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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band.

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und zog ihn selbst, in noch bedeutsamerer Weise als bisher, wieder in die
Oeffentlichkeit zurück.

Das Jahr 1330 macht in der Geschichte des parlamentarischen Lebens in
Deutschland dadurch Epoche, daß die nationalen Ideen mit Macht in die ab¬
geschlossenen Räume der einzelnen Ständekammern eindrangen. Die heftige,
wenn auch kurz andauernde Erschütterung, welche plötzlich das künstliche Gebäude
des europäischen Friedens in Frage stellte, brachte schnell zum allgemeinen
Bewußtsein, wie trügerisch die Grundlagen der bestehenden Verhältnisse waren,
und die bald eintretende Reaction schärfte nur das Gefühl, daß die einzelnen
Kammern, um sich eines selbständigen politischen Lebens zu erfreuen, einer
anderen Garantie bedürfen, als Minister- und Gesandtencvnferenzen, daß mit
einem Wort alles Arbeiten sür verfassungsmäßige Freiheit illusorisch, so lange
nicht der Zustand des Gcsammtvaterlands gebessert sei. Es war dies ein weiterer
Fortschritt der würtembergischen Opposition, deren Häupter - neben Uhland
seine Freunde Paul Pfizer und Schott -- jetzt vorwiegend diese nationale Seite
betonten, während Römer seine unerbittlichen Angriffe mehr auf die innere Ver¬
waltung concentrirte. Psizers Briefwechsel zweier Deutschen, der als aus Süd¬
deutschland kommend doppelt bedeutsam war, erschien als die nächste Aeußerung
dieser nationalen Richtung.

Als der Landtag zusammentrat, -- er heißt noch heute der "vergebliche"
-- hatten sich die Fluthen der Bewegung bereits wieder verlaufen, die väter¬
liche Polizei des Bundes war schon in vollem Zuge. Aber die Wahlen waren
in die Zeit lebhafter Aufregung gefallen, die Reaction hatte nur die entschlos-
sene Kraft der Opposition gesteigert, auf der Vvrversammlung zu Voll hatte
sie ihre Taktik verabredet, und so war der kurze Landtag -- er dauerte vom
15. Januar bis 23. März 1833 einer der inhaltreichsten und bewegtesten im
parlamentarischen Leben des kleinen Landes. Die Frage der Zulassung mehrer
Abgeordneten, die als Mitglieder der Burschenschaft einst verfolgt worden waren,
der Zulassung des Freiherrn von Wangenheim, der als Ausländer auf den An¬
trag der Regierung gleichfalls ausgeschlossen werden sollte, die scharfe Kritik
des Budgets hatten die lebhaftesten Debatten erregt, bis dann mit der bekann¬
ten Psizerschen Motion gegen die Bundestagsbeschlüsse vom 28. Juni 1832 die
Kammer sich auf die Höhe ihrer Aufgabe stellte.

Uhland war es zugefallen, sowohl über die Zulassung Wangenheims, als
über die Psizersche Motion den Commissionsbericht zu erstatten. In jener Be-
ziehung war es schon ein menschlich anziehendes Schauspiel, die Vertheidigung
des liberalen Freiherrn und Ausländers jetzt durch seinen ehemaligen Gegner,
den Rubiner des guten Alten gegen das bessere Neue, mit solcher Wärme der
Ueberzeugung geführt zu sehen. In beredten Worten vindicirte Uhland dem
Freiherr" ein geistiges Heimathsrecht, das acht von der Scholle abhänge, das


und zog ihn selbst, in noch bedeutsamerer Weise als bisher, wieder in die
Oeffentlichkeit zurück.

Das Jahr 1330 macht in der Geschichte des parlamentarischen Lebens in
Deutschland dadurch Epoche, daß die nationalen Ideen mit Macht in die ab¬
geschlossenen Räume der einzelnen Ständekammern eindrangen. Die heftige,
wenn auch kurz andauernde Erschütterung, welche plötzlich das künstliche Gebäude
des europäischen Friedens in Frage stellte, brachte schnell zum allgemeinen
Bewußtsein, wie trügerisch die Grundlagen der bestehenden Verhältnisse waren,
und die bald eintretende Reaction schärfte nur das Gefühl, daß die einzelnen
Kammern, um sich eines selbständigen politischen Lebens zu erfreuen, einer
anderen Garantie bedürfen, als Minister- und Gesandtencvnferenzen, daß mit
einem Wort alles Arbeiten sür verfassungsmäßige Freiheit illusorisch, so lange
nicht der Zustand des Gcsammtvaterlands gebessert sei. Es war dies ein weiterer
Fortschritt der würtembergischen Opposition, deren Häupter - neben Uhland
seine Freunde Paul Pfizer und Schott — jetzt vorwiegend diese nationale Seite
betonten, während Römer seine unerbittlichen Angriffe mehr auf die innere Ver¬
waltung concentrirte. Psizers Briefwechsel zweier Deutschen, der als aus Süd¬
deutschland kommend doppelt bedeutsam war, erschien als die nächste Aeußerung
dieser nationalen Richtung.

Als der Landtag zusammentrat, — er heißt noch heute der „vergebliche"
— hatten sich die Fluthen der Bewegung bereits wieder verlaufen, die väter¬
liche Polizei des Bundes war schon in vollem Zuge. Aber die Wahlen waren
in die Zeit lebhafter Aufregung gefallen, die Reaction hatte nur die entschlos-
sene Kraft der Opposition gesteigert, auf der Vvrversammlung zu Voll hatte
sie ihre Taktik verabredet, und so war der kurze Landtag — er dauerte vom
15. Januar bis 23. März 1833 einer der inhaltreichsten und bewegtesten im
parlamentarischen Leben des kleinen Landes. Die Frage der Zulassung mehrer
Abgeordneten, die als Mitglieder der Burschenschaft einst verfolgt worden waren,
der Zulassung des Freiherrn von Wangenheim, der als Ausländer auf den An¬
trag der Regierung gleichfalls ausgeschlossen werden sollte, die scharfe Kritik
des Budgets hatten die lebhaftesten Debatten erregt, bis dann mit der bekann¬
ten Psizerschen Motion gegen die Bundestagsbeschlüsse vom 28. Juni 1832 die
Kammer sich auf die Höhe ihrer Aufgabe stellte.

Uhland war es zugefallen, sowohl über die Zulassung Wangenheims, als
über die Psizersche Motion den Commissionsbericht zu erstatten. In jener Be-
ziehung war es schon ein menschlich anziehendes Schauspiel, die Vertheidigung
des liberalen Freiherrn und Ausländers jetzt durch seinen ehemaligen Gegner,
den Rubiner des guten Alten gegen das bessere Neue, mit solcher Wärme der
Ueberzeugung geführt zu sehen. In beredten Worten vindicirte Uhland dem
Freiherr« ein geistiges Heimathsrecht, das acht von der Scholle abhänge, das


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/425>, abgerufen am 20.10.2024.