Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band.sträuben gegen ein so tief beschämendes Eingeständnis und wir sind die Letzten, Grenzboten III. 1S63. Is
sträuben gegen ein so tief beschämendes Eingeständnis und wir sind die Letzten, Grenzboten III. 1S63. Is
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0121" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/115513"/> <p xml:id="ID_332" prev="#ID_331" next="#ID_333"> sträuben gegen ein so tief beschämendes Eingeständnis und wir sind die Letzten,<lb/> dies Gefühl zu verhöhnen. Wir haben sie ja selber redlich mitgekostet, die<lb/> brennende Empfindung der Scham, wir von der preußischen Partei außerhalb<lb/> Preußens, die wir unsre stolzeste» deutschen Hoffnungen auf diesen Staat auch<lb/> dann noch stützen werden, wenn ein Bismarck der Zehnte in Preußen regierte,<lb/> die wir heute umhergehen gleich dem Schlafwandler, dem die gesunden Leute<lb/> schwindelnd nachschauen auf seiner halsbrechenden Bahn. Aber aller Stolz<lb/> des Patrioten darf den preußischen Politiker nicht dahin führen, den Kopf in<lb/> die Erde zu stecken wie der Vogel Strauß, offenkundige Thatsachen hinweg-<lb/> zuläugnen, wie die Pr. Jahrbücher thun, wenn sie rufen: „Man wird doch auf<lb/> Preußen nicht die Schmach laden wollen, daß irgend eines seiner Ministerien,<lb/> um sich in Autorität zu erhalten, der Freiheit noch engere Schranken ziehen<lb/> müsse, als die Regierung eines Parvenu dies zu thun gezwungen ist?" Müßige<lb/> Frage, vorlängst beantwortet durch Thaten, die nackt vor Aller Augen liegen!<lb/> Ja wohl, das gegenwärtige preußische Ministerium hat bereits der Preßfreiheit<lb/> engere Schranken gezogen als Napoleon der Dritte oder der weiße Czar oder<lb/> irgend ein Beherrscher irgend eines civilisirten Staates der Gegenwart. Und<lb/> nimmermehr frommt es der guten Sache, diese ernste Thatsache dadurch zu<lb/> mildern, daß man über die Beweggründe der Negierung gutmüthige Vermuthun¬<lb/> gen aufstellt, wie diese: „keine Frage, die über die Presse verhängten Ma߬<lb/> regeln sind nicht etwa aus despotischen Gelüst, sondern aus Wohlmeinung für<lb/> den Thron und das Land hervorgegangen." Wir gäben viel darum, wenn<lb/> ein Satz wie dieser niemals Eingang gefunden hätte in die Spalten eines<lb/> liberalen preußischen Blatts. Auch Karl der Erste von England, auch Karl<lb/> der Zehnte von Frankreich haben im guten Glauben gehandelt, und wie damals<lb/> Engländer und Franzosen, so sollen heute die Preußen kalt und stolz von sich<lb/> weisen jedes beschwichtigende Wort, das sie ablenken könnte von dem Einen<lb/> allein rettenden Gedanken: das Recht des Landes ist verletzt und wer ein gu¬<lb/> ter Bürger ist, der wirke, daß es wiederhergestellt werde. Noch einen andren<lb/> Grund der Hoffnung finden die Jahrbücher in den Worten der Einleitung zu<lb/> der Preßverordnung selber, welche ja nur die Absicht hat, „die Preßfreiheit<lb/> selbst aus den Boden der Sittlichkeit und der Selbstachtung zurückzuführen!"<lb/> Also, die Minister versichern in derselben Verordnung, welche die v.on ihnen<lb/> beschworen? Verfassung verletzt: „wir stehen auf dem Boden der Sittlichkeit",<lb/> und die Preuß. Jahrbücher glauben ihrem Worte und leben der Hoffnung, die<lb/> Regierung werde nur die Verletzung der Sittlichkeit durch Verwarnungen be¬<lb/> strafen! Wir haben es nie für möglich gehalten, daß die menschliche Ver-<lb/> trauensseligkeit einer so grenzenlosen Ausdehnung fähig sei. Gewaltsam unter¬<lb/> drücken wir die starken Worte, welche sich unwillkürlich in unsre Feder drän¬<lb/> gen, und fragen die Jahrbücher nur: wie hat die Regierung bisher ihr Wort</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten III. 1S63. Is</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0121]
sträuben gegen ein so tief beschämendes Eingeständnis und wir sind die Letzten,
dies Gefühl zu verhöhnen. Wir haben sie ja selber redlich mitgekostet, die
brennende Empfindung der Scham, wir von der preußischen Partei außerhalb
Preußens, die wir unsre stolzeste» deutschen Hoffnungen auf diesen Staat auch
dann noch stützen werden, wenn ein Bismarck der Zehnte in Preußen regierte,
die wir heute umhergehen gleich dem Schlafwandler, dem die gesunden Leute
schwindelnd nachschauen auf seiner halsbrechenden Bahn. Aber aller Stolz
des Patrioten darf den preußischen Politiker nicht dahin führen, den Kopf in
die Erde zu stecken wie der Vogel Strauß, offenkundige Thatsachen hinweg-
zuläugnen, wie die Pr. Jahrbücher thun, wenn sie rufen: „Man wird doch auf
Preußen nicht die Schmach laden wollen, daß irgend eines seiner Ministerien,
um sich in Autorität zu erhalten, der Freiheit noch engere Schranken ziehen
müsse, als die Regierung eines Parvenu dies zu thun gezwungen ist?" Müßige
Frage, vorlängst beantwortet durch Thaten, die nackt vor Aller Augen liegen!
Ja wohl, das gegenwärtige preußische Ministerium hat bereits der Preßfreiheit
engere Schranken gezogen als Napoleon der Dritte oder der weiße Czar oder
irgend ein Beherrscher irgend eines civilisirten Staates der Gegenwart. Und
nimmermehr frommt es der guten Sache, diese ernste Thatsache dadurch zu
mildern, daß man über die Beweggründe der Negierung gutmüthige Vermuthun¬
gen aufstellt, wie diese: „keine Frage, die über die Presse verhängten Ma߬
regeln sind nicht etwa aus despotischen Gelüst, sondern aus Wohlmeinung für
den Thron und das Land hervorgegangen." Wir gäben viel darum, wenn
ein Satz wie dieser niemals Eingang gefunden hätte in die Spalten eines
liberalen preußischen Blatts. Auch Karl der Erste von England, auch Karl
der Zehnte von Frankreich haben im guten Glauben gehandelt, und wie damals
Engländer und Franzosen, so sollen heute die Preußen kalt und stolz von sich
weisen jedes beschwichtigende Wort, das sie ablenken könnte von dem Einen
allein rettenden Gedanken: das Recht des Landes ist verletzt und wer ein gu¬
ter Bürger ist, der wirke, daß es wiederhergestellt werde. Noch einen andren
Grund der Hoffnung finden die Jahrbücher in den Worten der Einleitung zu
der Preßverordnung selber, welche ja nur die Absicht hat, „die Preßfreiheit
selbst aus den Boden der Sittlichkeit und der Selbstachtung zurückzuführen!"
Also, die Minister versichern in derselben Verordnung, welche die v.on ihnen
beschworen? Verfassung verletzt: „wir stehen auf dem Boden der Sittlichkeit",
und die Preuß. Jahrbücher glauben ihrem Worte und leben der Hoffnung, die
Regierung werde nur die Verletzung der Sittlichkeit durch Verwarnungen be¬
strafen! Wir haben es nie für möglich gehalten, daß die menschliche Ver-
trauensseligkeit einer so grenzenlosen Ausdehnung fähig sei. Gewaltsam unter¬
drücken wir die starken Worte, welche sich unwillkürlich in unsre Feder drän¬
gen, und fragen die Jahrbücher nur: wie hat die Regierung bisher ihr Wort
Grenzboten III. 1S63. Is
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