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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band.

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mit dem Gefühl der Sehnsucht durchaus Analoges. Der erste Laut entspricht
dem schneidenden Schmerze, welcher mit der lebendigen Vorstellung des unbe¬
friedigten Verlangens verbunden ist, der zweite dem weichen und tiefen An¬
klänge der sich immer wieder erzeugenden Sehnsucht. Indem nun diese zwei
Klänge immer im höchsten Indus der Strophe stehen und Gehör und Gefühl
des Lesers auf sich hinziehen und mit steigender Heftigkeit durch seine Seele
tönen, erhält das ganze Gedicht eine solche Eindringlichkeit, musikalische Kraft
und Wahrheit, daß es sich uns unvertilgbar ins Gemüth prägt, wie der
Klageton einer vor Sehnsucht sterbenden Liebe selbst."

Es ist einleuchtend, daß bei der Uebertragung solcher Stellen in eine an¬
dere Sprache die lautlicher Vorzüge meist ganz verloren gehen und daß
schon deshalb ein gutes Originalstück von einer Uebersetzung schwerlich, vielleicht
niemals ganz erreicht werden kann. Erst bei einer Vergleichung solcher Ueber¬
setzungen mit dem Original kommen die Eigenthümlichkeiten des letztern zur
klaren Anschauung. Wir wollen auch dieses an einigen Beispielen nachzuweisen
versuchen.

Im Liede von der Glocke heißt es bei der Schilderung der Feuersbrunst:


Hört ihr's wimmern hoch vom Thurm?
Das ist Sturm!
Roth wie Blut
Ist der Himmel!
Das ist nicht des Tages Gluth!

A. Brochier übersetzt diese Stelle folgendermaßen:


^contes, ach tours les eloolres Zölnisseut,!
^ir! e'sse an bktkrvi
I,g> luZudrk voix;
lies cieux Sö rougisseot,
Ds couleur as 8g,RA,
vor" <Z"8 doux <in ^jour naiskÄnt.

Die wunderbar ergreifende Wirkung, die im Originale durch das wieder¬
holte u, und die harten Eonsonanten hervorgebracht wird, geht in der sonst
nicht schlechten Uebersetzung verloren. Ebendort heißt es an einer spätern
Stelle:


of la tour sainte
son grave et kort
I,g, oloolw linke
Du Il^alio 6e rrwrt.

Von dem Dome
Schwer und bang
Tönt die Glocke
Grabgesang.

Den feierlichen Klang des a und 0 in Verbindung mit den dumpfen
Nasenlauten hat Brochier in ein schwächliches Wimmern umgewandelt. In
dieser Beziehung ist die Uebersetzung von Poyrelle. die sonst der erstem meistens


mit dem Gefühl der Sehnsucht durchaus Analoges. Der erste Laut entspricht
dem schneidenden Schmerze, welcher mit der lebendigen Vorstellung des unbe¬
friedigten Verlangens verbunden ist, der zweite dem weichen und tiefen An¬
klänge der sich immer wieder erzeugenden Sehnsucht. Indem nun diese zwei
Klänge immer im höchsten Indus der Strophe stehen und Gehör und Gefühl
des Lesers auf sich hinziehen und mit steigender Heftigkeit durch seine Seele
tönen, erhält das ganze Gedicht eine solche Eindringlichkeit, musikalische Kraft
und Wahrheit, daß es sich uns unvertilgbar ins Gemüth prägt, wie der
Klageton einer vor Sehnsucht sterbenden Liebe selbst."

Es ist einleuchtend, daß bei der Uebertragung solcher Stellen in eine an¬
dere Sprache die lautlicher Vorzüge meist ganz verloren gehen und daß
schon deshalb ein gutes Originalstück von einer Uebersetzung schwerlich, vielleicht
niemals ganz erreicht werden kann. Erst bei einer Vergleichung solcher Ueber¬
setzungen mit dem Original kommen die Eigenthümlichkeiten des letztern zur
klaren Anschauung. Wir wollen auch dieses an einigen Beispielen nachzuweisen
versuchen.

Im Liede von der Glocke heißt es bei der Schilderung der Feuersbrunst:


Hört ihr's wimmern hoch vom Thurm?
Das ist Sturm!
Roth wie Blut
Ist der Himmel!
Das ist nicht des Tages Gluth!

A. Brochier übersetzt diese Stelle folgendermaßen:


^contes, ach tours les eloolres Zölnisseut,!
^ir! e'sse an bktkrvi
I,g> luZudrk voix;
lies cieux Sö rougisseot,
Ds couleur as 8g,RA,
vor» <Z«8 doux <in ^jour naiskÄnt.

Die wunderbar ergreifende Wirkung, die im Originale durch das wieder¬
holte u, und die harten Eonsonanten hervorgebracht wird, geht in der sonst
nicht schlechten Uebersetzung verloren. Ebendort heißt es an einer spätern
Stelle:


of la tour sainte
son grave et kort
I,g, oloolw linke
Du Il^alio 6e rrwrt.

Von dem Dome
Schwer und bang
Tönt die Glocke
Grabgesang.

Den feierlichen Klang des a und 0 in Verbindung mit den dumpfen
Nasenlauten hat Brochier in ein schwächliches Wimmern umgewandelt. In
dieser Beziehung ist die Uebersetzung von Poyrelle. die sonst der erstem meistens


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[0069] mit dem Gefühl der Sehnsucht durchaus Analoges. Der erste Laut entspricht dem schneidenden Schmerze, welcher mit der lebendigen Vorstellung des unbe¬ friedigten Verlangens verbunden ist, der zweite dem weichen und tiefen An¬ klänge der sich immer wieder erzeugenden Sehnsucht. Indem nun diese zwei Klänge immer im höchsten Indus der Strophe stehen und Gehör und Gefühl des Lesers auf sich hinziehen und mit steigender Heftigkeit durch seine Seele tönen, erhält das ganze Gedicht eine solche Eindringlichkeit, musikalische Kraft und Wahrheit, daß es sich uns unvertilgbar ins Gemüth prägt, wie der Klageton einer vor Sehnsucht sterbenden Liebe selbst." Es ist einleuchtend, daß bei der Uebertragung solcher Stellen in eine an¬ dere Sprache die lautlicher Vorzüge meist ganz verloren gehen und daß schon deshalb ein gutes Originalstück von einer Uebersetzung schwerlich, vielleicht niemals ganz erreicht werden kann. Erst bei einer Vergleichung solcher Ueber¬ setzungen mit dem Original kommen die Eigenthümlichkeiten des letztern zur klaren Anschauung. Wir wollen auch dieses an einigen Beispielen nachzuweisen versuchen. Im Liede von der Glocke heißt es bei der Schilderung der Feuersbrunst: Hört ihr's wimmern hoch vom Thurm? Das ist Sturm! Roth wie Blut Ist der Himmel! Das ist nicht des Tages Gluth! A. Brochier übersetzt diese Stelle folgendermaßen: ^contes, ach tours les eloolres Zölnisseut,! ^ir! e'sse an bktkrvi I,g> luZudrk voix; lies cieux Sö rougisseot, Ds couleur as 8g,RA, vor» <Z«8 doux <in ^jour naiskÄnt. Die wunderbar ergreifende Wirkung, die im Originale durch das wieder¬ holte u, und die harten Eonsonanten hervorgebracht wird, geht in der sonst nicht schlechten Uebersetzung verloren. Ebendort heißt es an einer spätern Stelle: of la tour sainte son grave et kort I,g, oloolw linke Du Il^alio 6e rrwrt. Von dem Dome Schwer und bang Tönt die Glocke Grabgesang. Den feierlichen Klang des a und 0 in Verbindung mit den dumpfen Nasenlauten hat Brochier in ein schwächliches Wimmern umgewandelt. In dieser Beziehung ist die Uebersetzung von Poyrelle. die sonst der erstem meistens

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/69>, abgerufen am 20.10.2024.