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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band.

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er sich durch seine frühern vielseitigen Verdienste, durch seinen Antheil am Vcr-
fassungswcrk erworben und durch das Andenken, das er sich im Land bewahrt
habe. So möge ihm denn, schloß der Bericht, da keine klare Nothwendigkeit
des Gegentheils in der Verfassung vorliege, dieses geistige Wvhnrecht in Wür-
temberg unverkümmert bleiben -- herrliche Worte im Munde dessen, der einst
so ängstlich das Recht und die Sitte des Hauses gegen den Fremdling gewahrt
hatte, und ein glänzender Beweis, wie mit den reiferen Jahren sich der Ge¬
sichtskreis des starren Altwürtcmbergers erweitert hatte.

In der Berichterstattung über die Psizersche Motion aber, die nebst den
sie motivirenden Reden für die damaligen Zeiten eine fast unerhörte Kühnheit
war, war es neben den politischen Gründen noch jener Zug persönlicher Wahr¬
haftigkeit, der in dem Berichte Uhlands zu einem ebenso mannhaften als übcr-
zeugungsticfen Ausdruck gelangte. Die Negierung hatte nämlich in einem eignen
Schreiben von der Kammer verlangt, sie solle den Antrag "mit verdientem
Unwillen" zurückweisen. Das; hiemit der Kammer sogar eine bestimmte Ge¬
müthsstimmung angesonnen wurde, dagegen empörte sich die Gewissenhaftigkeit des
Berichterstatters mit aller Macht, und so protestirte denn die von ihm verfaßte
Adresse feierlich gegen eine solche Beeinträchtigung der Freiheit der Kammer,
gegen diese vorgreifende Einsch'reitung in den gemessenen Gang der Verhand¬
lung, welche dem Beschluß der Kammer das Gepräge leidenschaftsloser Erwä¬
gung im voraus rauben wolle. Die Annahme dieser Adresse Halle sofort die
höchst ungnädige Auflösung der Kammer zur Folge.

Der nächste Landtag begann mit einem persönliche Opfer für Uhland.
Wie anderen Staatsdienern der Opposition war ihm der Urlaub verweigert
worden; er legte seine Professur nieder, wie Römer sein Staatsamt -- Pfizer
war schon nach dem Erscheinen des Briefwechsels zweier Deutschen aus dem
Staatsdienst getreten -- um seinen Sitz in der Kammer wieder einzunehmen.
Die Regierung hatte seinem Entlassungsgesuch "sehr gern" entsprochen.

Aber unter weit ungünstigeren Verhältnissen nahm jetzt die Opposition
ihren Kampf gegen die Regierung und gegen den Bundestag wieder auf. Die
Regierung hatte durch die Beeinflussung der Wahlen eine fügsamere Mehrheit
gewonnen, und was nützte es, wenn auch die Anträge auf Preßfreiheit und
Wahlfreiheit angenommen wurden, was nützte es, wenn Pfizer unermüdlich
für eine Vertretung der Nation am Bundestag stritt? Diese Mahnworte, diese
Angriffe waren im würtembergischen Ständesaal nicht an die rechte Adresse
gerichtet. Und doch konnten sie andrerseits wieder nirgends ertönen als eben
in den Einzelkammcrn. So verhallten sie denn fast wirkungslos, ja es lag
etwas Wahres darin, wenn die Regierung zu verstehen gab, daß durch solche
Angriffe ihre liberalisirendc Stellung dem Bunde gegenüber nur compromittirt
und so eine ganz andere Wirkung, als beabsichtigt war, erzielt würde. Im


er sich durch seine frühern vielseitigen Verdienste, durch seinen Antheil am Vcr-
fassungswcrk erworben und durch das Andenken, das er sich im Land bewahrt
habe. So möge ihm denn, schloß der Bericht, da keine klare Nothwendigkeit
des Gegentheils in der Verfassung vorliege, dieses geistige Wvhnrecht in Wür-
temberg unverkümmert bleiben — herrliche Worte im Munde dessen, der einst
so ängstlich das Recht und die Sitte des Hauses gegen den Fremdling gewahrt
hatte, und ein glänzender Beweis, wie mit den reiferen Jahren sich der Ge¬
sichtskreis des starren Altwürtcmbergers erweitert hatte.

In der Berichterstattung über die Psizersche Motion aber, die nebst den
sie motivirenden Reden für die damaligen Zeiten eine fast unerhörte Kühnheit
war, war es neben den politischen Gründen noch jener Zug persönlicher Wahr¬
haftigkeit, der in dem Berichte Uhlands zu einem ebenso mannhaften als übcr-
zeugungsticfen Ausdruck gelangte. Die Negierung hatte nämlich in einem eignen
Schreiben von der Kammer verlangt, sie solle den Antrag „mit verdientem
Unwillen" zurückweisen. Das; hiemit der Kammer sogar eine bestimmte Ge¬
müthsstimmung angesonnen wurde, dagegen empörte sich die Gewissenhaftigkeit des
Berichterstatters mit aller Macht, und so protestirte denn die von ihm verfaßte
Adresse feierlich gegen eine solche Beeinträchtigung der Freiheit der Kammer,
gegen diese vorgreifende Einsch'reitung in den gemessenen Gang der Verhand¬
lung, welche dem Beschluß der Kammer das Gepräge leidenschaftsloser Erwä¬
gung im voraus rauben wolle. Die Annahme dieser Adresse Halle sofort die
höchst ungnädige Auflösung der Kammer zur Folge.

Der nächste Landtag begann mit einem persönliche Opfer für Uhland.
Wie anderen Staatsdienern der Opposition war ihm der Urlaub verweigert
worden; er legte seine Professur nieder, wie Römer sein Staatsamt — Pfizer
war schon nach dem Erscheinen des Briefwechsels zweier Deutschen aus dem
Staatsdienst getreten — um seinen Sitz in der Kammer wieder einzunehmen.
Die Regierung hatte seinem Entlassungsgesuch „sehr gern" entsprochen.

Aber unter weit ungünstigeren Verhältnissen nahm jetzt die Opposition
ihren Kampf gegen die Regierung und gegen den Bundestag wieder auf. Die
Regierung hatte durch die Beeinflussung der Wahlen eine fügsamere Mehrheit
gewonnen, und was nützte es, wenn auch die Anträge auf Preßfreiheit und
Wahlfreiheit angenommen wurden, was nützte es, wenn Pfizer unermüdlich
für eine Vertretung der Nation am Bundestag stritt? Diese Mahnworte, diese
Angriffe waren im würtembergischen Ständesaal nicht an die rechte Adresse
gerichtet. Und doch konnten sie andrerseits wieder nirgends ertönen als eben
in den Einzelkammcrn. So verhallten sie denn fast wirkungslos, ja es lag
etwas Wahres darin, wenn die Regierung zu verstehen gab, daß durch solche
Angriffe ihre liberalisirendc Stellung dem Bunde gegenüber nur compromittirt
und so eine ganz andere Wirkung, als beabsichtigt war, erzielt würde. Im


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/426>, abgerufen am 27.09.2024.