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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band.

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Rom gelegenen Campagna in die Stadt hinein vermittelt, erreichen wir den
Fuß des Capitolinischen Hügels. Wir steigen die breite Freitreppe empor,
welche zu dem vom Capitol, vom Conservatorenpalast und dem Museum
eingeschlossenen Platz führt, der mit der Reiterstatue Marc Aurels geziert ist,
und treten einige Schritte in die Via del Campidoglio hinein, von der Ecke
des Tabularium's das Forum Romanum überschauend.

Das Forum Romanum heißt heut Campo Vaccino: der Ort, von dem aus
einst die Welt beherrscht wurde, ist zum Kuhfelde herabgesunken! Und doch,
welch ein Duft von römischer Größe und Gewaltigkeit weht uns ' an aus
diesen Trümmern, der Tempel, der Basiliken, der Triumphbogen! Wie großartig
ist das Bild! Es ist in diesem Rom nichts Halbes, nichts Kleines, nichts Ver¬
schwommenes; wie ist alles hier so aus dem Großen geformt, nut charakteri¬
stischen Zügen geschnitten, was die Statur und die Menschen geschaffen haben!
Wie mächtig packt es unsere Seele! Kommt hierher alle, die ihr mühselig und
beladen seid! Schaut herab auf das Feld der Geschichte von dritthalb Tausenden,
auf das Grab so vieler Völker, auf diese untergegangene Herrlichkeit, so er¬
greifend noch in ihrem Verfall -- und das Dichten und Trachten eines einzelnen
Menschenlebens wird Euch kleinlich erscheinen, wie das Sandkorn im Weltall.


"Gleich wie die Blätter im Wald sind die Geschlech.ter der Menschen.
"Blätter verweht zu der Erde der Wind, dann andere wieder
"Treibet der knospende Wald, wenn neu anflehet der Frühling;
"So der Menschen Geschlecht, dies wächst und jenes verschwindet.

Ilias VI, 146. ff.

Von Kirchen und Ruinen ist das Campo Vaccino umschlossen, mit aufrecht-
stehenden und zur Erde gestürzten Säulenresten besäet, die Aussicht geschlossen durch
das Colosseum, dessen Mauern sich wie ein Gebirgsrücken auf einander thürmen,
durch den sanften Abhang des Caelio, durch das Kloster von Se. Bonaven-
tura auf dem Palatin, mit seinen Palmen, in der Ferne durch den Monte
Eavo der blauen Albanerberge. Quer über das Feld zieht sich eine von den
Franzosen gepflanzte Akazienallee dahin. Da wo einst die Gräcostasis stand,
unterhalb der Farnesischeu Gärten, die neuerdings in den Besitz des Kaisers
der Franzosen übergegangen sind, lagern Kinder-, Büffel- und Pferdeheerden.
In den Hallen der Constantinischen Basilika exerciren päpstliche Soldaten, und
unter den Akazien zieht die französische Wachtparade aus. Viel Volk ist auf
dem weiten Platze, lärmend und nichts thuend. Dort auf den Stufen einer
Kirche ist eine Gruppe von Männern und Weibern um einen Mann versam¬
melt, der ein halb verschmachtetes Kind auf den Armen trägt; er ist ein Win¬
zer aus der Gegend von Porta S. Giovanni und das Kind ein Findling;
der Mann kommt weit her und will das Kind nach dem großen Spital und Findel¬
hause von S. Spirito tragen. Es ist noch ein weiter Weg; der Mann sieht


Grenzboten III. 1862. 56

Rom gelegenen Campagna in die Stadt hinein vermittelt, erreichen wir den
Fuß des Capitolinischen Hügels. Wir steigen die breite Freitreppe empor,
welche zu dem vom Capitol, vom Conservatorenpalast und dem Museum
eingeschlossenen Platz führt, der mit der Reiterstatue Marc Aurels geziert ist,
und treten einige Schritte in die Via del Campidoglio hinein, von der Ecke
des Tabularium's das Forum Romanum überschauend.

Das Forum Romanum heißt heut Campo Vaccino: der Ort, von dem aus
einst die Welt beherrscht wurde, ist zum Kuhfelde herabgesunken! Und doch,
welch ein Duft von römischer Größe und Gewaltigkeit weht uns ' an aus
diesen Trümmern, der Tempel, der Basiliken, der Triumphbogen! Wie großartig
ist das Bild! Es ist in diesem Rom nichts Halbes, nichts Kleines, nichts Ver¬
schwommenes; wie ist alles hier so aus dem Großen geformt, nut charakteri¬
stischen Zügen geschnitten, was die Statur und die Menschen geschaffen haben!
Wie mächtig packt es unsere Seele! Kommt hierher alle, die ihr mühselig und
beladen seid! Schaut herab auf das Feld der Geschichte von dritthalb Tausenden,
auf das Grab so vieler Völker, auf diese untergegangene Herrlichkeit, so er¬
greifend noch in ihrem Verfall — und das Dichten und Trachten eines einzelnen
Menschenlebens wird Euch kleinlich erscheinen, wie das Sandkorn im Weltall.


„Gleich wie die Blätter im Wald sind die Geschlech.ter der Menschen.
„Blätter verweht zu der Erde der Wind, dann andere wieder
„Treibet der knospende Wald, wenn neu anflehet der Frühling;
„So der Menschen Geschlecht, dies wächst und jenes verschwindet.

Ilias VI, 146. ff.

Von Kirchen und Ruinen ist das Campo Vaccino umschlossen, mit aufrecht-
stehenden und zur Erde gestürzten Säulenresten besäet, die Aussicht geschlossen durch
das Colosseum, dessen Mauern sich wie ein Gebirgsrücken auf einander thürmen,
durch den sanften Abhang des Caelio, durch das Kloster von Se. Bonaven-
tura auf dem Palatin, mit seinen Palmen, in der Ferne durch den Monte
Eavo der blauen Albanerberge. Quer über das Feld zieht sich eine von den
Franzosen gepflanzte Akazienallee dahin. Da wo einst die Gräcostasis stand,
unterhalb der Farnesischeu Gärten, die neuerdings in den Besitz des Kaisers
der Franzosen übergegangen sind, lagern Kinder-, Büffel- und Pferdeheerden.
In den Hallen der Constantinischen Basilika exerciren päpstliche Soldaten, und
unter den Akazien zieht die französische Wachtparade aus. Viel Volk ist auf
dem weiten Platze, lärmend und nichts thuend. Dort auf den Stufen einer
Kirche ist eine Gruppe von Männern und Weibern um einen Mann versam¬
melt, der ein halb verschmachtetes Kind auf den Armen trägt; er ist ein Win¬
zer aus der Gegend von Porta S. Giovanni und das Kind ein Findling;
der Mann kommt weit her und will das Kind nach dem großen Spital und Findel¬
hause von S. Spirito tragen. Es ist noch ein weiter Weg; der Mann sieht


Grenzboten III. 1862. 56
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[0449] Rom gelegenen Campagna in die Stadt hinein vermittelt, erreichen wir den Fuß des Capitolinischen Hügels. Wir steigen die breite Freitreppe empor, welche zu dem vom Capitol, vom Conservatorenpalast und dem Museum eingeschlossenen Platz führt, der mit der Reiterstatue Marc Aurels geziert ist, und treten einige Schritte in die Via del Campidoglio hinein, von der Ecke des Tabularium's das Forum Romanum überschauend. Das Forum Romanum heißt heut Campo Vaccino: der Ort, von dem aus einst die Welt beherrscht wurde, ist zum Kuhfelde herabgesunken! Und doch, welch ein Duft von römischer Größe und Gewaltigkeit weht uns ' an aus diesen Trümmern, der Tempel, der Basiliken, der Triumphbogen! Wie großartig ist das Bild! Es ist in diesem Rom nichts Halbes, nichts Kleines, nichts Ver¬ schwommenes; wie ist alles hier so aus dem Großen geformt, nut charakteri¬ stischen Zügen geschnitten, was die Statur und die Menschen geschaffen haben! Wie mächtig packt es unsere Seele! Kommt hierher alle, die ihr mühselig und beladen seid! Schaut herab auf das Feld der Geschichte von dritthalb Tausenden, auf das Grab so vieler Völker, auf diese untergegangene Herrlichkeit, so er¬ greifend noch in ihrem Verfall — und das Dichten und Trachten eines einzelnen Menschenlebens wird Euch kleinlich erscheinen, wie das Sandkorn im Weltall. „Gleich wie die Blätter im Wald sind die Geschlech.ter der Menschen. „Blätter verweht zu der Erde der Wind, dann andere wieder „Treibet der knospende Wald, wenn neu anflehet der Frühling; „So der Menschen Geschlecht, dies wächst und jenes verschwindet. Ilias VI, 146. ff. Von Kirchen und Ruinen ist das Campo Vaccino umschlossen, mit aufrecht- stehenden und zur Erde gestürzten Säulenresten besäet, die Aussicht geschlossen durch das Colosseum, dessen Mauern sich wie ein Gebirgsrücken auf einander thürmen, durch den sanften Abhang des Caelio, durch das Kloster von Se. Bonaven- tura auf dem Palatin, mit seinen Palmen, in der Ferne durch den Monte Eavo der blauen Albanerberge. Quer über das Feld zieht sich eine von den Franzosen gepflanzte Akazienallee dahin. Da wo einst die Gräcostasis stand, unterhalb der Farnesischeu Gärten, die neuerdings in den Besitz des Kaisers der Franzosen übergegangen sind, lagern Kinder-, Büffel- und Pferdeheerden. In den Hallen der Constantinischen Basilika exerciren päpstliche Soldaten, und unter den Akazien zieht die französische Wachtparade aus. Viel Volk ist auf dem weiten Platze, lärmend und nichts thuend. Dort auf den Stufen einer Kirche ist eine Gruppe von Männern und Weibern um einen Mann versam¬ melt, der ein halb verschmachtetes Kind auf den Armen trägt; er ist ein Win¬ zer aus der Gegend von Porta S. Giovanni und das Kind ein Findling; der Mann kommt weit her und will das Kind nach dem großen Spital und Findel¬ hause von S. Spirito tragen. Es ist noch ein weiter Weg; der Mann sieht Grenzboten III. 1862. 56

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114313/449>, abgerufen am 27.08.2024.