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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band.

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Opposition setzt den Staat in eine neue Gefahr. Nicht ohne Sorge muß be¬
reits die Majorität des Hauses auf die zuchtlosen radicalen Elemente blicken,
welche im Volke selbst das Haupt emporheben. Keine erwähnenswerthe Namen
und, so weit sichtbar, keine politischen Talente, aber überall Persönlichkeiten,
welche einem Pessimismus und republikanischen Wallungen ungestümen Aus¬
druck zu geben suchen. Es wäre noch kein großer Nachtheil, wenn, wie bei
fortdauernder Krisis zu erwarten steht, die nächsten etwa bevorstehenden Wahlen
zehn bis zwölf solche Entschlossene unter die Vertreter dLS Volkes senden soll¬
ten, aber es ist vorauszusehen, daß bei einem Beharren der Krone auf der be¬
tretenen Bahn allmälig eine gewisse Verzweiflung an der Möglichkeit der gesetz¬
lichen Entwickelung auch in dem Volke überhandnehmen und die republikamschen
Stimmungen populärer machen wird. Eine solche Eventualität wird nur dann
ungefährlich, wenn die gesammte politische Intelligenz des Volkes zu einer
großen zusammenwirkenden Partei verschmilzt.

In der Militärsrage selbst, der Veranlassung des schwebenden Conflicts,
steht unzweifelhaft die große Majorität des Volkes auf Seiten der verwerfenden
Majorität. Allerdings aus sehr verschiedenen gemüthlichen Motiven: Furcht
vor Steuerdruck, Groll gegen die privilegirte Stellung des Offiziercorps im
Staate, Pietät gegen die Idee der Landwehr, Abneigung gegen das gegen¬
wärtige Ministerium. Aber wir meinen, daß die Festigkeit der Opposition
zugleich die beste politische Berechtigung hat. Denn nur ein entschlossener
Widerstand gegen eine Forderung, welche einmal durch ausgezeichnetes
Ungeschick in ihrer Behandlung entschieden unpopulär geworden ist, vermag
der Volksvertretung in Preußen, gegenüber einflußreichen Stimmungen, die
Stellung zu geben, welche zum Wohl des Staats unentbehrlich rst. Das noch
bestehende Ministerium vermochte nicht Preußens Ansehen in Europa aufrecht zu
erhalten, es vermochte nicht, die nothwendigsten innern Reformen durchzuführen,
es vermochte es schon deshalb nicht, weil es das Vertrauen des Volkes
unwiederbringlich verloren hatte. Es darf aber in Preußen keine Regierung,
welche in Feindschaft mit der großen Majorität des Volkes und seiner Ver¬
treter dahinlebt, conservirt werden, ohne den Staat in die größten Gefahren
zu setzen, es darf fortan auch keine neue Regierung gebildet werden, welcher nicht
dies Vertrauen zur Stütze wird.

Ob die Militärfrage die beste Kampfstätte war, um eine Wahrheit zur
Geltung zu bringen, auf welcher die ganze Zukunft Preußens ruht, das zu
untersuchen, ist unnütz geworden. Die Frage war einmal da, durch eine Reihe
von Zufällen und Regierungsfehlern war sie zur brennenden Frage geworden.
Dem starken Unwillen des Volkes über einzelne Militärexcesse und über die
ministerielle Behandlung der Organisationsfrage verdankten die Männer der
Opposition zum großen Theil ihre Wahl zu Volksvertretern. Schon dadurch


Opposition setzt den Staat in eine neue Gefahr. Nicht ohne Sorge muß be¬
reits die Majorität des Hauses auf die zuchtlosen radicalen Elemente blicken,
welche im Volke selbst das Haupt emporheben. Keine erwähnenswerthe Namen
und, so weit sichtbar, keine politischen Talente, aber überall Persönlichkeiten,
welche einem Pessimismus und republikanischen Wallungen ungestümen Aus¬
druck zu geben suchen. Es wäre noch kein großer Nachtheil, wenn, wie bei
fortdauernder Krisis zu erwarten steht, die nächsten etwa bevorstehenden Wahlen
zehn bis zwölf solche Entschlossene unter die Vertreter dLS Volkes senden soll¬
ten, aber es ist vorauszusehen, daß bei einem Beharren der Krone auf der be¬
tretenen Bahn allmälig eine gewisse Verzweiflung an der Möglichkeit der gesetz¬
lichen Entwickelung auch in dem Volke überhandnehmen und die republikamschen
Stimmungen populärer machen wird. Eine solche Eventualität wird nur dann
ungefährlich, wenn die gesammte politische Intelligenz des Volkes zu einer
großen zusammenwirkenden Partei verschmilzt.

In der Militärsrage selbst, der Veranlassung des schwebenden Conflicts,
steht unzweifelhaft die große Majorität des Volkes auf Seiten der verwerfenden
Majorität. Allerdings aus sehr verschiedenen gemüthlichen Motiven: Furcht
vor Steuerdruck, Groll gegen die privilegirte Stellung des Offiziercorps im
Staate, Pietät gegen die Idee der Landwehr, Abneigung gegen das gegen¬
wärtige Ministerium. Aber wir meinen, daß die Festigkeit der Opposition
zugleich die beste politische Berechtigung hat. Denn nur ein entschlossener
Widerstand gegen eine Forderung, welche einmal durch ausgezeichnetes
Ungeschick in ihrer Behandlung entschieden unpopulär geworden ist, vermag
der Volksvertretung in Preußen, gegenüber einflußreichen Stimmungen, die
Stellung zu geben, welche zum Wohl des Staats unentbehrlich rst. Das noch
bestehende Ministerium vermochte nicht Preußens Ansehen in Europa aufrecht zu
erhalten, es vermochte nicht, die nothwendigsten innern Reformen durchzuführen,
es vermochte es schon deshalb nicht, weil es das Vertrauen des Volkes
unwiederbringlich verloren hatte. Es darf aber in Preußen keine Regierung,
welche in Feindschaft mit der großen Majorität des Volkes und seiner Ver¬
treter dahinlebt, conservirt werden, ohne den Staat in die größten Gefahren
zu setzen, es darf fortan auch keine neue Regierung gebildet werden, welcher nicht
dies Vertrauen zur Stütze wird.

Ob die Militärfrage die beste Kampfstätte war, um eine Wahrheit zur
Geltung zu bringen, auf welcher die ganze Zukunft Preußens ruht, das zu
untersuchen, ist unnütz geworden. Die Frage war einmal da, durch eine Reihe
von Zufällen und Regierungsfehlern war sie zur brennenden Frage geworden.
Dem starken Unwillen des Volkes über einzelne Militärexcesse und über die
ministerielle Behandlung der Organisationsfrage verdankten die Männer der
Opposition zum großen Theil ihre Wahl zu Volksvertretern. Schon dadurch


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[0037] Opposition setzt den Staat in eine neue Gefahr. Nicht ohne Sorge muß be¬ reits die Majorität des Hauses auf die zuchtlosen radicalen Elemente blicken, welche im Volke selbst das Haupt emporheben. Keine erwähnenswerthe Namen und, so weit sichtbar, keine politischen Talente, aber überall Persönlichkeiten, welche einem Pessimismus und republikanischen Wallungen ungestümen Aus¬ druck zu geben suchen. Es wäre noch kein großer Nachtheil, wenn, wie bei fortdauernder Krisis zu erwarten steht, die nächsten etwa bevorstehenden Wahlen zehn bis zwölf solche Entschlossene unter die Vertreter dLS Volkes senden soll¬ ten, aber es ist vorauszusehen, daß bei einem Beharren der Krone auf der be¬ tretenen Bahn allmälig eine gewisse Verzweiflung an der Möglichkeit der gesetz¬ lichen Entwickelung auch in dem Volke überhandnehmen und die republikamschen Stimmungen populärer machen wird. Eine solche Eventualität wird nur dann ungefährlich, wenn die gesammte politische Intelligenz des Volkes zu einer großen zusammenwirkenden Partei verschmilzt. In der Militärsrage selbst, der Veranlassung des schwebenden Conflicts, steht unzweifelhaft die große Majorität des Volkes auf Seiten der verwerfenden Majorität. Allerdings aus sehr verschiedenen gemüthlichen Motiven: Furcht vor Steuerdruck, Groll gegen die privilegirte Stellung des Offiziercorps im Staate, Pietät gegen die Idee der Landwehr, Abneigung gegen das gegen¬ wärtige Ministerium. Aber wir meinen, daß die Festigkeit der Opposition zugleich die beste politische Berechtigung hat. Denn nur ein entschlossener Widerstand gegen eine Forderung, welche einmal durch ausgezeichnetes Ungeschick in ihrer Behandlung entschieden unpopulär geworden ist, vermag der Volksvertretung in Preußen, gegenüber einflußreichen Stimmungen, die Stellung zu geben, welche zum Wohl des Staats unentbehrlich rst. Das noch bestehende Ministerium vermochte nicht Preußens Ansehen in Europa aufrecht zu erhalten, es vermochte nicht, die nothwendigsten innern Reformen durchzuführen, es vermochte es schon deshalb nicht, weil es das Vertrauen des Volkes unwiederbringlich verloren hatte. Es darf aber in Preußen keine Regierung, welche in Feindschaft mit der großen Majorität des Volkes und seiner Ver¬ treter dahinlebt, conservirt werden, ohne den Staat in die größten Gefahren zu setzen, es darf fortan auch keine neue Regierung gebildet werden, welcher nicht dies Vertrauen zur Stütze wird. Ob die Militärfrage die beste Kampfstätte war, um eine Wahrheit zur Geltung zu bringen, auf welcher die ganze Zukunft Preußens ruht, das zu untersuchen, ist unnütz geworden. Die Frage war einmal da, durch eine Reihe von Zufällen und Regierungsfehlern war sie zur brennenden Frage geworden. Dem starken Unwillen des Volkes über einzelne Militärexcesse und über die ministerielle Behandlung der Organisationsfrage verdankten die Männer der Opposition zum großen Theil ihre Wahl zu Volksvertretern. Schon dadurch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/37>, abgerufen am 19.10.2024.