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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band.

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lischen Pfarrer des 16 Stunden entfernten Mtersee in Salzburg selbst einen
Gottesdienst halten, und zwar in einem Saal des Schlosses Lcopoldskron,
merkwürdigerweise demselben Raum, in welchem Erzbischof Firmian einst seine
Gelage gehalten und Ausrottung der Ketzer gelobt hatte. Die letzte amtliche
Zählung vom Jahre 1357 ergab für das ganze salzburger Land nur 67
Evangelische. Seit Erscheinen des Protestantenpatents aber haben die Prote¬
stanten sich selbst gezählt und dabei gefunden, daß ihrer allein in der Stadt
(ohne Hinzurechnung des evangelischen Militärs) 250 sind. Sie haben rasch
die neue Freiheit benutzt, eine Filialgemeinde gegründet, ein Presbyterium ge¬
wählt und Vorbereitungen getroffen, sich ein eignes Bethaus zu bauen und
einen Geistlichen anzustellen. Die Leute sind aber großentheils arm, und so
wenden sie sich bittend an die Glaubensgenossen in der Ferne, ihnen zu helfen,
daß die Lehre der Reformatoren da wieder feste Wurzel schlage, wo vor 130
Jahren fanatische Verfolgung sie auf immer vertilgt zu haben schien.

Auch über die protestantische Diaspora in Ungarn und dessen Nebcn-
ländern müssen wir uns kurz fassen. Der uns vorliegende Bericht nennt in
Ungarn nicht weniger als 99, in Siebenbürgen 6 Gemeinden, welche mehr
oder minder dringend Hilfe bedürfen. Ein paar Beispiele werden hinreichen,
die Noth, die trotz mancher Unterstützung durch den Gustav-Adolf-Verein in
vielen Gemeinden herrscht, erkennen zu lassen.

In Buda-Lchota (Neograder Comitat) muß die sehr arme Gemeinde ihren
Pfarrer in einer elenden, mit strohgedeckten Hütte behergen, in welcher der Rauch
des Heerdes sich in Ermangelung eines Schornsteins durch beliebige Löcher den
Ausweg zu suchen hat. In Donau-Földvar, einer Gemeinde des Tolnaer
Comitats, bezieht der mit 9 Kindern gesegnete Pastor einen Jahresgehalt von
nur 180 Gulden. In Herrad-Vecse, einer zum Abaujvarer Eomitat gehöri¬
gen Gemeinde Augöburgischer Confession von 202 Seelen, die in elf Ort¬
schaften zerstreut unter Katholiken leben, existirt jetzt gar kein Pfarrer, da das
Pfarrhaus völlig unbewohnbar geworden ist und der Pfarrgehalt -- 42 Gul¬
den jährlich -- von der blutarmen Gemeinde selbst nicht erhöht werden kann.
In Donau-Horvctth hat der Geistliche abdanken müssen, da das für ihn be¬
stimmte Haus allmälig Ruine geworden war. Die dortige Schule ist ohne
Dach, die Kirche, seit 1791 nicht ausgebessert, zum Gottesdienst nicht mehr zu
brauchen.

Sehr drückend sind ferner die Verhältnisse der 700 Seelen zählenden Ge¬
meinde Kirchdrauf in der Zips. Kaum fingen die vor fünf Jahren abgebrannten
Gemeindeglieder an sich einigermaßen zu erholen, als ein furchtbares Hagelwetter
ihren Feldern und Häusern wieder beträchtlichen Schaden zufügte und bald
darauf eine neue Feuersbrunst den Ort heimsuchte. Dazu kam, daß, obwohl
die Evangelischen um ein Drittel mehr Communalsteuern entrichten als die


lischen Pfarrer des 16 Stunden entfernten Mtersee in Salzburg selbst einen
Gottesdienst halten, und zwar in einem Saal des Schlosses Lcopoldskron,
merkwürdigerweise demselben Raum, in welchem Erzbischof Firmian einst seine
Gelage gehalten und Ausrottung der Ketzer gelobt hatte. Die letzte amtliche
Zählung vom Jahre 1357 ergab für das ganze salzburger Land nur 67
Evangelische. Seit Erscheinen des Protestantenpatents aber haben die Prote¬
stanten sich selbst gezählt und dabei gefunden, daß ihrer allein in der Stadt
(ohne Hinzurechnung des evangelischen Militärs) 250 sind. Sie haben rasch
die neue Freiheit benutzt, eine Filialgemeinde gegründet, ein Presbyterium ge¬
wählt und Vorbereitungen getroffen, sich ein eignes Bethaus zu bauen und
einen Geistlichen anzustellen. Die Leute sind aber großentheils arm, und so
wenden sie sich bittend an die Glaubensgenossen in der Ferne, ihnen zu helfen,
daß die Lehre der Reformatoren da wieder feste Wurzel schlage, wo vor 130
Jahren fanatische Verfolgung sie auf immer vertilgt zu haben schien.

Auch über die protestantische Diaspora in Ungarn und dessen Nebcn-
ländern müssen wir uns kurz fassen. Der uns vorliegende Bericht nennt in
Ungarn nicht weniger als 99, in Siebenbürgen 6 Gemeinden, welche mehr
oder minder dringend Hilfe bedürfen. Ein paar Beispiele werden hinreichen,
die Noth, die trotz mancher Unterstützung durch den Gustav-Adolf-Verein in
vielen Gemeinden herrscht, erkennen zu lassen.

In Buda-Lchota (Neograder Comitat) muß die sehr arme Gemeinde ihren
Pfarrer in einer elenden, mit strohgedeckten Hütte behergen, in welcher der Rauch
des Heerdes sich in Ermangelung eines Schornsteins durch beliebige Löcher den
Ausweg zu suchen hat. In Donau-Földvar, einer Gemeinde des Tolnaer
Comitats, bezieht der mit 9 Kindern gesegnete Pastor einen Jahresgehalt von
nur 180 Gulden. In Herrad-Vecse, einer zum Abaujvarer Eomitat gehöri¬
gen Gemeinde Augöburgischer Confession von 202 Seelen, die in elf Ort¬
schaften zerstreut unter Katholiken leben, existirt jetzt gar kein Pfarrer, da das
Pfarrhaus völlig unbewohnbar geworden ist und der Pfarrgehalt — 42 Gul¬
den jährlich — von der blutarmen Gemeinde selbst nicht erhöht werden kann.
In Donau-Horvctth hat der Geistliche abdanken müssen, da das für ihn be¬
stimmte Haus allmälig Ruine geworden war. Die dortige Schule ist ohne
Dach, die Kirche, seit 1791 nicht ausgebessert, zum Gottesdienst nicht mehr zu
brauchen.

Sehr drückend sind ferner die Verhältnisse der 700 Seelen zählenden Ge¬
meinde Kirchdrauf in der Zips. Kaum fingen die vor fünf Jahren abgebrannten
Gemeindeglieder an sich einigermaßen zu erholen, als ein furchtbares Hagelwetter
ihren Feldern und Häusern wieder beträchtlichen Schaden zufügte und bald
darauf eine neue Feuersbrunst den Ort heimsuchte. Dazu kam, daß, obwohl
die Evangelischen um ein Drittel mehr Communalsteuern entrichten als die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114313/56>, abgerufen am 11.02.2025.