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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band.

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gehalten? Wir greifen aus den zahllosen Beispielen einer Verwaltungspraxis,
welche nicht mehr deutschen, sondern russischen Grundsätzen huldigt, nur das
Wichtigste heraus und fragen: also, die Redactionen der berliner Journale
haben den Boden der Sittlichkeit und der Selbstachtung verlassen, als sie in
den maßvollsten, den würdigsten Worten, die der Ruhigste der Sterblichen er¬
sinnen konnte, ihre gewissenhafte Ueberzeugung aussprachen, die Verfassung sei
geschädigt? Und was ist erreicht mit diesen Fictionen, die ein liberales Blatt
nie aufstellen durfte? Wie denken die Jahrbücher zu wirken auf die Seele
ihrer Leser? Die Heißblutigen werden das Blatt mit Hohnlachen zur Erde
werfen, und der Gutmüthigste unter den Gutmüthigen wird fragen: wie ist es
nur möglich, daß ein ehrenhaftes Blatt im Namen der Wahrheit sich selber so
gröblich täuschen konnte? Und die Regierung? Wir maßen uns nicht an, das
schlechthin Unberechenbare, die Laune des Herrn v. Bismarck, vorherzubestimmen,
aber wir müßten uns sehr irren-, wenn er nicht nach der Lectüre der Jahr¬
bücher mit befriedigten Lächeln gesagt hat: das konnte ich nicht erwarten, daß
diese Herren Liberalen mir glauben würden, ich stehe auf dem Boden ihrer Sitt¬
lichkeit! Und wie nun, wenn die Jahrbücher geeignetes Gehör fänden bei
diesen Ministem? Da würden sie die Verschuldung tragen, aus der edelsten Ab¬
sicht die Minister getäuscht zu haben über die Lage des Landes. Denn eine
Täuschung ist es, zu sagen, "wir wollten eine Verständigung auf dem Grunde
der unbeschädigten Verfassung." Mit diesen Ministern, welche die Ver¬
fassung selbst beschädigt -- nimmermehr. Eine Täuschung ist es, zu sagen,
die Minister hätten dem König blos "nicht weise" gerathen. Nicht durch Fictionen, nicht
durch höfliche Worte läßt sich die Thatsache verhüllen, daß das Recht des Landes
gebrochen ist. Sollen wir verschweigen, jetzt verschweigen, daß die ganze Zu¬
kunft des Hauses Hohenzollern in Frage steht, daß eine unheimliche, finstere
Verbitterung die Verzweiflung an dem Bestände jedes Rechts sich täglich wach¬
send der Gemüther der Nation bemächtigt, daß wir einer Revolution entgegen¬
gehen, die nicht mehr blos durch ein Verlassen des betretenen Weges, sondern allein
durch eine strenge ernste Sühne abzuwenden ist? Jetzt ist es Zeit, die Krone
zu mahnen an ein Wort, das Einer der Besten und Bestvcrleumdeten aus¬
sprach, da das deutsche Parlament im Sterben lag, an das Wort Karl Mathys:
"es ist leichter möglich, daß ein Preußen ohne einen Erbkönig bestehe als ein
Preußen ohne Deutschland." Unser Volk ist seit langen Jahren nicht so frei
gewesen wie heute von republikanischer Phantasterei, doch wer ist so vermessen,
bestimmt zu glauben, die Verfassung werde auf die Dauer von untenher ge¬
halten werden, wenn sie von obenher verletzt wird?

Wohl keiner unserer Leser wird bestreiten, daß die liberale Presse Preußens
dem Beispiele der Jahrbücher nicht folgen darf. Ist das Weiterführen der
Opposition wirklich nur unter der Bedingung möglich, daß die Presse die wohl-


gehalten? Wir greifen aus den zahllosen Beispielen einer Verwaltungspraxis,
welche nicht mehr deutschen, sondern russischen Grundsätzen huldigt, nur das
Wichtigste heraus und fragen: also, die Redactionen der berliner Journale
haben den Boden der Sittlichkeit und der Selbstachtung verlassen, als sie in
den maßvollsten, den würdigsten Worten, die der Ruhigste der Sterblichen er¬
sinnen konnte, ihre gewissenhafte Ueberzeugung aussprachen, die Verfassung sei
geschädigt? Und was ist erreicht mit diesen Fictionen, die ein liberales Blatt
nie aufstellen durfte? Wie denken die Jahrbücher zu wirken auf die Seele
ihrer Leser? Die Heißblutigen werden das Blatt mit Hohnlachen zur Erde
werfen, und der Gutmüthigste unter den Gutmüthigen wird fragen: wie ist es
nur möglich, daß ein ehrenhaftes Blatt im Namen der Wahrheit sich selber so
gröblich täuschen konnte? Und die Regierung? Wir maßen uns nicht an, das
schlechthin Unberechenbare, die Laune des Herrn v. Bismarck, vorherzubestimmen,
aber wir müßten uns sehr irren-, wenn er nicht nach der Lectüre der Jahr¬
bücher mit befriedigten Lächeln gesagt hat: das konnte ich nicht erwarten, daß
diese Herren Liberalen mir glauben würden, ich stehe auf dem Boden ihrer Sitt¬
lichkeit! Und wie nun, wenn die Jahrbücher geeignetes Gehör fänden bei
diesen Ministem? Da würden sie die Verschuldung tragen, aus der edelsten Ab¬
sicht die Minister getäuscht zu haben über die Lage des Landes. Denn eine
Täuschung ist es, zu sagen, „wir wollten eine Verständigung auf dem Grunde
der unbeschädigten Verfassung." Mit diesen Ministern, welche die Ver¬
fassung selbst beschädigt — nimmermehr. Eine Täuschung ist es, zu sagen,
die Minister hätten dem König blos „nicht weise" gerathen. Nicht durch Fictionen, nicht
durch höfliche Worte läßt sich die Thatsache verhüllen, daß das Recht des Landes
gebrochen ist. Sollen wir verschweigen, jetzt verschweigen, daß die ganze Zu¬
kunft des Hauses Hohenzollern in Frage steht, daß eine unheimliche, finstere
Verbitterung die Verzweiflung an dem Bestände jedes Rechts sich täglich wach¬
send der Gemüther der Nation bemächtigt, daß wir einer Revolution entgegen¬
gehen, die nicht mehr blos durch ein Verlassen des betretenen Weges, sondern allein
durch eine strenge ernste Sühne abzuwenden ist? Jetzt ist es Zeit, die Krone
zu mahnen an ein Wort, das Einer der Besten und Bestvcrleumdeten aus¬
sprach, da das deutsche Parlament im Sterben lag, an das Wort Karl Mathys:
„es ist leichter möglich, daß ein Preußen ohne einen Erbkönig bestehe als ein
Preußen ohne Deutschland." Unser Volk ist seit langen Jahren nicht so frei
gewesen wie heute von republikanischer Phantasterei, doch wer ist so vermessen,
bestimmt zu glauben, die Verfassung werde auf die Dauer von untenher ge¬
halten werden, wenn sie von obenher verletzt wird?

Wohl keiner unserer Leser wird bestreiten, daß die liberale Presse Preußens
dem Beispiele der Jahrbücher nicht folgen darf. Ist das Weiterführen der
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/122>, abgerufen am 01.09.2024.