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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band.

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bleiben wir' einen Augenblick stehen, um den Tiber abwärts einen Blick auf
'das fremdartige und hinreißende Panorama zu werfen. Zu unseren Füßen
strömt gelb und trübe der Fluß; an seinen Ufern zahlreiche Neste antiker Wasser¬
bauten; thurmartig und in bizarren, wild durch einander geworfenen Massen
steigen etagenförmig die Gebäude empor, mit Erkern, Balkonen, Blumen¬
töpfen in den Fenstern, vielem an die Mauern gehängten Hausrat!), mit
jenem ruinenartigen Charakter, der allen italienischen Häusern eigen ist. Vor
uns erblicken wir die Tiberinsel, welche der Sage nach durch in den Fluß
hineingeschüttetes Getreide entstanden sein soll, jetzt aber einer mittelalterlichen
Burg nicht unähnlich ist und durch hochgewölbte Brücken mit dem Festlande
zusammenhängt. Der Fluß treibt einige Schiffmühlen, ein Fischer hebt träge
das Netz; an den Ufern sieht es öde, wüst und unordentlich aus. Hinter der
Tiberinsel schaut der kleine zierliche Vestatempel, neben der altbyzantinischen
Kirche della Bocca della Venta hervor, überragt von dem schroff und felsig zum
Fluß abfallenden Aventin, dessen Höbe mit den Klöstern San Labina. San
Alesso und dem Malthcser - Convent gekrönt ist. Links vom Aventin, der Pa¬
latin mit seinen gigantischen Ruinen der Kaiscrpaläste; noch weiter links der
Kapitolinische Hügel; auf ihm, wie ein Castell mit Zinnen und Thürmen, das
Capitol, die Kirche von Ära celi. der Palazzo Cassarelli, von dessen kleinem
Gärtchen aus jüngst ein kranker König über die melancholische Stadt hinweg,
schaute. In der Ferne dehnen sich duftig mit schön geschwungenen Umrissen die
Albaner Berge.

Die Trasteveriner rühmen sich, daß altrömischeS Blut in ihren Adern fließe;
sie sind stolz nicht blos auf ihr bon WiiZus, sondern auch auf ihr del 8lag'u"z
und letzteres mit Recht, denn es ist ein ungewöhnlich schöner Menschenschlag,
der sich an körperlichen Borzügen selbst vor den übrigen Römern auszeichnet,
sich höher dünkt, d^e Vermischung mit ihnen vermeidet und so eine gewisse Ab¬
geschlossenheit bewährt hat. Selten sieht man in Trastevere eine modisch ge¬
kleidete Dame oder einen Cylinderhut, den die Leute vomdg, oder poro piair^o
(Zpcisekorb) nennen. Wie schön ist aber auch die Tracht der Weiber! Eine
rothe, mit Goldborten besetzte Jacke mit langen Aermeln, ein feines weißes
LinnentuÄ um Hals und Busen, ein grünes, gelbes oder blaues einfarbiges
Seidenkleid, unten mit Sammetstreifen eingefaßt; im Haar ein silberner Kamm
und eine wie ein Schwert geformte Nadel, und den Zopf umwunden mit ro¬
them Seitenhaut, dessen Zipfel herabhängen.

Laß uns ein ander Mal tiefer in Trastevere eindringen; heut wollen wir
auf dem linken Tiberufer zurückkehren und die Richtung nach dem Capitol ein¬
schlagen. Leider müssen wir deshalb den Ghetto Passiren, das Iudenviertel.
eine Hölle an Gestank und Koth. In einem Labyrinthe von hohen schwarzen
Häusern, engen schmutzigen Straßen, die nicht befahren werden können, kaum


bleiben wir' einen Augenblick stehen, um den Tiber abwärts einen Blick auf
'das fremdartige und hinreißende Panorama zu werfen. Zu unseren Füßen
strömt gelb und trübe der Fluß; an seinen Ufern zahlreiche Neste antiker Wasser¬
bauten; thurmartig und in bizarren, wild durch einander geworfenen Massen
steigen etagenförmig die Gebäude empor, mit Erkern, Balkonen, Blumen¬
töpfen in den Fenstern, vielem an die Mauern gehängten Hausrat!), mit
jenem ruinenartigen Charakter, der allen italienischen Häusern eigen ist. Vor
uns erblicken wir die Tiberinsel, welche der Sage nach durch in den Fluß
hineingeschüttetes Getreide entstanden sein soll, jetzt aber einer mittelalterlichen
Burg nicht unähnlich ist und durch hochgewölbte Brücken mit dem Festlande
zusammenhängt. Der Fluß treibt einige Schiffmühlen, ein Fischer hebt träge
das Netz; an den Ufern sieht es öde, wüst und unordentlich aus. Hinter der
Tiberinsel schaut der kleine zierliche Vestatempel, neben der altbyzantinischen
Kirche della Bocca della Venta hervor, überragt von dem schroff und felsig zum
Fluß abfallenden Aventin, dessen Höbe mit den Klöstern San Labina. San
Alesso und dem Malthcser - Convent gekrönt ist. Links vom Aventin, der Pa¬
latin mit seinen gigantischen Ruinen der Kaiscrpaläste; noch weiter links der
Kapitolinische Hügel; auf ihm, wie ein Castell mit Zinnen und Thürmen, das
Capitol, die Kirche von Ära celi. der Palazzo Cassarelli, von dessen kleinem
Gärtchen aus jüngst ein kranker König über die melancholische Stadt hinweg,
schaute. In der Ferne dehnen sich duftig mit schön geschwungenen Umrissen die
Albaner Berge.

Die Trasteveriner rühmen sich, daß altrömischeS Blut in ihren Adern fließe;
sie sind stolz nicht blos auf ihr bon WiiZus, sondern auch auf ihr del 8lag'u«z
und letzteres mit Recht, denn es ist ein ungewöhnlich schöner Menschenschlag,
der sich an körperlichen Borzügen selbst vor den übrigen Römern auszeichnet,
sich höher dünkt, d^e Vermischung mit ihnen vermeidet und so eine gewisse Ab¬
geschlossenheit bewährt hat. Selten sieht man in Trastevere eine modisch ge¬
kleidete Dame oder einen Cylinderhut, den die Leute vomdg, oder poro piair^o
(Zpcisekorb) nennen. Wie schön ist aber auch die Tracht der Weiber! Eine
rothe, mit Goldborten besetzte Jacke mit langen Aermeln, ein feines weißes
LinnentuÄ um Hals und Busen, ein grünes, gelbes oder blaues einfarbiges
Seidenkleid, unten mit Sammetstreifen eingefaßt; im Haar ein silberner Kamm
und eine wie ein Schwert geformte Nadel, und den Zopf umwunden mit ro¬
them Seitenhaut, dessen Zipfel herabhängen.

Laß uns ein ander Mal tiefer in Trastevere eindringen; heut wollen wir
auf dem linken Tiberufer zurückkehren und die Richtung nach dem Capitol ein¬
schlagen. Leider müssen wir deshalb den Ghetto Passiren, das Iudenviertel.
eine Hölle an Gestank und Koth. In einem Labyrinthe von hohen schwarzen
Häusern, engen schmutzigen Straßen, die nicht befahren werden können, kaum


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114313/447>, abgerufen am 26.08.2024.