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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band.

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Verhältnissen um diese Zeit wissen wir nur Einzelnes und Abgerissenes." Der
in dem Briefe erwähnte Herr Bursche wohnte nach anderen Briefen in
Pulsnitz und war Seifensieder; der Pfarrer Wagner war der um Fichte
hoch verdiente Pastor zu Rammenau. Hier ist nämlich ein doppelter Irr¬
thum der Biographie zu berichtigen. Dieselbe (I, 7 f.) nennt diesen Mann
Diendorf. -- Es gab aber in Rammenau nur einen Pfarrer N. Johann
Gottfried Dinndorf -- so habe ich selbst den Namen in dem Kirchenbuche
gelesen -- und dieser starb, nachdem er ziemlich 53 Jahre sein Amt verwaltet,
am 19. März 17 64, also kaum zwei, Jahre nach Fichte's Geburt. Auf ihn
folgte zunächst U, Karl Christoph Nestler, und auf diesen am 5. August 1770
Adam Gottlob Wagner. Derselbe war, wie mir Herr Pastor Werner in Nam
mcnau mündlich mittheilte, vorher Erzieher auf dem herrschaftlichen Schlosse
gewesen und daher mit den Ortsverhältnissen und den Dorfbewohnern wohl
bekannt; und so empfahl er später den etwa zehnjährigen Fichte dem Herrn
von Miltitz, der gewünscht hatte, eine von Wagners Predigten zu hören. Aber
selbst hiervon abgesehen, und ein noch geringeres Alter angenommen -- wie
der Biograph sagt: "der Knabe mochte bereits acht oder neun Jahre alt gewor¬
den sein" --, kann immer nur an Wagner gedacht werden. Auch war derselbe,
wie ich selbst von andern Seiten in der Lausitz gehört ha?e, als Prediger be¬
rühmt. -- Jene Namensvcrwcchslung kann, wie Herr Pastor Werner ver¬
muthet, vielleicht dadurch entstanden sein, daß Fichte wohl zuweilen seiner Fa¬
milie von dem alten wackern, zu seiner Zeit noch nicht vergessenen, Dinndorf
erzählt daven mag, der während seiner langen Amtsführung gar Vieles erlebt
hatte, z. B. den siebenjährigen Krieg, einen Neubau der Kirche u. s. w.,
und der ein unermüdlich fleißiger Prediger war, denn er soll während
seines Lebens beinahe 8000 Mal gepredigt haben. -- Der damalige Gutsherr
von Rammenau wird in der Biographie (I, 7) Graf von Hoffmannsegg genannt.
Genau genommen aber hieß er damals nur Johann Albericus von Hoffmann
und war Geheimer Cabinets-Assistenzrath; denn erst- 17 79 wurde er unter dem
Namen Hoffmannsegg (er soll einen mit einer Egge verbundenen Pflug erfun¬
den haben) in den Reichsgrafenstand erhoben. -- Uebrigens ist bemerkenswerth,
wie in Fichte's Briefen mit der Zeit die Anreden wechseln: im ersten Briefe
nennt Fichte seinen Vater, "Ihr", in diesem "Er", in allen fernern aber nach
unserer Weise "Sie".

Im Sommer 1788 ging Fichte noch Zürich, wo er anderthalb Jahre
Erzieher im Hause eines angesehenen Gasthofbesitzers, Namens Ott,' war
(1, 32 f. 39). Ende März des Jahres 1790 reiste er von dort wieder ab und traf
in der ersten Hälfte des Mai in Leipzig ein. wo er den folgenden Brief an
seine Eltern schrieb, welchem auf der Rückseite desselben Blattes einer an sei'
nen Bruder Gotthelf angefügt ist.


Verhältnissen um diese Zeit wissen wir nur Einzelnes und Abgerissenes." Der
in dem Briefe erwähnte Herr Bursche wohnte nach anderen Briefen in
Pulsnitz und war Seifensieder; der Pfarrer Wagner war der um Fichte
hoch verdiente Pastor zu Rammenau. Hier ist nämlich ein doppelter Irr¬
thum der Biographie zu berichtigen. Dieselbe (I, 7 f.) nennt diesen Mann
Diendorf. — Es gab aber in Rammenau nur einen Pfarrer N. Johann
Gottfried Dinndorf — so habe ich selbst den Namen in dem Kirchenbuche
gelesen — und dieser starb, nachdem er ziemlich 53 Jahre sein Amt verwaltet,
am 19. März 17 64, also kaum zwei, Jahre nach Fichte's Geburt. Auf ihn
folgte zunächst U, Karl Christoph Nestler, und auf diesen am 5. August 1770
Adam Gottlob Wagner. Derselbe war, wie mir Herr Pastor Werner in Nam
mcnau mündlich mittheilte, vorher Erzieher auf dem herrschaftlichen Schlosse
gewesen und daher mit den Ortsverhältnissen und den Dorfbewohnern wohl
bekannt; und so empfahl er später den etwa zehnjährigen Fichte dem Herrn
von Miltitz, der gewünscht hatte, eine von Wagners Predigten zu hören. Aber
selbst hiervon abgesehen, und ein noch geringeres Alter angenommen — wie
der Biograph sagt: „der Knabe mochte bereits acht oder neun Jahre alt gewor¬
den sein" —, kann immer nur an Wagner gedacht werden. Auch war derselbe,
wie ich selbst von andern Seiten in der Lausitz gehört ha?e, als Prediger be¬
rühmt. — Jene Namensvcrwcchslung kann, wie Herr Pastor Werner ver¬
muthet, vielleicht dadurch entstanden sein, daß Fichte wohl zuweilen seiner Fa¬
milie von dem alten wackern, zu seiner Zeit noch nicht vergessenen, Dinndorf
erzählt daven mag, der während seiner langen Amtsführung gar Vieles erlebt
hatte, z. B. den siebenjährigen Krieg, einen Neubau der Kirche u. s. w.,
und der ein unermüdlich fleißiger Prediger war, denn er soll während
seines Lebens beinahe 8000 Mal gepredigt haben. — Der damalige Gutsherr
von Rammenau wird in der Biographie (I, 7) Graf von Hoffmannsegg genannt.
Genau genommen aber hieß er damals nur Johann Albericus von Hoffmann
und war Geheimer Cabinets-Assistenzrath; denn erst- 17 79 wurde er unter dem
Namen Hoffmannsegg (er soll einen mit einer Egge verbundenen Pflug erfun¬
den haben) in den Reichsgrafenstand erhoben. — Uebrigens ist bemerkenswerth,
wie in Fichte's Briefen mit der Zeit die Anreden wechseln: im ersten Briefe
nennt Fichte seinen Vater, „Ihr", in diesem „Er", in allen fernern aber nach
unserer Weise „Sie".

Im Sommer 1788 ging Fichte noch Zürich, wo er anderthalb Jahre
Erzieher im Hause eines angesehenen Gasthofbesitzers, Namens Ott,' war
(1, 32 f. 39). Ende März des Jahres 1790 reiste er von dort wieder ab und traf
in der ersten Hälfte des Mai in Leipzig ein. wo er den folgenden Brief an
seine Eltern schrieb, welchem auf der Rückseite desselben Blattes einer an sei'
nen Bruder Gotthelf angefügt ist.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114313/93>, abgerufen am 24.08.2024.