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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band.

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lesen. Unterricht in der deutschen Sprache ward als lutherisch gefürchtet. Er-
storbne Zünfte. Bann und Stapelgerechtigkeiten hielten jeden frischen Auf¬
schwung von Handel und Gewerbe danieder. Dieses Volk und dieses Land
ward von einem verschwenderischen, liederlichen Hofe regiert, an welchem der
reiche Adel in Sittenlosigkeit und üppigem Müßiggang lebte, der arme um die
Gunst der Maitressen und Beichtväter buhlte. Alle Aemter bis zu dem der
Wäscherin herab waren Gegenstand des Handels, an einem Orte stand ein
Fräulein als Oberforstmeister an der Spitze einer zahlreichen Verwaltung. In
diesen verkommenen Zuständen prosperirten die Illuminaten, an deren seichte
Aufklärung sich viele anschlössen, denen die Fortdauer des gegenwärtigen Trei¬
bens unmöglich schien. Es bedürfte einer rücksichtslos durchgreifenden Persön¬
lichkeit, um diesen Augiasstall auszuräumen, sie fand sich in Montgelas. Aus
alter savoyischer Familie entsprossen, war er als Jlluminat in München mi߬
liebig geworden und kam erst zurück als Max Joseph v. Zweibrücken, dessen
Vertrauter er geworden, als Kurfürst in München einzog. Er wurde damals
Minister und blieb es neunzehn Jahre. Montgelas war ein in seiner Art be¬
deutender Mann. Politischen Adel, sittliche und religiöse Tiefe durfte man frei¬
lich nicht bei ihm suchen, Naturen wie Stein waren ihm vollkommen unver¬
ständlich, aber sein scharfer Blick, sein Wissen, seine skrupellose Gewandtheit,
die sich Napoleon gefügig unterzuordnen wußte und den Kleinen gegenüber vor
keiner Gewaltsamkeit zurückschreckte, wurde von großer Bedeutung für seine
Zeit.

Nach dem allgemein gültigen Musterbilde in Paris verfuhr der Minister,
dem sein wohlwollender aber unbedeutender Herr freie Hand ließ, in München.
Alles was Landstände und Gemeinden noch an Selbständigkeit besaßen, ward
vernichtet, die Regierung zur Quelle aller Gewalt gemacht und von oben bis
unten alles bureaukratisch organisirt. Aber dieser Ministcrialdespotismus war
für Bayern vielleicht ein nothwendiger Durchgang zu einem geordneten Staats-
leben. Lehensverband und Leibeigenschaft wurden aufgehoben, Wüsteneien urbar
gemacht, Dienstbarkeiten abgelöst, Brod-und Bierzwang beseitigt. Eine neue
Pvlizeiordnung schritt scharf gegen das Bettelwesen ein, erleichterte aber die
Niederlassung. Unter Feuerbachs Leitung wurden die Gefängnisse umgestaltet,
die Folter abgeschafft und ein neues Strafgesetzbuch abgefaßt, Krankenhäuser
wurden gebaut und die Kuhpockenimpfung eingeführt. Das Unterrichtswesen
ward neu geregelt, die Jesuitenuniversität Ingolstadt hob Montgelas auf und
gründete Landshut; Jacobi, Schelling, Jacobs, Thiersch und Savigny wurden
Mitglieder der Münchener Akademie. Die Beschränkungen der Protestanten
mußten fallen, alle christlichen Religionsverwandte erhielten durch das Edict von
1803 gleiche Rechte, in München bildete sich eine evangelische Gemeinde, waren
doch auch beide Gemahlinnen des Kurfürsten evangelisch! Gleichzeitig ward die


lesen. Unterricht in der deutschen Sprache ward als lutherisch gefürchtet. Er-
storbne Zünfte. Bann und Stapelgerechtigkeiten hielten jeden frischen Auf¬
schwung von Handel und Gewerbe danieder. Dieses Volk und dieses Land
ward von einem verschwenderischen, liederlichen Hofe regiert, an welchem der
reiche Adel in Sittenlosigkeit und üppigem Müßiggang lebte, der arme um die
Gunst der Maitressen und Beichtväter buhlte. Alle Aemter bis zu dem der
Wäscherin herab waren Gegenstand des Handels, an einem Orte stand ein
Fräulein als Oberforstmeister an der Spitze einer zahlreichen Verwaltung. In
diesen verkommenen Zuständen prosperirten die Illuminaten, an deren seichte
Aufklärung sich viele anschlössen, denen die Fortdauer des gegenwärtigen Trei¬
bens unmöglich schien. Es bedürfte einer rücksichtslos durchgreifenden Persön¬
lichkeit, um diesen Augiasstall auszuräumen, sie fand sich in Montgelas. Aus
alter savoyischer Familie entsprossen, war er als Jlluminat in München mi߬
liebig geworden und kam erst zurück als Max Joseph v. Zweibrücken, dessen
Vertrauter er geworden, als Kurfürst in München einzog. Er wurde damals
Minister und blieb es neunzehn Jahre. Montgelas war ein in seiner Art be¬
deutender Mann. Politischen Adel, sittliche und religiöse Tiefe durfte man frei¬
lich nicht bei ihm suchen, Naturen wie Stein waren ihm vollkommen unver¬
ständlich, aber sein scharfer Blick, sein Wissen, seine skrupellose Gewandtheit,
die sich Napoleon gefügig unterzuordnen wußte und den Kleinen gegenüber vor
keiner Gewaltsamkeit zurückschreckte, wurde von großer Bedeutung für seine
Zeit.

Nach dem allgemein gültigen Musterbilde in Paris verfuhr der Minister,
dem sein wohlwollender aber unbedeutender Herr freie Hand ließ, in München.
Alles was Landstände und Gemeinden noch an Selbständigkeit besaßen, ward
vernichtet, die Regierung zur Quelle aller Gewalt gemacht und von oben bis
unten alles bureaukratisch organisirt. Aber dieser Ministcrialdespotismus war
für Bayern vielleicht ein nothwendiger Durchgang zu einem geordneten Staats-
leben. Lehensverband und Leibeigenschaft wurden aufgehoben, Wüsteneien urbar
gemacht, Dienstbarkeiten abgelöst, Brod-und Bierzwang beseitigt. Eine neue
Pvlizeiordnung schritt scharf gegen das Bettelwesen ein, erleichterte aber die
Niederlassung. Unter Feuerbachs Leitung wurden die Gefängnisse umgestaltet,
die Folter abgeschafft und ein neues Strafgesetzbuch abgefaßt, Krankenhäuser
wurden gebaut und die Kuhpockenimpfung eingeführt. Das Unterrichtswesen
ward neu geregelt, die Jesuitenuniversität Ingolstadt hob Montgelas auf und
gründete Landshut; Jacobi, Schelling, Jacobs, Thiersch und Savigny wurden
Mitglieder der Münchener Akademie. Die Beschränkungen der Protestanten
mußten fallen, alle christlichen Religionsverwandte erhielten durch das Edict von
1803 gleiche Rechte, in München bildete sich eine evangelische Gemeinde, waren
doch auch beide Gemahlinnen des Kurfürsten evangelisch! Gleichzeitig ward die


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[0519] lesen. Unterricht in der deutschen Sprache ward als lutherisch gefürchtet. Er- storbne Zünfte. Bann und Stapelgerechtigkeiten hielten jeden frischen Auf¬ schwung von Handel und Gewerbe danieder. Dieses Volk und dieses Land ward von einem verschwenderischen, liederlichen Hofe regiert, an welchem der reiche Adel in Sittenlosigkeit und üppigem Müßiggang lebte, der arme um die Gunst der Maitressen und Beichtväter buhlte. Alle Aemter bis zu dem der Wäscherin herab waren Gegenstand des Handels, an einem Orte stand ein Fräulein als Oberforstmeister an der Spitze einer zahlreichen Verwaltung. In diesen verkommenen Zuständen prosperirten die Illuminaten, an deren seichte Aufklärung sich viele anschlössen, denen die Fortdauer des gegenwärtigen Trei¬ bens unmöglich schien. Es bedürfte einer rücksichtslos durchgreifenden Persön¬ lichkeit, um diesen Augiasstall auszuräumen, sie fand sich in Montgelas. Aus alter savoyischer Familie entsprossen, war er als Jlluminat in München mi߬ liebig geworden und kam erst zurück als Max Joseph v. Zweibrücken, dessen Vertrauter er geworden, als Kurfürst in München einzog. Er wurde damals Minister und blieb es neunzehn Jahre. Montgelas war ein in seiner Art be¬ deutender Mann. Politischen Adel, sittliche und religiöse Tiefe durfte man frei¬ lich nicht bei ihm suchen, Naturen wie Stein waren ihm vollkommen unver¬ ständlich, aber sein scharfer Blick, sein Wissen, seine skrupellose Gewandtheit, die sich Napoleon gefügig unterzuordnen wußte und den Kleinen gegenüber vor keiner Gewaltsamkeit zurückschreckte, wurde von großer Bedeutung für seine Zeit. Nach dem allgemein gültigen Musterbilde in Paris verfuhr der Minister, dem sein wohlwollender aber unbedeutender Herr freie Hand ließ, in München. Alles was Landstände und Gemeinden noch an Selbständigkeit besaßen, ward vernichtet, die Regierung zur Quelle aller Gewalt gemacht und von oben bis unten alles bureaukratisch organisirt. Aber dieser Ministcrialdespotismus war für Bayern vielleicht ein nothwendiger Durchgang zu einem geordneten Staats- leben. Lehensverband und Leibeigenschaft wurden aufgehoben, Wüsteneien urbar gemacht, Dienstbarkeiten abgelöst, Brod-und Bierzwang beseitigt. Eine neue Pvlizeiordnung schritt scharf gegen das Bettelwesen ein, erleichterte aber die Niederlassung. Unter Feuerbachs Leitung wurden die Gefängnisse umgestaltet, die Folter abgeschafft und ein neues Strafgesetzbuch abgefaßt, Krankenhäuser wurden gebaut und die Kuhpockenimpfung eingeführt. Das Unterrichtswesen ward neu geregelt, die Jesuitenuniversität Ingolstadt hob Montgelas auf und gründete Landshut; Jacobi, Schelling, Jacobs, Thiersch und Savigny wurden Mitglieder der Münchener Akademie. Die Beschränkungen der Protestanten mußten fallen, alle christlichen Religionsverwandte erhielten durch das Edict von 1803 gleiche Rechte, in München bildete sich eine evangelische Gemeinde, waren doch auch beide Gemahlinnen des Kurfürsten evangelisch! Gleichzeitig ward die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114313/519>, abgerufen am 11.02.2025.