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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band.

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Die revolutionär-despotische Wirthschaft, welche der König seit nahezu
zehn Jahren geübt, hatte ihm die Herzen, das Vertrauen seiner Unterthanen
gründlich entfremdet. Mochte er geben oder nehmen, Gnade oder Strafe üben,
das Volk kannte ihm gegenüber nur Furcht und Mißtrauen. Zu schwer hatte
seine Hand in die persönliche Freiheit eingegriffen, zu schwer lasteten der
Steuerdruck, das Auswanderungsverbot, der Jagdübermuth, die Censur, die
Willkür der Vervvdnungsweisheit, endlich die Ausbeutung der Landeskräfte für
fremde Zwecke auf dem ganzen Volk. In dieser Periode, da jedes Recht der
absoluten Willkür zum Opfer fiel, wandte sich die Sehnsucht dem alten Rechte
zu. und je längere Zeit darüber hingegangen war, seitdem die Verfassung in
Wirksamkeit gewesen, je gründlicher durch das bisherige Zerstörungswerk jede
Spur davon vertilgt war, um so idealer und besser erschien sie dem zurück¬
gewandten Blicke. Es kam just überhaupt jene Zähigkeit des schwäbischen
Stamms zum Vorschein, die an dem Alten um seiner selbst willen festhält und
gegen das Neuere, wenn es nicht auf Grund des Bestehenden sich entwickelt,
zumal wenn es als ein von außen Eingeführtes sich darstellt oder gar durch
Fremde vertreten wird, einen instinktiven Widerwillen faßt, welcher der sich
aufdrängenden Gewalt gegenüber zu hartnäckigem Widerstand sich steigert. Und
unterstützt wurde diese Zähigkeit noch durch die besondere Richtung der Zeit,
die überall auf das Alte. Angestammte zurückging und aus dem ernsten Gericht -
das auf Leipzigs Flur über Fürsten und Völker erging, die Lehre zog. daß es
vorbei sei mit dem absoluten Fürstenrecht, daß dieses sich mit dem gleich un¬
veräußerlichen Rechte des Volks auseinanderzusetzen habe. Selbst demokra¬
tische Elemente konnten sich ebenso gut mit dieser Opposition verbinden, als die
Vertheidiger der neuen Staatsideen sich auf den fortgeschrittenen Geist der
Zeit beriefen.

In diesem Sinn forderten die Patnoten, als Friedrich die Hand zu einer
Verfassung bot, vor Allem das gute, alte Recht wieder, nicht als ob dies nun
unverändert das Staatsgesetz für die neue Ordnung sein sollte, aber als die
unerläßliche Grundlage für zeitgemäßen Fortschritt. Der Fürst, der so lange
die Geißel der Willkür über sein Volk geschwungen, sollte zurücktreten auf den
Boden des Vertrags, den er einst selbst beschworen, er sollte, wenn er seinem Volk die
Hand-reichen wollte, zuerst anerkennen, daß auch dieses ein unverjährtes anererbtes
Recht besitze. Es war vielleicht weniger eine politische, als eine ethische For¬
derung, und in diesem Simr schlug Uhland seine Leyer an, indem er dem Ver¬
langen des Volks nach dem guten, alten Recht in jenen schlichten und doch so
eindringlichen Liedern Ausdruck gab, die zuerst als Flugblätter von Hand zu Hand
gingen und dann in die zweite Ausgabe seiner Gedichte (1817) aufgenommen
wurden.

In Versen, die ewig einen Widerhall finden werden, so oft in einem Lande


Die revolutionär-despotische Wirthschaft, welche der König seit nahezu
zehn Jahren geübt, hatte ihm die Herzen, das Vertrauen seiner Unterthanen
gründlich entfremdet. Mochte er geben oder nehmen, Gnade oder Strafe üben,
das Volk kannte ihm gegenüber nur Furcht und Mißtrauen. Zu schwer hatte
seine Hand in die persönliche Freiheit eingegriffen, zu schwer lasteten der
Steuerdruck, das Auswanderungsverbot, der Jagdübermuth, die Censur, die
Willkür der Vervvdnungsweisheit, endlich die Ausbeutung der Landeskräfte für
fremde Zwecke auf dem ganzen Volk. In dieser Periode, da jedes Recht der
absoluten Willkür zum Opfer fiel, wandte sich die Sehnsucht dem alten Rechte
zu. und je längere Zeit darüber hingegangen war, seitdem die Verfassung in
Wirksamkeit gewesen, je gründlicher durch das bisherige Zerstörungswerk jede
Spur davon vertilgt war, um so idealer und besser erschien sie dem zurück¬
gewandten Blicke. Es kam just überhaupt jene Zähigkeit des schwäbischen
Stamms zum Vorschein, die an dem Alten um seiner selbst willen festhält und
gegen das Neuere, wenn es nicht auf Grund des Bestehenden sich entwickelt,
zumal wenn es als ein von außen Eingeführtes sich darstellt oder gar durch
Fremde vertreten wird, einen instinktiven Widerwillen faßt, welcher der sich
aufdrängenden Gewalt gegenüber zu hartnäckigem Widerstand sich steigert. Und
unterstützt wurde diese Zähigkeit noch durch die besondere Richtung der Zeit,
die überall auf das Alte. Angestammte zurückging und aus dem ernsten Gericht -
das auf Leipzigs Flur über Fürsten und Völker erging, die Lehre zog. daß es
vorbei sei mit dem absoluten Fürstenrecht, daß dieses sich mit dem gleich un¬
veräußerlichen Rechte des Volks auseinanderzusetzen habe. Selbst demokra¬
tische Elemente konnten sich ebenso gut mit dieser Opposition verbinden, als die
Vertheidiger der neuen Staatsideen sich auf den fortgeschrittenen Geist der
Zeit beriefen.

In diesem Sinn forderten die Patnoten, als Friedrich die Hand zu einer
Verfassung bot, vor Allem das gute, alte Recht wieder, nicht als ob dies nun
unverändert das Staatsgesetz für die neue Ordnung sein sollte, aber als die
unerläßliche Grundlage für zeitgemäßen Fortschritt. Der Fürst, der so lange
die Geißel der Willkür über sein Volk geschwungen, sollte zurücktreten auf den
Boden des Vertrags, den er einst selbst beschworen, er sollte, wenn er seinem Volk die
Hand-reichen wollte, zuerst anerkennen, daß auch dieses ein unverjährtes anererbtes
Recht besitze. Es war vielleicht weniger eine politische, als eine ethische For¬
derung, und in diesem Simr schlug Uhland seine Leyer an, indem er dem Ver¬
langen des Volks nach dem guten, alten Recht in jenen schlichten und doch so
eindringlichen Liedern Ausdruck gab, die zuerst als Flugblätter von Hand zu Hand
gingen und dann in die zweite Ausgabe seiner Gedichte (1817) aufgenommen
wurden.

In Versen, die ewig einen Widerhall finden werden, so oft in einem Lande


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[0420] Die revolutionär-despotische Wirthschaft, welche der König seit nahezu zehn Jahren geübt, hatte ihm die Herzen, das Vertrauen seiner Unterthanen gründlich entfremdet. Mochte er geben oder nehmen, Gnade oder Strafe üben, das Volk kannte ihm gegenüber nur Furcht und Mißtrauen. Zu schwer hatte seine Hand in die persönliche Freiheit eingegriffen, zu schwer lasteten der Steuerdruck, das Auswanderungsverbot, der Jagdübermuth, die Censur, die Willkür der Vervvdnungsweisheit, endlich die Ausbeutung der Landeskräfte für fremde Zwecke auf dem ganzen Volk. In dieser Periode, da jedes Recht der absoluten Willkür zum Opfer fiel, wandte sich die Sehnsucht dem alten Rechte zu. und je längere Zeit darüber hingegangen war, seitdem die Verfassung in Wirksamkeit gewesen, je gründlicher durch das bisherige Zerstörungswerk jede Spur davon vertilgt war, um so idealer und besser erschien sie dem zurück¬ gewandten Blicke. Es kam just überhaupt jene Zähigkeit des schwäbischen Stamms zum Vorschein, die an dem Alten um seiner selbst willen festhält und gegen das Neuere, wenn es nicht auf Grund des Bestehenden sich entwickelt, zumal wenn es als ein von außen Eingeführtes sich darstellt oder gar durch Fremde vertreten wird, einen instinktiven Widerwillen faßt, welcher der sich aufdrängenden Gewalt gegenüber zu hartnäckigem Widerstand sich steigert. Und unterstützt wurde diese Zähigkeit noch durch die besondere Richtung der Zeit, die überall auf das Alte. Angestammte zurückging und aus dem ernsten Gericht - das auf Leipzigs Flur über Fürsten und Völker erging, die Lehre zog. daß es vorbei sei mit dem absoluten Fürstenrecht, daß dieses sich mit dem gleich un¬ veräußerlichen Rechte des Volks auseinanderzusetzen habe. Selbst demokra¬ tische Elemente konnten sich ebenso gut mit dieser Opposition verbinden, als die Vertheidiger der neuen Staatsideen sich auf den fortgeschrittenen Geist der Zeit beriefen. In diesem Sinn forderten die Patnoten, als Friedrich die Hand zu einer Verfassung bot, vor Allem das gute, alte Recht wieder, nicht als ob dies nun unverändert das Staatsgesetz für die neue Ordnung sein sollte, aber als die unerläßliche Grundlage für zeitgemäßen Fortschritt. Der Fürst, der so lange die Geißel der Willkür über sein Volk geschwungen, sollte zurücktreten auf den Boden des Vertrags, den er einst selbst beschworen, er sollte, wenn er seinem Volk die Hand-reichen wollte, zuerst anerkennen, daß auch dieses ein unverjährtes anererbtes Recht besitze. Es war vielleicht weniger eine politische, als eine ethische For¬ derung, und in diesem Simr schlug Uhland seine Leyer an, indem er dem Ver¬ langen des Volks nach dem guten, alten Recht in jenen schlichten und doch so eindringlichen Liedern Ausdruck gab, die zuerst als Flugblätter von Hand zu Hand gingen und dann in die zweite Ausgabe seiner Gedichte (1817) aufgenommen wurden. In Versen, die ewig einen Widerhall finden werden, so oft in einem Lande

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/420>, abgerufen am 20.10.2024.