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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band.

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zubringen, wird er nicht einmal die Militärfrage, noch weniger den tiefen Con¬
flict zwischen Regierung und Volksvertretung versöhnen. -- Allerdings, er ist klüger
als, seine Vorgänger, er hat in Frankfurt und Paris nicht wenig gelernt. Er wnd
vorläufig versuchen, die öffentliche Meinung ein wenig zu redigiren, durch Be¬
einflussung der Presse, durch die Urbanität gegen Oppositionsmitglieder, welche
dem Minister eines großen Staates so wohl ansteht, und durch ähnliche Hülfs¬
mittel einer chevaleresken Natur. 'Aber,er wird sehr bald erkennen, daß in der
gegenwärtigen Lage des Staats diese Mittel ihre helfende Kraft verloren haben.
Gegen die geschlossene Masse einer festen, zähen, erbitterten Opposition,
welche ihrer eigenen Größe und Kraft sich noch kaum ganz bewußt ist, wird der
heitere Schimmer eines weltmännischen Liberalismus, der ihn vor den übrigen
Mitgliedern des Ministeriums auszeichnet, wirkungslos glänzen. Ob er eine
Ahnung von der souveränen Stimmung hat , mit welcher die Führer der
Opposition in Preußen, mit welcher das gesammte Ausland seine leichtherzige
Betriebsamkeit betrachtet? Jedermann ist überzeugt, daß er sehr ungern sich
zu einem Staatsstreich, und zu dem, was damit zusammenhängt, entschließen
wird. Ein geschworener Eid ist immerhin keine kleine Sache, und seine Ver¬
letzung mag in irgend einer Zukunft folgenschwer werden. Aber alte Gegner trauen
ihm zu, daß ihm dieser Schritt bei Allem, was er Hartnäckigkeit und Unverstand
der Volksvertretung nennen mag, zuletzt unerläßlich scheinen wird und daß
er das Staatsschiff mit der Leichtigkeit, welche ihn auszeichnet, in die Brandung
führen wird. Seit Monaten predigt die June'erpartei in ihren Blättern un¬
ermüdlich, daß eine Aenderung der Verfassung Noth thue, warum sollte er
sich nicht zuletzt erinnern, daß er ja doch der Partei angehört, und daß, die
kleinen Angriffe, welche jetzt extreme Blätter dieser Richtung auf ihn zu machen
veranlaßt waren, nicht mehr zeitgemäß sind? Er wird auf das Aussehen eines
unbefangenen Beobachters der politischen Zustände verzichten müssen und sich
dem ruhigen, gleichmäßigen, durch geistreiche Ideen nicht übermäßig beschwer¬
ten Gange einer massiven Reaction einfügen.

Tendenz und Zielpunkte dieser Reaction, welche nicht durch eine einzelne
große Persönlichkeit getragen, sondern durch Stimmung und Wünsche sehr
verschiedener einflußreicher Individuen geleitet wird, sind jetzt deutlich zu
erkennen. Die Presse durch Gewaltmaßregeln abhalten, daß sie nicht die
Unzufriedenheit mit dem gegenwärtigen Ministerium vermehre, die liberalen
Beamten durch Versetzungen und Amtsentlassungcn einschüchtern, damit sie sich
von dem Verfassungsleben des Volkes entfernt halten, das Haus der Abgeordneten
von den besonnenen Mitgliedern, welche im Staatsdienst stehn, säubern,
damit die schlechte Gesinnung desselben durch radicale Wahlen um so auf¬
fälliger werde und der Negierung ein Recht gebe, dem Volke gegenüber die
Unbrauchbarkeit des Abgeordnetenhauses hervor zu heben; in alle einflußreichen


zubringen, wird er nicht einmal die Militärfrage, noch weniger den tiefen Con¬
flict zwischen Regierung und Volksvertretung versöhnen. — Allerdings, er ist klüger
als, seine Vorgänger, er hat in Frankfurt und Paris nicht wenig gelernt. Er wnd
vorläufig versuchen, die öffentliche Meinung ein wenig zu redigiren, durch Be¬
einflussung der Presse, durch die Urbanität gegen Oppositionsmitglieder, welche
dem Minister eines großen Staates so wohl ansteht, und durch ähnliche Hülfs¬
mittel einer chevaleresken Natur. 'Aber,er wird sehr bald erkennen, daß in der
gegenwärtigen Lage des Staats diese Mittel ihre helfende Kraft verloren haben.
Gegen die geschlossene Masse einer festen, zähen, erbitterten Opposition,
welche ihrer eigenen Größe und Kraft sich noch kaum ganz bewußt ist, wird der
heitere Schimmer eines weltmännischen Liberalismus, der ihn vor den übrigen
Mitgliedern des Ministeriums auszeichnet, wirkungslos glänzen. Ob er eine
Ahnung von der souveränen Stimmung hat , mit welcher die Führer der
Opposition in Preußen, mit welcher das gesammte Ausland seine leichtherzige
Betriebsamkeit betrachtet? Jedermann ist überzeugt, daß er sehr ungern sich
zu einem Staatsstreich, und zu dem, was damit zusammenhängt, entschließen
wird. Ein geschworener Eid ist immerhin keine kleine Sache, und seine Ver¬
letzung mag in irgend einer Zukunft folgenschwer werden. Aber alte Gegner trauen
ihm zu, daß ihm dieser Schritt bei Allem, was er Hartnäckigkeit und Unverstand
der Volksvertretung nennen mag, zuletzt unerläßlich scheinen wird und daß
er das Staatsschiff mit der Leichtigkeit, welche ihn auszeichnet, in die Brandung
führen wird. Seit Monaten predigt die June'erpartei in ihren Blättern un¬
ermüdlich, daß eine Aenderung der Verfassung Noth thue, warum sollte er
sich nicht zuletzt erinnern, daß er ja doch der Partei angehört, und daß, die
kleinen Angriffe, welche jetzt extreme Blätter dieser Richtung auf ihn zu machen
veranlaßt waren, nicht mehr zeitgemäß sind? Er wird auf das Aussehen eines
unbefangenen Beobachters der politischen Zustände verzichten müssen und sich
dem ruhigen, gleichmäßigen, durch geistreiche Ideen nicht übermäßig beschwer¬
ten Gange einer massiven Reaction einfügen.

Tendenz und Zielpunkte dieser Reaction, welche nicht durch eine einzelne
große Persönlichkeit getragen, sondern durch Stimmung und Wünsche sehr
verschiedener einflußreicher Individuen geleitet wird, sind jetzt deutlich zu
erkennen. Die Presse durch Gewaltmaßregeln abhalten, daß sie nicht die
Unzufriedenheit mit dem gegenwärtigen Ministerium vermehre, die liberalen
Beamten durch Versetzungen und Amtsentlassungcn einschüchtern, damit sie sich
von dem Verfassungsleben des Volkes entfernt halten, das Haus der Abgeordneten
von den besonnenen Mitgliedern, welche im Staatsdienst stehn, säubern,
damit die schlechte Gesinnung desselben durch radicale Wahlen um so auf¬
fälliger werde und der Negierung ein Recht gebe, dem Volke gegenüber die
Unbrauchbarkeit des Abgeordnetenhauses hervor zu heben; in alle einflußreichen


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[0486] zubringen, wird er nicht einmal die Militärfrage, noch weniger den tiefen Con¬ flict zwischen Regierung und Volksvertretung versöhnen. — Allerdings, er ist klüger als, seine Vorgänger, er hat in Frankfurt und Paris nicht wenig gelernt. Er wnd vorläufig versuchen, die öffentliche Meinung ein wenig zu redigiren, durch Be¬ einflussung der Presse, durch die Urbanität gegen Oppositionsmitglieder, welche dem Minister eines großen Staates so wohl ansteht, und durch ähnliche Hülfs¬ mittel einer chevaleresken Natur. 'Aber,er wird sehr bald erkennen, daß in der gegenwärtigen Lage des Staats diese Mittel ihre helfende Kraft verloren haben. Gegen die geschlossene Masse einer festen, zähen, erbitterten Opposition, welche ihrer eigenen Größe und Kraft sich noch kaum ganz bewußt ist, wird der heitere Schimmer eines weltmännischen Liberalismus, der ihn vor den übrigen Mitgliedern des Ministeriums auszeichnet, wirkungslos glänzen. Ob er eine Ahnung von der souveränen Stimmung hat , mit welcher die Führer der Opposition in Preußen, mit welcher das gesammte Ausland seine leichtherzige Betriebsamkeit betrachtet? Jedermann ist überzeugt, daß er sehr ungern sich zu einem Staatsstreich, und zu dem, was damit zusammenhängt, entschließen wird. Ein geschworener Eid ist immerhin keine kleine Sache, und seine Ver¬ letzung mag in irgend einer Zukunft folgenschwer werden. Aber alte Gegner trauen ihm zu, daß ihm dieser Schritt bei Allem, was er Hartnäckigkeit und Unverstand der Volksvertretung nennen mag, zuletzt unerläßlich scheinen wird und daß er das Staatsschiff mit der Leichtigkeit, welche ihn auszeichnet, in die Brandung führen wird. Seit Monaten predigt die June'erpartei in ihren Blättern un¬ ermüdlich, daß eine Aenderung der Verfassung Noth thue, warum sollte er sich nicht zuletzt erinnern, daß er ja doch der Partei angehört, und daß, die kleinen Angriffe, welche jetzt extreme Blätter dieser Richtung auf ihn zu machen veranlaßt waren, nicht mehr zeitgemäß sind? Er wird auf das Aussehen eines unbefangenen Beobachters der politischen Zustände verzichten müssen und sich dem ruhigen, gleichmäßigen, durch geistreiche Ideen nicht übermäßig beschwer¬ ten Gange einer massiven Reaction einfügen. Tendenz und Zielpunkte dieser Reaction, welche nicht durch eine einzelne große Persönlichkeit getragen, sondern durch Stimmung und Wünsche sehr verschiedener einflußreicher Individuen geleitet wird, sind jetzt deutlich zu erkennen. Die Presse durch Gewaltmaßregeln abhalten, daß sie nicht die Unzufriedenheit mit dem gegenwärtigen Ministerium vermehre, die liberalen Beamten durch Versetzungen und Amtsentlassungcn einschüchtern, damit sie sich von dem Verfassungsleben des Volkes entfernt halten, das Haus der Abgeordneten von den besonnenen Mitgliedern, welche im Staatsdienst stehn, säubern, damit die schlechte Gesinnung desselben durch radicale Wahlen um so auf¬ fälliger werde und der Negierung ein Recht gebe, dem Volke gegenüber die Unbrauchbarkeit des Abgeordnetenhauses hervor zu heben; in alle einflußreichen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/486>, abgerufen am 27.09.2024.