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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band.

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sich nach einer Mutter um, die dem Kinde 'Nahrung reiche; aber es ist keine
da, und die Weiber lamentiren.

Da geht eine schöne Dame vorüber, ein Mädchen mit einem Säugling
im Arme neben sich. Sie hört, um was es sich handelt -- gewaltsam bricht sie
sich Bahn -- läßt sich auf die Stufen nieder, streift unbefangen das Kleid von
Schulter und Busen und reicht dem fremden Kinde Nahrung. Dieses trinkt
gierig und mit vollen Zügen, und nachdem es sich gesättigt hat, schläft es im
Arm der Dame ein. -- Aber das eigene Kind fängt an zu schreien: behutsam
giebt die Dame das fremde dem Manne zurück und legt ihren Säugling an
den andern Busen. Sieh, das ist auch ein Zug römischer Charitä, zu dem
man bei uns aus conventionellen Rücksichten schwerlich gelangt wäre! Wie eine
Königin ging dieses schöne Weib von dannen.

Uns aber, Freund, laß zu dem nächsten Fiaker eilen, auf daß er uns zum
Lepra, oder bescheidener zum Carlyn bringe, denn die Mittagsstunde ist lange
vorüber, und uns verlangt nach leiblicher Nahrung. Nach Tische wollen wir
hinaufgehen auf den Pincio.

Der Fremde, welcher, von Florenz kommend, Rom durch die Porta del
Popolo auf dem Platze gleichen Namens betritt, erblickt vor sich den großen
Obelisk, den Augustus aus Heliopolis kommen, im Circus Maximus auf¬
stellen, Pius der Fünfte aber hier ausrichten ließ; strahlenförmig erstreckten sich
die Via della Ripetta, Via del Corso, Via del Babuino in die Stadt; links
aber baut sich, Terrasse auf Terrasse, der liebliche Pincio auf. Seine gemau¬
erten Rampen, seine Steinballustraden und Bildsäulen, seine Pinien, Cypressen,
Palmen und Aloen gewähren einen höchst freundlichen Anblick; es ist nicht die
umfangreichste, wohl aber die schönste Promenade der Welt. In den Stunden
von vier Uhr bis zum Ave Maria versammelt sich.dort die elegante Welt, Mili-
tairmusik spielt, Equipagen fahren auf und ab, Spaziergänger drängen sich
auf den Wegen der Anlagen, die mit Springbrunnen und den Büsten be¬
rühmter Italiener geschmückt sind. Von der Stadt aus gelangen wir dorthin,
indem wir die große Treppe des Spanischen Platzes hinaufsteigen, dann uns
links wenden, vorüber bei der Villa Medici, jetzt Academie Francaise, und bei
dem zierlichen Kaffeehause. W:r treten an die Ballustrade heran und erfreuen
uns der herrlichen Aussicht über Rom. Wir überblicken die Stadttheile des
Marsfeldes, jenseit des Stromes die Engelsburg, Se. Peter mit seiner unge¬
heuren Kuppel, die Palast- und Häusermassen des Vatikan, der päpstlichen Re¬
sidenz, dahinter steigt der Monte Mario auf, an dessem AbHange die verfallene
Villa Madana, auf dem Kamme unter dunklen Cypressen die Villa Mcllini
und andere gelegen sind; weiter links der grüne Abhang des Janiculus; aus
welchem zahlreiche Landhäuser, das Kloster von Se. Onofrio mit der Tassoeiche,
Se. Pietro in Montorio, wo der Apostelfürst den Märtyrertod starb, und die


sich nach einer Mutter um, die dem Kinde 'Nahrung reiche; aber es ist keine
da, und die Weiber lamentiren.

Da geht eine schöne Dame vorüber, ein Mädchen mit einem Säugling
im Arme neben sich. Sie hört, um was es sich handelt — gewaltsam bricht sie
sich Bahn — läßt sich auf die Stufen nieder, streift unbefangen das Kleid von
Schulter und Busen und reicht dem fremden Kinde Nahrung. Dieses trinkt
gierig und mit vollen Zügen, und nachdem es sich gesättigt hat, schläft es im
Arm der Dame ein. — Aber das eigene Kind fängt an zu schreien: behutsam
giebt die Dame das fremde dem Manne zurück und legt ihren Säugling an
den andern Busen. Sieh, das ist auch ein Zug römischer Charitä, zu dem
man bei uns aus conventionellen Rücksichten schwerlich gelangt wäre! Wie eine
Königin ging dieses schöne Weib von dannen.

Uns aber, Freund, laß zu dem nächsten Fiaker eilen, auf daß er uns zum
Lepra, oder bescheidener zum Carlyn bringe, denn die Mittagsstunde ist lange
vorüber, und uns verlangt nach leiblicher Nahrung. Nach Tische wollen wir
hinaufgehen auf den Pincio.

Der Fremde, welcher, von Florenz kommend, Rom durch die Porta del
Popolo auf dem Platze gleichen Namens betritt, erblickt vor sich den großen
Obelisk, den Augustus aus Heliopolis kommen, im Circus Maximus auf¬
stellen, Pius der Fünfte aber hier ausrichten ließ; strahlenförmig erstreckten sich
die Via della Ripetta, Via del Corso, Via del Babuino in die Stadt; links
aber baut sich, Terrasse auf Terrasse, der liebliche Pincio auf. Seine gemau¬
erten Rampen, seine Steinballustraden und Bildsäulen, seine Pinien, Cypressen,
Palmen und Aloen gewähren einen höchst freundlichen Anblick; es ist nicht die
umfangreichste, wohl aber die schönste Promenade der Welt. In den Stunden
von vier Uhr bis zum Ave Maria versammelt sich.dort die elegante Welt, Mili-
tairmusik spielt, Equipagen fahren auf und ab, Spaziergänger drängen sich
auf den Wegen der Anlagen, die mit Springbrunnen und den Büsten be¬
rühmter Italiener geschmückt sind. Von der Stadt aus gelangen wir dorthin,
indem wir die große Treppe des Spanischen Platzes hinaufsteigen, dann uns
links wenden, vorüber bei der Villa Medici, jetzt Academie Francaise, und bei
dem zierlichen Kaffeehause. W:r treten an die Ballustrade heran und erfreuen
uns der herrlichen Aussicht über Rom. Wir überblicken die Stadttheile des
Marsfeldes, jenseit des Stromes die Engelsburg, Se. Peter mit seiner unge¬
heuren Kuppel, die Palast- und Häusermassen des Vatikan, der päpstlichen Re¬
sidenz, dahinter steigt der Monte Mario auf, an dessem AbHange die verfallene
Villa Madana, auf dem Kamme unter dunklen Cypressen die Villa Mcllini
und andere gelegen sind; weiter links der grüne Abhang des Janiculus; aus
welchem zahlreiche Landhäuser, das Kloster von Se. Onofrio mit der Tassoeiche,
Se. Pietro in Montorio, wo der Apostelfürst den Märtyrertod starb, und die


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[0450] sich nach einer Mutter um, die dem Kinde 'Nahrung reiche; aber es ist keine da, und die Weiber lamentiren. Da geht eine schöne Dame vorüber, ein Mädchen mit einem Säugling im Arme neben sich. Sie hört, um was es sich handelt — gewaltsam bricht sie sich Bahn — läßt sich auf die Stufen nieder, streift unbefangen das Kleid von Schulter und Busen und reicht dem fremden Kinde Nahrung. Dieses trinkt gierig und mit vollen Zügen, und nachdem es sich gesättigt hat, schläft es im Arm der Dame ein. — Aber das eigene Kind fängt an zu schreien: behutsam giebt die Dame das fremde dem Manne zurück und legt ihren Säugling an den andern Busen. Sieh, das ist auch ein Zug römischer Charitä, zu dem man bei uns aus conventionellen Rücksichten schwerlich gelangt wäre! Wie eine Königin ging dieses schöne Weib von dannen. Uns aber, Freund, laß zu dem nächsten Fiaker eilen, auf daß er uns zum Lepra, oder bescheidener zum Carlyn bringe, denn die Mittagsstunde ist lange vorüber, und uns verlangt nach leiblicher Nahrung. Nach Tische wollen wir hinaufgehen auf den Pincio. Der Fremde, welcher, von Florenz kommend, Rom durch die Porta del Popolo auf dem Platze gleichen Namens betritt, erblickt vor sich den großen Obelisk, den Augustus aus Heliopolis kommen, im Circus Maximus auf¬ stellen, Pius der Fünfte aber hier ausrichten ließ; strahlenförmig erstreckten sich die Via della Ripetta, Via del Corso, Via del Babuino in die Stadt; links aber baut sich, Terrasse auf Terrasse, der liebliche Pincio auf. Seine gemau¬ erten Rampen, seine Steinballustraden und Bildsäulen, seine Pinien, Cypressen, Palmen und Aloen gewähren einen höchst freundlichen Anblick; es ist nicht die umfangreichste, wohl aber die schönste Promenade der Welt. In den Stunden von vier Uhr bis zum Ave Maria versammelt sich.dort die elegante Welt, Mili- tairmusik spielt, Equipagen fahren auf und ab, Spaziergänger drängen sich auf den Wegen der Anlagen, die mit Springbrunnen und den Büsten be¬ rühmter Italiener geschmückt sind. Von der Stadt aus gelangen wir dorthin, indem wir die große Treppe des Spanischen Platzes hinaufsteigen, dann uns links wenden, vorüber bei der Villa Medici, jetzt Academie Francaise, und bei dem zierlichen Kaffeehause. W:r treten an die Ballustrade heran und erfreuen uns der herrlichen Aussicht über Rom. Wir überblicken die Stadttheile des Marsfeldes, jenseit des Stromes die Engelsburg, Se. Peter mit seiner unge¬ heuren Kuppel, die Palast- und Häusermassen des Vatikan, der päpstlichen Re¬ sidenz, dahinter steigt der Monte Mario auf, an dessem AbHange die verfallene Villa Madana, auf dem Kamme unter dunklen Cypressen die Villa Mcllini und andere gelegen sind; weiter links der grüne Abhang des Janiculus; aus welchem zahlreiche Landhäuser, das Kloster von Se. Onofrio mit der Tassoeiche, Se. Pietro in Montorio, wo der Apostelfürst den Märtyrertod starb, und die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114313/450>, abgerufen am 27.08.2024.