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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band.

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Nachdem der erste Lärm vorüber war, ging das Redenhalten an. Erst
wurden die Befreiten in kurzer Ansprache vom Oberst empfangen; hierauf Er¬
widerung und endlose Cheers; dann allgemeines Durcheinander von Reden, die
Niemand verstand. Hurrahrufen, Cheers, Tigers, kurz ein so chaotisches Gewühl,
daß ein nicht ungewöhnlich starkes Trommelfell in dringender Gefahr war.
Sogar wir, die wir an Bord der Matanzas die meisten der Ankömmlinge kennen
gelernt hatten, bekamen unsere drei Cheers und der alte Sergeant, welcher natür¬
lich bei dieser feierlichen Gelegenheit den Whiskey nicht gespart hatte, ernannte
uns zu seinen speciellen Freunden, wodurch wir uns in Anbetracht seiner jüngst¬
erlangten Celebritcit sehr geschmeichelt fühlen mußten. Als die Aufregung vor¬
über war. concentrirten sich die verschiedenen Gesellschaften in den Zelten, wo
unter fortwährender Circulation von "^erse^ ligdwiriA" u. a. ähnlichen Ge¬
tränken, die Leiden der Gefangenschaft erzählt, der Vergangenheit gedacht, die
Zukunft besprochen wurde. Wir waren mit den Offizieren in das Adjutanten¬
zelt gezogen worden, welches sich mit den engeren Freunden derselben gefüllt
hatte. Die Illumination wurde bald durch einen auf eine Flasche gesteckten
Talglichtstumpf hergestellt, die unvermeidlichen Flaschen hervorgeholt; jeder
suchte sich so bequem wie möglich zu Placiren. und nun gings ans Erzählen.
Thränen der Wuth traten den starken Männern in die Augen, als sie sich der
Leiden, der Entbehrungen, der Vexationen erinnerten, welche sie von einem über¬
müthigen Feinde zu erdulden gehabt hatten, und bittres Rachegefühl spiegelte sich
in ihren Blicken, wenn sie an die Zukunft, an bevorstehende Schlachten dachten.

Sie haben sich bewährt; das neunundsiebzigste Regiment hat sich bei den Con-
föderirten den Namen "tus clevils" erworben. -- "Bei Port Royal-Ferry com-
mandirt mein Schwager die Rebellenvorposten," bemerkte ein Offizier; "ich habe
gestern noch an meine Schwester in New-Uork geschrieben, daß es mein erstes
Geschäft sein würde, sie zur Wittwe zu machen, wenn wir vorrücken, und ich
weiß, sie denkt wie ich." Im ganzen Regiment herrschte dieselbe Bitterkeit,
die sich in diesen Worten aussprach.

Allmälig fing das mörderische Getränk, welches uns von der wohlmeinen¬
den Freundlichkeit unserer Wirthe förmlich eingetrichtert wurde, an seine Wir¬
kung zu äußern und eine andre schottische Nationaleigenschaft, die Streitsucht,
zu Tage zu fördern. Zwei der Befreiten waren über einen unbedeutenden
Gegenstand nicht einig, und jeder vertheidigte seinen Standpunkt mit einer
solchen Hartnäckigkeit, daß diejenigen, welche zusammen auf dem Schlachtfelde
gestanden, zusammen verwundet, gefangen genommen worden waren und neun
Monate lang mit einander geduldet hatten, mit Revolvern auf einander los¬
gingen und nur mit Mühe von ihren Freunden, die schon selbst nahe daran
waren, für den einen oder andern Partei zu ergreifen und so den Kampf zu
einem allgemeinen zu machen, auseinander gebracht werden konnten. "


Nachdem der erste Lärm vorüber war, ging das Redenhalten an. Erst
wurden die Befreiten in kurzer Ansprache vom Oberst empfangen; hierauf Er¬
widerung und endlose Cheers; dann allgemeines Durcheinander von Reden, die
Niemand verstand. Hurrahrufen, Cheers, Tigers, kurz ein so chaotisches Gewühl,
daß ein nicht ungewöhnlich starkes Trommelfell in dringender Gefahr war.
Sogar wir, die wir an Bord der Matanzas die meisten der Ankömmlinge kennen
gelernt hatten, bekamen unsere drei Cheers und der alte Sergeant, welcher natür¬
lich bei dieser feierlichen Gelegenheit den Whiskey nicht gespart hatte, ernannte
uns zu seinen speciellen Freunden, wodurch wir uns in Anbetracht seiner jüngst¬
erlangten Celebritcit sehr geschmeichelt fühlen mußten. Als die Aufregung vor¬
über war. concentrirten sich die verschiedenen Gesellschaften in den Zelten, wo
unter fortwährender Circulation von „^erse^ ligdwiriA" u. a. ähnlichen Ge¬
tränken, die Leiden der Gefangenschaft erzählt, der Vergangenheit gedacht, die
Zukunft besprochen wurde. Wir waren mit den Offizieren in das Adjutanten¬
zelt gezogen worden, welches sich mit den engeren Freunden derselben gefüllt
hatte. Die Illumination wurde bald durch einen auf eine Flasche gesteckten
Talglichtstumpf hergestellt, die unvermeidlichen Flaschen hervorgeholt; jeder
suchte sich so bequem wie möglich zu Placiren. und nun gings ans Erzählen.
Thränen der Wuth traten den starken Männern in die Augen, als sie sich der
Leiden, der Entbehrungen, der Vexationen erinnerten, welche sie von einem über¬
müthigen Feinde zu erdulden gehabt hatten, und bittres Rachegefühl spiegelte sich
in ihren Blicken, wenn sie an die Zukunft, an bevorstehende Schlachten dachten.

Sie haben sich bewährt; das neunundsiebzigste Regiment hat sich bei den Con-
föderirten den Namen „tus clevils" erworben. — „Bei Port Royal-Ferry com-
mandirt mein Schwager die Rebellenvorposten," bemerkte ein Offizier; „ich habe
gestern noch an meine Schwester in New-Uork geschrieben, daß es mein erstes
Geschäft sein würde, sie zur Wittwe zu machen, wenn wir vorrücken, und ich
weiß, sie denkt wie ich." Im ganzen Regiment herrschte dieselbe Bitterkeit,
die sich in diesen Worten aussprach.

Allmälig fing das mörderische Getränk, welches uns von der wohlmeinen¬
den Freundlichkeit unserer Wirthe förmlich eingetrichtert wurde, an seine Wir¬
kung zu äußern und eine andre schottische Nationaleigenschaft, die Streitsucht,
zu Tage zu fördern. Zwei der Befreiten waren über einen unbedeutenden
Gegenstand nicht einig, und jeder vertheidigte seinen Standpunkt mit einer
solchen Hartnäckigkeit, daß diejenigen, welche zusammen auf dem Schlachtfelde
gestanden, zusammen verwundet, gefangen genommen worden waren und neun
Monate lang mit einander geduldet hatten, mit Revolvern auf einander los¬
gingen und nur mit Mühe von ihren Freunden, die schon selbst nahe daran
waren, für den einen oder andern Partei zu ergreifen und so den Kampf zu
einem allgemeinen zu machen, auseinander gebracht werden konnten. "


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/277>, abgerufen am 20.10.2024.