Grammatik in Erinnerung gebracht wurde, sind von äußerst geringem Werthe.
Zur Fristung der Literatur als solcher war man auf das traurige Mittel ange¬
wiesen, durch Wiederholung des Druckes der übrig gebliebenen schlechten Bücher
den Wenigen, deren Gaumen darnach stand, eine dürftige Nahrung zuzuführen.
Die Literatur der Exulanten aber blieb, schon weil sie dissidentisch war, von
der Wirkung im Vaterlande so gut wie gänzlich ausgeschlossen.


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[0164] mischen Forscher zu großem Danke verpflichtet hat. Denn inmitten der un¬ glaublichen fanatischen Dummheit, mit welcher zu seiner Zeit und später ne Böhmen gehaust wurde, steht er als ein leuchtendes Beispiel edler Billigkeit und Theilnahme für die untergehenden Schätze da, von denen er manchen Rest gerettet hat. Bei Balbin erklärt es das überwiegend objective antiquarische Interesse, sowie die gelehrte Ordensbildung, daß er lateinisch schrieb; aber daß Pefina von Cechorod seine Arbeiten über die Geschichte Mährens böhmisch be¬ gann und lateinisch endigte, und daß fast alle vereinzelten literarischen Leistun¬ gen in böhmischer Sprache aus jener Zeit bis auf unsere Tage Manuscripte geblieben sind, zeigt deutlich, wie tief der landesväterliche kaiserlich-königliche Gedanke durchgegriffen hatte, die Böhmen möglichst zu entnationalisiren. In der That wechseln damals in allen gebildeten Kreisen die böhmische und deutsche Sprache ihre Rollen mit einer Schnelligkeit, die unbegreiflich wäre, wenn man vergäße, daß der eigentliche Grundstamm des Volkes, diejenigen, welche seine Traditionen wahrten und seine historischen Aufgaben zu erfüllen trachteten, getödtet, geächtet oder aus freiem Antrieb flüchtig waren. Das ist in ganz eigentlichem Wortverstande zu nehmen. Balbin selbst war es, der so weit ging, seine Verwunderung darüber auszusprechen, daß nach dem, was Böhmen durch die katholische Reaction und den dreißigjährigen Krieg erlebt hab-e, überhaupt noch Einwohner übrig geblieben wären. Allein war auch durch die Vertreibung der Akathvliken und durch die Ersetzung bedeutender ständischer Elemente durch den neuen östreichischen Soldatenadel das Volk im Großen noch nicht ganz vernichtet, so war doch die Tödtung des nationalen Geistes völlig gelungen. Es ist ein empörend widerwärtiges Schauspiel, wie ein Volksgeist infolge gänzlicher Lähmung endlich sein selbst vergißt und sich dergestalt untreu wird, daß er erst mit eingelernten, dann aber mit wahrhaftigen Abscheu von seinen hei¬ ligen Erinnerungen sich abwendet und um seine höchsten Schätze betrügen läßt. Dieser Zustand sittlicher und geistiger Verödung, dem äußerlich die überhand¬ nehmende Knechtung des Volkes und die Verrottung der wirthschaftlichen Dinge entsprechen, ist das Merkmal des böhmischen Lebens in der ganzen Periode vom dreißigjährigen Kriege bis über die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts. Denn die, wenn gutgemeinten, so doch überaus mattherziger Versuche, welche in diesem Zeiträume zur Verbesserung oder wenigstens zur Erhaltung einer böhmischen Schriftsprache dadurch gemacht worden sind, daß hier und da die Grammatik in Erinnerung gebracht wurde, sind von äußerst geringem Werthe. Zur Fristung der Literatur als solcher war man auf das traurige Mittel ange¬ wiesen, durch Wiederholung des Druckes der übrig gebliebenen schlechten Bücher den Wenigen, deren Gaumen darnach stand, eine dürftige Nahrung zuzuführen. Die Literatur der Exulanten aber blieb, schon weil sie dissidentisch war, von der Wirkung im Vaterlande so gut wie gänzlich ausgeschlossen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/164>, abgerufen am 28.07.2024.