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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band.

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Herzöge von Anhalt, in deren Besitz das Fürstenthum gelangt war. die Ein¬
richtung getroffen, daß in Nikolai jährlich viermal evangelischer Gottesdienst in
deutscher und polnischer Zunge gehalten wurde. Später fand dieser Gottesdienst
achtmal im Jahre statt. Aber bis 1854 mußten die dort und in der Umgebung
wohnenden Protestanten ihre zu consirmirenden Kinder nach dem drei Meilen
entfernten PIcß schicken, und viele Kinder blieben ganz ohne Unterricht im
Glauben. Jetzt hat man eine eigne Kirche erbaut, zu welcher die Gustav-
Adolf-Stiftung beträchtlich beigesteuert hat. Die Stadt Frankenstein, früher
ganz protestantisch, wurde nach der östreichischen Besitzergreifung wieder der
katholischen Kirche zugeführt. Erst als Schlesien preußisch'geworden, fanden sich
wieder Evangelische ein, und jetzt zählt der Ort deren gegen 1500. Aber die
katholische Geistlichkeit ist sehr thätig, das Verlorne Terrain wieder zu erobern,
und namentlich sind die Grauen Schwestern bemüht, evangelische Kinder in die
römische Kirche hinüberzuziehen -- eine Propaganda, welcher seit 1859 eine
protestantische Stiftung entgegenwirkt.

Sehr übel stand es bis vor Kurzem mit den circa 1000 Seelen zählenden
Evangelischen in Gnichwitz und Sachwitz. Die katholischen Bekehrungsversuche
hatten hier vielfach Erfolg. Seit 1852 ist die Zahl der Protestanten in Sach¬
witz von 332 bis auf 249 gesunken, die der Katholiken auf 532 gestiegen.
Vor zwölf Jahren noch befand sich die Hälfte des Grundbesitzes in den Händen
der Evangelischen, jetzt haben sie nur noch ein Sechstel inne. Die Zahl der
protestantischen Schulkinder siel seit 1846 von 13t auf 71; 15 Kinder aus
Mischehen, deren Väter evangelisch sind, besuchen die katholische Schule. Seit
der 1855 erfolgten Begründung eines evangelischen Vicariats ist zwar ein Still¬
stand in der Abnahme der evangelischen Bevölkerung eingetreten, aber zur Er¬
starkung der Gemeinde und vorzüglich zur Beschaffung einer eigenen Kirche thut
Hilfe dringend noth. Aehnlich verhielt es sich, bevor der Gustav-Adolf-Verein
sich ins Mittel schlug, mit den zur Parochie Leubus gehörenden Stiftsdörfern.
Dieselben hatten keine Schule, ihre Kinder mußten deshalb die katholischen
Schulen besuchen und gingen dadurch meist ihrer Kirche verloren. Jetzt ist
diesem Mangel abgeholfen, und die neue evangelische Schule trägt sehr wesent¬
lich zur Erhaltung protestantischen Lebens bei.

Nicht weniger als Schlesien bedarf die protestantische Diaspora in Ost¬
und Westpreußen des Beistandes der Glaubensgenossen. Unser Bericht zählt^
hier 3S Gemeinden auf, welche Unterstützung brauchen. Auch hier entfaltet die
katholische Propaganda eine große Thätigkeit. In den letzten Jahren sind in
Ostpreußen auf kurzer Strecke acht neue katholische Kirchen entstanden, obwohl ein¬
dringendes Bedürfniß dazu vorhanden war. Die Evangelischen aber müssen sich in
vielen Gemeinden mit dürftigen Betsälen begnügen, zu denen sie oft meilenweit zu
wandern, in denen die Prediger an einem Tag drei und viermal hinter einan-


Herzöge von Anhalt, in deren Besitz das Fürstenthum gelangt war. die Ein¬
richtung getroffen, daß in Nikolai jährlich viermal evangelischer Gottesdienst in
deutscher und polnischer Zunge gehalten wurde. Später fand dieser Gottesdienst
achtmal im Jahre statt. Aber bis 1854 mußten die dort und in der Umgebung
wohnenden Protestanten ihre zu consirmirenden Kinder nach dem drei Meilen
entfernten PIcß schicken, und viele Kinder blieben ganz ohne Unterricht im
Glauben. Jetzt hat man eine eigne Kirche erbaut, zu welcher die Gustav-
Adolf-Stiftung beträchtlich beigesteuert hat. Die Stadt Frankenstein, früher
ganz protestantisch, wurde nach der östreichischen Besitzergreifung wieder der
katholischen Kirche zugeführt. Erst als Schlesien preußisch'geworden, fanden sich
wieder Evangelische ein, und jetzt zählt der Ort deren gegen 1500. Aber die
katholische Geistlichkeit ist sehr thätig, das Verlorne Terrain wieder zu erobern,
und namentlich sind die Grauen Schwestern bemüht, evangelische Kinder in die
römische Kirche hinüberzuziehen — eine Propaganda, welcher seit 1859 eine
protestantische Stiftung entgegenwirkt.

Sehr übel stand es bis vor Kurzem mit den circa 1000 Seelen zählenden
Evangelischen in Gnichwitz und Sachwitz. Die katholischen Bekehrungsversuche
hatten hier vielfach Erfolg. Seit 1852 ist die Zahl der Protestanten in Sach¬
witz von 332 bis auf 249 gesunken, die der Katholiken auf 532 gestiegen.
Vor zwölf Jahren noch befand sich die Hälfte des Grundbesitzes in den Händen
der Evangelischen, jetzt haben sie nur noch ein Sechstel inne. Die Zahl der
protestantischen Schulkinder siel seit 1846 von 13t auf 71; 15 Kinder aus
Mischehen, deren Väter evangelisch sind, besuchen die katholische Schule. Seit
der 1855 erfolgten Begründung eines evangelischen Vicariats ist zwar ein Still¬
stand in der Abnahme der evangelischen Bevölkerung eingetreten, aber zur Er¬
starkung der Gemeinde und vorzüglich zur Beschaffung einer eigenen Kirche thut
Hilfe dringend noth. Aehnlich verhielt es sich, bevor der Gustav-Adolf-Verein
sich ins Mittel schlug, mit den zur Parochie Leubus gehörenden Stiftsdörfern.
Dieselben hatten keine Schule, ihre Kinder mußten deshalb die katholischen
Schulen besuchen und gingen dadurch meist ihrer Kirche verloren. Jetzt ist
diesem Mangel abgeholfen, und die neue evangelische Schule trägt sehr wesent¬
lich zur Erhaltung protestantischen Lebens bei.

Nicht weniger als Schlesien bedarf die protestantische Diaspora in Ost¬
und Westpreußen des Beistandes der Glaubensgenossen. Unser Bericht zählt^
hier 3S Gemeinden auf, welche Unterstützung brauchen. Auch hier entfaltet die
katholische Propaganda eine große Thätigkeit. In den letzten Jahren sind in
Ostpreußen auf kurzer Strecke acht neue katholische Kirchen entstanden, obwohl ein¬
dringendes Bedürfniß dazu vorhanden war. Die Evangelischen aber müssen sich in
vielen Gemeinden mit dürftigen Betsälen begnügen, zu denen sie oft meilenweit zu
wandern, in denen die Prediger an einem Tag drei und viermal hinter einan-


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[0060] Herzöge von Anhalt, in deren Besitz das Fürstenthum gelangt war. die Ein¬ richtung getroffen, daß in Nikolai jährlich viermal evangelischer Gottesdienst in deutscher und polnischer Zunge gehalten wurde. Später fand dieser Gottesdienst achtmal im Jahre statt. Aber bis 1854 mußten die dort und in der Umgebung wohnenden Protestanten ihre zu consirmirenden Kinder nach dem drei Meilen entfernten PIcß schicken, und viele Kinder blieben ganz ohne Unterricht im Glauben. Jetzt hat man eine eigne Kirche erbaut, zu welcher die Gustav- Adolf-Stiftung beträchtlich beigesteuert hat. Die Stadt Frankenstein, früher ganz protestantisch, wurde nach der östreichischen Besitzergreifung wieder der katholischen Kirche zugeführt. Erst als Schlesien preußisch'geworden, fanden sich wieder Evangelische ein, und jetzt zählt der Ort deren gegen 1500. Aber die katholische Geistlichkeit ist sehr thätig, das Verlorne Terrain wieder zu erobern, und namentlich sind die Grauen Schwestern bemüht, evangelische Kinder in die römische Kirche hinüberzuziehen — eine Propaganda, welcher seit 1859 eine protestantische Stiftung entgegenwirkt. Sehr übel stand es bis vor Kurzem mit den circa 1000 Seelen zählenden Evangelischen in Gnichwitz und Sachwitz. Die katholischen Bekehrungsversuche hatten hier vielfach Erfolg. Seit 1852 ist die Zahl der Protestanten in Sach¬ witz von 332 bis auf 249 gesunken, die der Katholiken auf 532 gestiegen. Vor zwölf Jahren noch befand sich die Hälfte des Grundbesitzes in den Händen der Evangelischen, jetzt haben sie nur noch ein Sechstel inne. Die Zahl der protestantischen Schulkinder siel seit 1846 von 13t auf 71; 15 Kinder aus Mischehen, deren Väter evangelisch sind, besuchen die katholische Schule. Seit der 1855 erfolgten Begründung eines evangelischen Vicariats ist zwar ein Still¬ stand in der Abnahme der evangelischen Bevölkerung eingetreten, aber zur Er¬ starkung der Gemeinde und vorzüglich zur Beschaffung einer eigenen Kirche thut Hilfe dringend noth. Aehnlich verhielt es sich, bevor der Gustav-Adolf-Verein sich ins Mittel schlug, mit den zur Parochie Leubus gehörenden Stiftsdörfern. Dieselben hatten keine Schule, ihre Kinder mußten deshalb die katholischen Schulen besuchen und gingen dadurch meist ihrer Kirche verloren. Jetzt ist diesem Mangel abgeholfen, und die neue evangelische Schule trägt sehr wesent¬ lich zur Erhaltung protestantischen Lebens bei. Nicht weniger als Schlesien bedarf die protestantische Diaspora in Ost¬ und Westpreußen des Beistandes der Glaubensgenossen. Unser Bericht zählt^ hier 3S Gemeinden auf, welche Unterstützung brauchen. Auch hier entfaltet die katholische Propaganda eine große Thätigkeit. In den letzten Jahren sind in Ostpreußen auf kurzer Strecke acht neue katholische Kirchen entstanden, obwohl ein¬ dringendes Bedürfniß dazu vorhanden war. Die Evangelischen aber müssen sich in vielen Gemeinden mit dürftigen Betsälen begnügen, zu denen sie oft meilenweit zu wandern, in denen die Prediger an einem Tag drei und viermal hinter einan-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114313/60>, abgerufen am 11.02.2025.