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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band.

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Evangelischen zwischen 15 und 1600, Schulen gegen 1800. Südfrankreich
hat eine theologische Facultät mit 7 Professoren, eine andere befindet sich in
Straßburg, wo auch, wie in Paris und Nimes, ein Seminar ist. 18 Gesell¬
schaften arbeiten an der Verbreitung evangelischer Lehre in Frankreich, darunter
die Bibelgesellschaft, welche jährlich etwa 70.000 Bibeln verbreitet, und die
Centralgesellschaft. welche 55 Stationen hat und jährlich über hunderttausend
Francs für ihre Zwecke ausgibt. Alle diese Gesellschaften zusammen verwenden
im Jahr durchschnittlich anderthalb Millionen Francs, während der Staat für
den protestantischen Cultus 1,360,000 beisteuert.

Bekannt sind die furchtbaren Verfolgungen, welche die evangelische Kirche
in Frankreich zu erdulden hatte > die Pariser Bluthochzeit, die Dragonaden
Ludwigs des Vierzehnten, der Krieg, den die "Kirche der Wüste" in Langue-
doc und der Auvergne gegen die Bedränger ihres Glaubens führte. Weniger
vertraut dürfte man mit den letzten Wandelungen des Geschicks der Protestan¬
ten in Frankreich sein, Unter Ludwig dem Fünfzehnten begann ein milderes
Verfahren, und vor jetzt hundert Jahren beschlossen der Pfarrer Francois
Rochette mit den Brüdern Grenier und der unglückliche Calas den langen Zug
der Märtyrer. Ludwig der Sechszehnte war jedem Gedanken an Verfolgung
fremd. Sein Minister Malesherbe sagte: "Ich muß den Protestanten Gutes
thun; mein Ahnherr Baville hat ihnen (im Cevennenkrieg) so viel Böses ge¬
than." Die constituirende Nationalversammlung stellte 1789 die Protestanten
den Katholiken gleich und suchte jene für die Verluste, die ihnen die frühere
Verfolgung gebracht, zu entschädigen. Während der Schreckenszeit aber wurden
die evangelische wie die katholische Kirche mit gleicher Feindseligkeit behandelt.
Erst im Jahre drei thun sich die protestantischen Gotteshäuser wieder auf und
am 7. April 1802 erhalten die Gemeinden eine besondere Organisation.

Napoleon der Erste sagte den Präsidenten der protestantischen Conststorien:
"Ich halte sehr darauf, daß man wisse, wie es meine feste Absicht ist. die
Religionsfreiheit aufrecht zu erhalten. Weder das Gesetz noch der Fürst vermag
etwas wider sie, und sollte einer meiner Nachfolger aus meinem Geschlecht,
getäuscht durch die Eingebungen eines irrenden Gewissens, meinen Eid brechen,
so gebe ich ihn der allgemeinen Verachtung Preis, und Ihr möget ihm den
Namen Nero geben."

Die Restauration that direct nichts gegen die Protestanten, sah aber durch
die Finger. M im Süden fanatisches Volk dieselben verfolgte, und hatte keine
Strafe für das Gesindel, welches am 15. Nov. 1815 den neu eröffneten evan¬
gelischen Tempel in Nimes stürmte und mitten darin den General Lagarde
ermordete.

Napoleon der Dritte handelt im Geist seines Oheims, Wenn hier und
a noch über Druck geklagt wird, so liegt die Schuld an Beamten, die unter


Evangelischen zwischen 15 und 1600, Schulen gegen 1800. Südfrankreich
hat eine theologische Facultät mit 7 Professoren, eine andere befindet sich in
Straßburg, wo auch, wie in Paris und Nimes, ein Seminar ist. 18 Gesell¬
schaften arbeiten an der Verbreitung evangelischer Lehre in Frankreich, darunter
die Bibelgesellschaft, welche jährlich etwa 70.000 Bibeln verbreitet, und die
Centralgesellschaft. welche 55 Stationen hat und jährlich über hunderttausend
Francs für ihre Zwecke ausgibt. Alle diese Gesellschaften zusammen verwenden
im Jahr durchschnittlich anderthalb Millionen Francs, während der Staat für
den protestantischen Cultus 1,360,000 beisteuert.

Bekannt sind die furchtbaren Verfolgungen, welche die evangelische Kirche
in Frankreich zu erdulden hatte > die Pariser Bluthochzeit, die Dragonaden
Ludwigs des Vierzehnten, der Krieg, den die „Kirche der Wüste" in Langue-
doc und der Auvergne gegen die Bedränger ihres Glaubens führte. Weniger
vertraut dürfte man mit den letzten Wandelungen des Geschicks der Protestan¬
ten in Frankreich sein, Unter Ludwig dem Fünfzehnten begann ein milderes
Verfahren, und vor jetzt hundert Jahren beschlossen der Pfarrer Francois
Rochette mit den Brüdern Grenier und der unglückliche Calas den langen Zug
der Märtyrer. Ludwig der Sechszehnte war jedem Gedanken an Verfolgung
fremd. Sein Minister Malesherbe sagte: „Ich muß den Protestanten Gutes
thun; mein Ahnherr Baville hat ihnen (im Cevennenkrieg) so viel Böses ge¬
than." Die constituirende Nationalversammlung stellte 1789 die Protestanten
den Katholiken gleich und suchte jene für die Verluste, die ihnen die frühere
Verfolgung gebracht, zu entschädigen. Während der Schreckenszeit aber wurden
die evangelische wie die katholische Kirche mit gleicher Feindseligkeit behandelt.
Erst im Jahre drei thun sich die protestantischen Gotteshäuser wieder auf und
am 7. April 1802 erhalten die Gemeinden eine besondere Organisation.

Napoleon der Erste sagte den Präsidenten der protestantischen Conststorien:
„Ich halte sehr darauf, daß man wisse, wie es meine feste Absicht ist. die
Religionsfreiheit aufrecht zu erhalten. Weder das Gesetz noch der Fürst vermag
etwas wider sie, und sollte einer meiner Nachfolger aus meinem Geschlecht,
getäuscht durch die Eingebungen eines irrenden Gewissens, meinen Eid brechen,
so gebe ich ihn der allgemeinen Verachtung Preis, und Ihr möget ihm den
Namen Nero geben."

Die Restauration that direct nichts gegen die Protestanten, sah aber durch
die Finger. M im Süden fanatisches Volk dieselben verfolgte, und hatte keine
Strafe für das Gesindel, welches am 15. Nov. 1815 den neu eröffneten evan¬
gelischen Tempel in Nimes stürmte und mitten darin den General Lagarde
ermordete.

Napoleon der Dritte handelt im Geist seines Oheims, Wenn hier und
a noch über Druck geklagt wird, so liegt die Schuld an Beamten, die unter


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[0316] Evangelischen zwischen 15 und 1600, Schulen gegen 1800. Südfrankreich hat eine theologische Facultät mit 7 Professoren, eine andere befindet sich in Straßburg, wo auch, wie in Paris und Nimes, ein Seminar ist. 18 Gesell¬ schaften arbeiten an der Verbreitung evangelischer Lehre in Frankreich, darunter die Bibelgesellschaft, welche jährlich etwa 70.000 Bibeln verbreitet, und die Centralgesellschaft. welche 55 Stationen hat und jährlich über hunderttausend Francs für ihre Zwecke ausgibt. Alle diese Gesellschaften zusammen verwenden im Jahr durchschnittlich anderthalb Millionen Francs, während der Staat für den protestantischen Cultus 1,360,000 beisteuert. Bekannt sind die furchtbaren Verfolgungen, welche die evangelische Kirche in Frankreich zu erdulden hatte > die Pariser Bluthochzeit, die Dragonaden Ludwigs des Vierzehnten, der Krieg, den die „Kirche der Wüste" in Langue- doc und der Auvergne gegen die Bedränger ihres Glaubens führte. Weniger vertraut dürfte man mit den letzten Wandelungen des Geschicks der Protestan¬ ten in Frankreich sein, Unter Ludwig dem Fünfzehnten begann ein milderes Verfahren, und vor jetzt hundert Jahren beschlossen der Pfarrer Francois Rochette mit den Brüdern Grenier und der unglückliche Calas den langen Zug der Märtyrer. Ludwig der Sechszehnte war jedem Gedanken an Verfolgung fremd. Sein Minister Malesherbe sagte: „Ich muß den Protestanten Gutes thun; mein Ahnherr Baville hat ihnen (im Cevennenkrieg) so viel Böses ge¬ than." Die constituirende Nationalversammlung stellte 1789 die Protestanten den Katholiken gleich und suchte jene für die Verluste, die ihnen die frühere Verfolgung gebracht, zu entschädigen. Während der Schreckenszeit aber wurden die evangelische wie die katholische Kirche mit gleicher Feindseligkeit behandelt. Erst im Jahre drei thun sich die protestantischen Gotteshäuser wieder auf und am 7. April 1802 erhalten die Gemeinden eine besondere Organisation. Napoleon der Erste sagte den Präsidenten der protestantischen Conststorien: „Ich halte sehr darauf, daß man wisse, wie es meine feste Absicht ist. die Religionsfreiheit aufrecht zu erhalten. Weder das Gesetz noch der Fürst vermag etwas wider sie, und sollte einer meiner Nachfolger aus meinem Geschlecht, getäuscht durch die Eingebungen eines irrenden Gewissens, meinen Eid brechen, so gebe ich ihn der allgemeinen Verachtung Preis, und Ihr möget ihm den Namen Nero geben." Die Restauration that direct nichts gegen die Protestanten, sah aber durch die Finger. M im Süden fanatisches Volk dieselben verfolgte, und hatte keine Strafe für das Gesindel, welches am 15. Nov. 1815 den neu eröffneten evan¬ gelischen Tempel in Nimes stürmte und mitten darin den General Lagarde ermordete. Napoleon der Dritte handelt im Geist seines Oheims, Wenn hier und a noch über Druck geklagt wird, so liegt die Schuld an Beamten, die unter

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/316>, abgerufen am 20.10.2024.