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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band.

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Polizei- und Verwaltungsstellen mit höchster Konsequenz eifrige Diener des
neuen Systems einsetzen, damit die Ueberwachung des Volkes zuverlässiger und
energischer werde, durch solche Mittel den Moment vorbereiten, wo die gegen¬
wärtige Verfassung sich als durchaus unverträglich mit dem Wohl des Staates
erweise -- so etwa ist der Plan, welcher mit seinen Hintergedanken mehr oder
weniger deutlich durchgedacht wurde, für dessen Verwirklichung man bereits
kräftige Anläufe genommen hat.

Es ist wahr, der Plan und sein Ziel ist im Ganzen von beschränkten
Menschen ausgedacht, und Herr v. Bismark ist weit davon entfernt, eine solche
systematische menschenfeindliche Reaction zu wünschen, -- wenn sie irgend
vermieden werden kann. Sie wird für ihn nicht gar zu vermeiden sein. Er hat
auch unter den Altliberalen einzelne Freunde, welche ihm Besseres zutrauen:
Daß ihm bei seinen alten Parteigenossen unheimlich werde, daß er unter allen
Umständen eine große demonstrative Vernichtung der Verfassung vermeiden werde.
Solcher Unthat widerstehe ja auch das wiederholt gegebene Wort des Königs.
Man wird die Verfassung nur interpretiren, wie man bereits gethan hat. Man
wird versuchen müssen, ohne Budget fortzuregieren. Was das Herrenhaus ein¬
mal gethan hat, kann es ja wieder thun. Zuletzt geht darüber Zeit hin und
irgend eine äußere Verwickelung bringt Gelegenheit zu der großen Action, von
welcher schon seit Jahren die Rede ist, welche Preußens Stellung gänzlich
umwirft, die Gegner der Regierung zum Schweigen bringt und wieder eine
neue Zeit über Preußen herausführt.

Wir fürchten, die Aerzte des Staats werden vergebens auf ein äußeres Ereigniß
warten, welches wohlthätig den kranken Körper des Staates mit neuer Lebens¬
kraft erfüllt. Es ist eine trostlose und sehr gefährliche Ansicht, vom Auslande
eine Heilung innerer Schäden zu erwarten, welche die Negierung in friedlicher
Zeit zu heilen nicht im Stande ist. Es ist vergebliche Hoffnung, eine neue
Kraftentwickelung, Wärme, Hingabe, Begeisterung von einem Volke zu erhoffen,
welches so lebhaft fühlt, daß die Erkrankung eines kräftigen Staates nicht besser
gehoben werden kann, als durch Entfernung des gegenwärtigen Ministeriums-
Es ist endlich eine sanguinische Annahme, daß die Mächte Europas dem gegen¬
wärtigen Preußen irgend einen selbständigen Antheil an der Regelung irgend wel¬
cher europäischen Verhältnisse gestatten werden. Nur falsche Schritte, welche den
Staat in neue Gefahren stürzen, werden mit Schadenfreude zugelassen werden.
Und nach welcher Richtung will das Ministerium in Deutschland und Europa
Thatkraft erweisen? In Hessen? gegen Dänemark? Denn höher hinauf denkt
wohl Herr v. Vismark selbst nicht. Nun, wenn ihm gelänge, alles Widerstrebende
zu überwinden und einige Armeecorps in Bewegung zu setzen, die tiefe, gewal¬
tige Abneigung, welche die große Majorität der Preußen gegen die gegenwär¬
tige Regierungskunst empfindet, wird er dadurch nicht ausheben. Er würde


Polizei- und Verwaltungsstellen mit höchster Konsequenz eifrige Diener des
neuen Systems einsetzen, damit die Ueberwachung des Volkes zuverlässiger und
energischer werde, durch solche Mittel den Moment vorbereiten, wo die gegen¬
wärtige Verfassung sich als durchaus unverträglich mit dem Wohl des Staates
erweise — so etwa ist der Plan, welcher mit seinen Hintergedanken mehr oder
weniger deutlich durchgedacht wurde, für dessen Verwirklichung man bereits
kräftige Anläufe genommen hat.

Es ist wahr, der Plan und sein Ziel ist im Ganzen von beschränkten
Menschen ausgedacht, und Herr v. Bismark ist weit davon entfernt, eine solche
systematische menschenfeindliche Reaction zu wünschen, — wenn sie irgend
vermieden werden kann. Sie wird für ihn nicht gar zu vermeiden sein. Er hat
auch unter den Altliberalen einzelne Freunde, welche ihm Besseres zutrauen:
Daß ihm bei seinen alten Parteigenossen unheimlich werde, daß er unter allen
Umständen eine große demonstrative Vernichtung der Verfassung vermeiden werde.
Solcher Unthat widerstehe ja auch das wiederholt gegebene Wort des Königs.
Man wird die Verfassung nur interpretiren, wie man bereits gethan hat. Man
wird versuchen müssen, ohne Budget fortzuregieren. Was das Herrenhaus ein¬
mal gethan hat, kann es ja wieder thun. Zuletzt geht darüber Zeit hin und
irgend eine äußere Verwickelung bringt Gelegenheit zu der großen Action, von
welcher schon seit Jahren die Rede ist, welche Preußens Stellung gänzlich
umwirft, die Gegner der Regierung zum Schweigen bringt und wieder eine
neue Zeit über Preußen herausführt.

Wir fürchten, die Aerzte des Staats werden vergebens auf ein äußeres Ereigniß
warten, welches wohlthätig den kranken Körper des Staates mit neuer Lebens¬
kraft erfüllt. Es ist eine trostlose und sehr gefährliche Ansicht, vom Auslande
eine Heilung innerer Schäden zu erwarten, welche die Negierung in friedlicher
Zeit zu heilen nicht im Stande ist. Es ist vergebliche Hoffnung, eine neue
Kraftentwickelung, Wärme, Hingabe, Begeisterung von einem Volke zu erhoffen,
welches so lebhaft fühlt, daß die Erkrankung eines kräftigen Staates nicht besser
gehoben werden kann, als durch Entfernung des gegenwärtigen Ministeriums-
Es ist endlich eine sanguinische Annahme, daß die Mächte Europas dem gegen¬
wärtigen Preußen irgend einen selbständigen Antheil an der Regelung irgend wel¬
cher europäischen Verhältnisse gestatten werden. Nur falsche Schritte, welche den
Staat in neue Gefahren stürzen, werden mit Schadenfreude zugelassen werden.
Und nach welcher Richtung will das Ministerium in Deutschland und Europa
Thatkraft erweisen? In Hessen? gegen Dänemark? Denn höher hinauf denkt
wohl Herr v. Vismark selbst nicht. Nun, wenn ihm gelänge, alles Widerstrebende
zu überwinden und einige Armeecorps in Bewegung zu setzen, die tiefe, gewal¬
tige Abneigung, welche die große Majorität der Preußen gegen die gegenwär¬
tige Regierungskunst empfindet, wird er dadurch nicht ausheben. Er würde


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/487>, abgerufen am 20.10.2024.