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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band.

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Nischen Aufstand gegenüber einen Entschluß zu fassen hat. Auch 1830 fand die
Erhebung Polens in ganz Oestreich die lebhaftesten Sympathien -- Sympathien,
von denen auch die Leiter der östreichischen Politik keineswegs unberührt blie¬
ben. Die Stimmung gegen Rußland war in Folge der in der türkisch-russischen
Frage erlittenen diplomatischen Niederlage nicht minder gereizt, als sie es ge¬
genwärtig' ist. Dennoch beschränkte sich die Theilnahme der Regierung für
Polen darauf, über die polnische Revolution milder zu urtheilen, als über
andere aufständische Bewegungen, und der Presse in Bezug auf Polen eine
Freiheit zu verstatten, die nicht umhin konnte, die russische Regierung zu ver¬
letzen und zu Reklamationen zu veranlassen. Bei dieser passiven Theilnahme
blieb es aber auch, und die Feindschaft gegen jede populäre Bewegung trat
bald wieder in ihre vollen Rechte ein.

Man kann nicht daran zweifeln, daß die erste Nachricht von dem Aus¬
brechen des gegenwärtigen polnischen Aufstandes in den östreichischen Staats¬
männern zwei entgegengesetzte Stimmungen hervorrief: neben dem Wohlgefallen
an der Rußland bereiteten Demüthigung die Sorge für die Ruhe der eigenen
polnischen, überhaupt der den Einwirkungen der Nationalitätenfrage ausgesetzten
Landestheile. So lange indessen der Aufstand auf den russischen Antheil von
Polen sich beschränkte, so lange er ferner als eine rein russische Angelegenheit
angesehen wurde, konnte Oestreich sich mit der Rolle des aufmerksamen Be¬
obachters begnügen. Die polnische Angelegenheit sollte aber bald einen euro¬
päischen Charakter annehmen. Ist diese plötzliche Steigerung ihrer Bedeutung
-- dies ist die erste Frage, die sich aufdrängt -- wirklich die Folge der rus¬
sisch-preußischen Convention gewesen? Hat in der That erst die Convention
in Napoleon den Entschluß zur Reife gebracht, sich in die polnischen Angelegen¬
heiten einzumischen? Gegen diese Ansicht spricht, daß man die Veränderung
der ^Beziehungen zwischen Nußland und Frankreich, und Frankreich und Oestreich,
doch nicht wohl erst vom Beginne des Aufstandes wird datiren können. Sie be¬
ginnt vielmehr schon mit dem Ministerwcchscl in Frankreich, der Ersetzung
Thouvenels durch Drouyn de Lhuis, die sich am einfachsten so erklären
läßt, daß Napoleon den Moment des Zusammenwirkens mit Nußland noch nicht
gekommen glaubte und es bis zu dem Eintreten desselben für geboten hielt,
Rußland thatsächlich darauf hinzuweisen, daß er keineswegs zu einer unbedingt
russensreundlichen.Politik gezwungen sei.' Eindringlicher konnte diese Mahnung
nicht gegeben werden, als durch die Ernennung Drouyn de Lhuis, der aner¬
kanntermaßen zur Freundschaft mit Oestreich hinneigt. Und ist es denn serner
undenkbar, daß der Kaiser diese Wendung bereits in Voraussicht des polnischen-
Ausstandes habe eintreten lassen? Jedenfalls wird man mit Sicherheit anneh¬
men können, daß er über die Entwürfe der Polen, über die Verbindungen der
Emigranten mit Warschau ebenso gut, vielleicht besser, als die russische Polizei


Nischen Aufstand gegenüber einen Entschluß zu fassen hat. Auch 1830 fand die
Erhebung Polens in ganz Oestreich die lebhaftesten Sympathien — Sympathien,
von denen auch die Leiter der östreichischen Politik keineswegs unberührt blie¬
ben. Die Stimmung gegen Rußland war in Folge der in der türkisch-russischen
Frage erlittenen diplomatischen Niederlage nicht minder gereizt, als sie es ge¬
genwärtig' ist. Dennoch beschränkte sich die Theilnahme der Regierung für
Polen darauf, über die polnische Revolution milder zu urtheilen, als über
andere aufständische Bewegungen, und der Presse in Bezug auf Polen eine
Freiheit zu verstatten, die nicht umhin konnte, die russische Regierung zu ver¬
letzen und zu Reklamationen zu veranlassen. Bei dieser passiven Theilnahme
blieb es aber auch, und die Feindschaft gegen jede populäre Bewegung trat
bald wieder in ihre vollen Rechte ein.

Man kann nicht daran zweifeln, daß die erste Nachricht von dem Aus¬
brechen des gegenwärtigen polnischen Aufstandes in den östreichischen Staats¬
männern zwei entgegengesetzte Stimmungen hervorrief: neben dem Wohlgefallen
an der Rußland bereiteten Demüthigung die Sorge für die Ruhe der eigenen
polnischen, überhaupt der den Einwirkungen der Nationalitätenfrage ausgesetzten
Landestheile. So lange indessen der Aufstand auf den russischen Antheil von
Polen sich beschränkte, so lange er ferner als eine rein russische Angelegenheit
angesehen wurde, konnte Oestreich sich mit der Rolle des aufmerksamen Be¬
obachters begnügen. Die polnische Angelegenheit sollte aber bald einen euro¬
päischen Charakter annehmen. Ist diese plötzliche Steigerung ihrer Bedeutung
— dies ist die erste Frage, die sich aufdrängt — wirklich die Folge der rus¬
sisch-preußischen Convention gewesen? Hat in der That erst die Convention
in Napoleon den Entschluß zur Reife gebracht, sich in die polnischen Angelegen¬
heiten einzumischen? Gegen diese Ansicht spricht, daß man die Veränderung
der ^Beziehungen zwischen Nußland und Frankreich, und Frankreich und Oestreich,
doch nicht wohl erst vom Beginne des Aufstandes wird datiren können. Sie be¬
ginnt vielmehr schon mit dem Ministerwcchscl in Frankreich, der Ersetzung
Thouvenels durch Drouyn de Lhuis, die sich am einfachsten so erklären
läßt, daß Napoleon den Moment des Zusammenwirkens mit Nußland noch nicht
gekommen glaubte und es bis zu dem Eintreten desselben für geboten hielt,
Rußland thatsächlich darauf hinzuweisen, daß er keineswegs zu einer unbedingt
russensreundlichen.Politik gezwungen sei.' Eindringlicher konnte diese Mahnung
nicht gegeben werden, als durch die Ernennung Drouyn de Lhuis, der aner¬
kanntermaßen zur Freundschaft mit Oestreich hinneigt. Und ist es denn serner
undenkbar, daß der Kaiser diese Wendung bereits in Voraussicht des polnischen-
Ausstandes habe eintreten lassen? Jedenfalls wird man mit Sicherheit anneh¬
men können, daß er über die Entwürfe der Polen, über die Verbindungen der
Emigranten mit Warschau ebenso gut, vielleicht besser, als die russische Polizei


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/130>, abgerufen am 22.12.2024.