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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band.

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ähnlich" Verhältnisse eintreten, fleht er zu Gott, daß er an des Königs Ohr sprechen
möge, zu dem des Volkes Stimme nicht dringen könne, betont er, daß das Recht
ein angebornes gemeinsames Gut sei, das in jedem Erdensöhne liegt und in
uns wie Himmelsblut quillt, daß erst dann das innere Recht ins Leben tritt,
wenn der Vertrag ihm Bestand gibt, daß Weisheit nicht das Recht begraben,
noch Wohlfahrt es ersetzen mag. Die Fürsten ruft er auf, indem er sie an
Leipzig erinnert, nicht zu vertrösten, zu halten jetzt, was sie gelobt, und die
Völker, nicht zu vergessen, daß sie zwar die fremden Horden zermalmt, aber
daß sich im Innern noch nichts gesellt:


Und freier seid ihr nicht geworden,
Wenn ihr das Recht nicht festgestellt.

Und zum Neujahr 1817 wünscht er nach der fürchterlichen Theurungszeit seinem
Volke ein gesegnet Jahr und Korn und Wein und das alte, gute Recht:


Denn soll der Mensch im Leibe leben,
So brauchet er sein täglich Brod,
Und soll er sich zum Geist erheben,
So ist ihm seine Freiheit Noth!

Mehre dieser Gedichte sind direct an die Adresse des Ministers von
Wangenheim gerichtet, den genialen Staatsmann, der dann, als König Wil¬
helm das unterbrochene Verfassungsmerk wieder aufnahm, der Vertreter der
modernen Reformideen wurde und sie mit dem Recht Altwürtembergs zu ver¬
mitteln hatte, aber nur zu oft durch seinen geistreichen rücksichtslosen Uebermuth
die Gefühle der Altwürtemberger im Innersten kränkte und verletzte. Ihm gilt
das "Hausrecht", worin dem vertriebenen Ausländer ein Asyl gewährt wird
unter der Bedingung, daß er ungeschwächt lasse der Väter heilge Sitte, des
Hauses heilig Recht. Ihm gilt die Zurechtweisung in dem Gedicht: "Das Herz
für unser Volk" und die epigrammatische Schärfe des "Gesprächs", worin
immer wieder dem Besseren das Gute, dem Schwung und der Schöpfungskraft
das stille allmälige Wirken, und dem hochfliegenden Geist, der die Zeit nach
sich raffen will, das alte, gute Recht entgegengestellt wird.

Ueberaus charakteristisch für die damalige Kreuzung der verschiedenen poli¬
tischen Ideen ist ein Aufruf in Prosa, den Uhland im Jahre 1817 a" die
Volksvertreter richtete, als König Wilhelm zum ersten Mal mit dem Vorschlag
des Zweikammersystems hervorgetreten war. Der vorige König hatte, gerade
um dem Adel keine selbständige Stellung einzuräumen, ein fast demokratisches
Einkammersystem aufgestellt, das die Stände verworfen hatten. Die Wangen-
heimsche Schöpfung einer Adelskammer aber sagte den Altrechtlem ebenso we¬
nig zu. Und hier erkennen wir nun deutlich den Einfluß der Ideen der Auf¬
klärung und Revolution, der keineswegs spurlos an ihnen vorübergegangen
War, wie er auch in den Uhlandschen Gedichten stellenweise hervortritt, nur


ähnlich« Verhältnisse eintreten, fleht er zu Gott, daß er an des Königs Ohr sprechen
möge, zu dem des Volkes Stimme nicht dringen könne, betont er, daß das Recht
ein angebornes gemeinsames Gut sei, das in jedem Erdensöhne liegt und in
uns wie Himmelsblut quillt, daß erst dann das innere Recht ins Leben tritt,
wenn der Vertrag ihm Bestand gibt, daß Weisheit nicht das Recht begraben,
noch Wohlfahrt es ersetzen mag. Die Fürsten ruft er auf, indem er sie an
Leipzig erinnert, nicht zu vertrösten, zu halten jetzt, was sie gelobt, und die
Völker, nicht zu vergessen, daß sie zwar die fremden Horden zermalmt, aber
daß sich im Innern noch nichts gesellt:


Und freier seid ihr nicht geworden,
Wenn ihr das Recht nicht festgestellt.

Und zum Neujahr 1817 wünscht er nach der fürchterlichen Theurungszeit seinem
Volke ein gesegnet Jahr und Korn und Wein und das alte, gute Recht:


Denn soll der Mensch im Leibe leben,
So brauchet er sein täglich Brod,
Und soll er sich zum Geist erheben,
So ist ihm seine Freiheit Noth!

Mehre dieser Gedichte sind direct an die Adresse des Ministers von
Wangenheim gerichtet, den genialen Staatsmann, der dann, als König Wil¬
helm das unterbrochene Verfassungsmerk wieder aufnahm, der Vertreter der
modernen Reformideen wurde und sie mit dem Recht Altwürtembergs zu ver¬
mitteln hatte, aber nur zu oft durch seinen geistreichen rücksichtslosen Uebermuth
die Gefühle der Altwürtemberger im Innersten kränkte und verletzte. Ihm gilt
das „Hausrecht", worin dem vertriebenen Ausländer ein Asyl gewährt wird
unter der Bedingung, daß er ungeschwächt lasse der Väter heilge Sitte, des
Hauses heilig Recht. Ihm gilt die Zurechtweisung in dem Gedicht: „Das Herz
für unser Volk" und die epigrammatische Schärfe des „Gesprächs", worin
immer wieder dem Besseren das Gute, dem Schwung und der Schöpfungskraft
das stille allmälige Wirken, und dem hochfliegenden Geist, der die Zeit nach
sich raffen will, das alte, gute Recht entgegengestellt wird.

Ueberaus charakteristisch für die damalige Kreuzung der verschiedenen poli¬
tischen Ideen ist ein Aufruf in Prosa, den Uhland im Jahre 1817 a» die
Volksvertreter richtete, als König Wilhelm zum ersten Mal mit dem Vorschlag
des Zweikammersystems hervorgetreten war. Der vorige König hatte, gerade
um dem Adel keine selbständige Stellung einzuräumen, ein fast demokratisches
Einkammersystem aufgestellt, das die Stände verworfen hatten. Die Wangen-
heimsche Schöpfung einer Adelskammer aber sagte den Altrechtlem ebenso we¬
nig zu. Und hier erkennen wir nun deutlich den Einfluß der Ideen der Auf¬
klärung und Revolution, der keineswegs spurlos an ihnen vorübergegangen
War, wie er auch in den Uhlandschen Gedichten stellenweise hervortritt, nur


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[0421] ähnlich« Verhältnisse eintreten, fleht er zu Gott, daß er an des Königs Ohr sprechen möge, zu dem des Volkes Stimme nicht dringen könne, betont er, daß das Recht ein angebornes gemeinsames Gut sei, das in jedem Erdensöhne liegt und in uns wie Himmelsblut quillt, daß erst dann das innere Recht ins Leben tritt, wenn der Vertrag ihm Bestand gibt, daß Weisheit nicht das Recht begraben, noch Wohlfahrt es ersetzen mag. Die Fürsten ruft er auf, indem er sie an Leipzig erinnert, nicht zu vertrösten, zu halten jetzt, was sie gelobt, und die Völker, nicht zu vergessen, daß sie zwar die fremden Horden zermalmt, aber daß sich im Innern noch nichts gesellt: Und freier seid ihr nicht geworden, Wenn ihr das Recht nicht festgestellt. Und zum Neujahr 1817 wünscht er nach der fürchterlichen Theurungszeit seinem Volke ein gesegnet Jahr und Korn und Wein und das alte, gute Recht: Denn soll der Mensch im Leibe leben, So brauchet er sein täglich Brod, Und soll er sich zum Geist erheben, So ist ihm seine Freiheit Noth! Mehre dieser Gedichte sind direct an die Adresse des Ministers von Wangenheim gerichtet, den genialen Staatsmann, der dann, als König Wil¬ helm das unterbrochene Verfassungsmerk wieder aufnahm, der Vertreter der modernen Reformideen wurde und sie mit dem Recht Altwürtembergs zu ver¬ mitteln hatte, aber nur zu oft durch seinen geistreichen rücksichtslosen Uebermuth die Gefühle der Altwürtemberger im Innersten kränkte und verletzte. Ihm gilt das „Hausrecht", worin dem vertriebenen Ausländer ein Asyl gewährt wird unter der Bedingung, daß er ungeschwächt lasse der Väter heilge Sitte, des Hauses heilig Recht. Ihm gilt die Zurechtweisung in dem Gedicht: „Das Herz für unser Volk" und die epigrammatische Schärfe des „Gesprächs", worin immer wieder dem Besseren das Gute, dem Schwung und der Schöpfungskraft das stille allmälige Wirken, und dem hochfliegenden Geist, der die Zeit nach sich raffen will, das alte, gute Recht entgegengestellt wird. Ueberaus charakteristisch für die damalige Kreuzung der verschiedenen poli¬ tischen Ideen ist ein Aufruf in Prosa, den Uhland im Jahre 1817 a» die Volksvertreter richtete, als König Wilhelm zum ersten Mal mit dem Vorschlag des Zweikammersystems hervorgetreten war. Der vorige König hatte, gerade um dem Adel keine selbständige Stellung einzuräumen, ein fast demokratisches Einkammersystem aufgestellt, das die Stände verworfen hatten. Die Wangen- heimsche Schöpfung einer Adelskammer aber sagte den Altrechtlem ebenso we¬ nig zu. Und hier erkennen wir nun deutlich den Einfluß der Ideen der Auf¬ klärung und Revolution, der keineswegs spurlos an ihnen vorübergegangen War, wie er auch in den Uhlandschen Gedichten stellenweise hervortritt, nur

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/421>, abgerufen am 27.09.2024.