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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band.

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buntgemalten Figuren des Arlechino, der Kolombine, des Polichinell :c. erregen
das Entzücken der Kinder und Landleute, und will man sich an den harmlosen
und wirklich geistreichen Witzen des Volkes erfreuen, so versäume man ja nicht
den Besuch am Abende. Jeden Sonntag in den bethen Augusttagen wird der
Navvnaplatz durch Verstopfung der Abzugsrohren unter Wasser gesetzt; es ent¬
steht ein See, in welchem die Römer in esu-o^g, umherfahren, die Damen in
elegantester Toilette; die Kinder aber streifen Hosen und .Kleider in die Höhe
und waten und spritzen im See, und an den Häusern entlang sitzen auf Stuhl-
reihen diejenigen,welche über keine Karosse zu verfügen haben, und freuen sich
der Kühle, die das Wasser verbreitet. Hat die Stunde des Ave Maria ge¬
schlagen, so öffnen sich die Schleußen und am nächsten Morgen sitzen die Höcker¬
weiber auf ihren alten Plätzen; das Wasser hat weiter nichts zurückgelassen, als
einzelne Schlammtheilchen und todte Ratten.

Wenige Schritte vom Navonaplatze steht an einer Straßenecke der Pas-
quino, eine vortreffliche, aber leider sehr verstümmelte antike Statue eines Krie¬
gers. Ein poetischer Schuster wohnte im Mittelalter in der Nähe, ein witziger
Hans Sachs, der die Erzeugnisse seiner satirischen Muse an diesen Torso klebte.
Nach seinem Tode ging sein Name auf den Torso über, und in nachfolgenden
Zeiten blieb dieser der Ort, wo alle satirischen Einfälle, alle Spottgedichte auf
den Papst, das Governo, römische Zustände :c. angeklebt wurden; gewöhnlich
unterhält sich Pasquino mit dem Marfvrio, einer ähnlichen Statue aus dein
Hofe des Conservatorenpalastcs, oder mit Madame Lucrezia, dem ol'ern sehr
verstümmelten Theil einer Rom" oder Minerva hinter dem Venetianischen Platz.
Neuerdings las man am Pasquino eine Afsiche "ig, poli^la v LjM-an" d. h.
"Die Reinlichkeit (Polizei) ist schmutzig" in Bezug auf die vielen Verräther.
innerhalb der Sicherheitsbebörden. Pasquino ist eine gefährliche Persönlichkeit,
der die Gensdarmen jeden Morgen mit Sonnenaufgang ihren Besuch abstat¬
ten, und sie während des Tages nicht aus den Augen lassen; aber er ist be¬
liebt beim Volke, und während wir vor ihm stehen, macht ein Gassenjunge uns
auf, einen Fleck auf unseren Schuhen aufmerksam, damit wir hinuntersehen und
durch die Hauptneigung Pasquino unseren Respect bezeugen. Es existirt eine
Sammlung von Pasquinaden, die einen interessanten Commentar zur Zeit¬
geschichte bildet.

Neben dem Platze der Cancellaria, auf deren Treppe die römische Revo¬
lution von 1848 mit dem Meuchelmorde Pellegrino Rossi's begann, über den
Farnesischen Platz, an dem der durch seine Architektur so ausgezeichnete Pa-
lazzo Farnese steht, das Eigenthum des Königs von Neapel, das er jetzt
ausbauen und einrichten läßt, erreichen wir das Ufer der Tiber und den
Ponte Sisto, eine antike Brücke, die nach Trastevere hinüberführt. Welches
Drängen von Fuhrwerk und Menschen auf dieser engen Brücke! Dennoch aber


buntgemalten Figuren des Arlechino, der Kolombine, des Polichinell :c. erregen
das Entzücken der Kinder und Landleute, und will man sich an den harmlosen
und wirklich geistreichen Witzen des Volkes erfreuen, so versäume man ja nicht
den Besuch am Abende. Jeden Sonntag in den bethen Augusttagen wird der
Navvnaplatz durch Verstopfung der Abzugsrohren unter Wasser gesetzt; es ent¬
steht ein See, in welchem die Römer in esu-o^g, umherfahren, die Damen in
elegantester Toilette; die Kinder aber streifen Hosen und .Kleider in die Höhe
und waten und spritzen im See, und an den Häusern entlang sitzen auf Stuhl-
reihen diejenigen,welche über keine Karosse zu verfügen haben, und freuen sich
der Kühle, die das Wasser verbreitet. Hat die Stunde des Ave Maria ge¬
schlagen, so öffnen sich die Schleußen und am nächsten Morgen sitzen die Höcker¬
weiber auf ihren alten Plätzen; das Wasser hat weiter nichts zurückgelassen, als
einzelne Schlammtheilchen und todte Ratten.

Wenige Schritte vom Navonaplatze steht an einer Straßenecke der Pas-
quino, eine vortreffliche, aber leider sehr verstümmelte antike Statue eines Krie¬
gers. Ein poetischer Schuster wohnte im Mittelalter in der Nähe, ein witziger
Hans Sachs, der die Erzeugnisse seiner satirischen Muse an diesen Torso klebte.
Nach seinem Tode ging sein Name auf den Torso über, und in nachfolgenden
Zeiten blieb dieser der Ort, wo alle satirischen Einfälle, alle Spottgedichte auf
den Papst, das Governo, römische Zustände :c. angeklebt wurden; gewöhnlich
unterhält sich Pasquino mit dem Marfvrio, einer ähnlichen Statue aus dein
Hofe des Conservatorenpalastcs, oder mit Madame Lucrezia, dem ol'ern sehr
verstümmelten Theil einer Rom« oder Minerva hinter dem Venetianischen Platz.
Neuerdings las man am Pasquino eine Afsiche „ig, poli^la v LjM-an" d. h.
„Die Reinlichkeit (Polizei) ist schmutzig" in Bezug auf die vielen Verräther.
innerhalb der Sicherheitsbebörden. Pasquino ist eine gefährliche Persönlichkeit,
der die Gensdarmen jeden Morgen mit Sonnenaufgang ihren Besuch abstat¬
ten, und sie während des Tages nicht aus den Augen lassen; aber er ist be¬
liebt beim Volke, und während wir vor ihm stehen, macht ein Gassenjunge uns
auf, einen Fleck auf unseren Schuhen aufmerksam, damit wir hinuntersehen und
durch die Hauptneigung Pasquino unseren Respect bezeugen. Es existirt eine
Sammlung von Pasquinaden, die einen interessanten Commentar zur Zeit¬
geschichte bildet.

Neben dem Platze der Cancellaria, auf deren Treppe die römische Revo¬
lution von 1848 mit dem Meuchelmorde Pellegrino Rossi's begann, über den
Farnesischen Platz, an dem der durch seine Architektur so ausgezeichnete Pa-
lazzo Farnese steht, das Eigenthum des Königs von Neapel, das er jetzt
ausbauen und einrichten läßt, erreichen wir das Ufer der Tiber und den
Ponte Sisto, eine antike Brücke, die nach Trastevere hinüberführt. Welches
Drängen von Fuhrwerk und Menschen auf dieser engen Brücke! Dennoch aber


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114313/446>, abgerufen am 26.08.2024.