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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band.

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besessen, macht plötzlich Kehrt und jagt des Wegs zurück, den er eben gekommen
ist; der Hirt aber wirft sein Roß auf dem Hintertheile kurz herum, jagt dem
Flüchtlinge nach und sucht ihm den Vorsprung abzugewinnen; hat das flüch¬
tigere Pferd ihn überholt, so bringt ihn ein schwerer Schlag auf das Haupt
zur Vernunft; der Reiter schneidet ihm den Weg ab, und der Ochs trabt wie¬
der seinen Genossen nach, um zur Schlachtbank geführt zu werdet".

Unweit der Piazza Barberini liegt die merkwürdige Kirche und das Kloster
der Kapuziner, der Proletarier unter den Mönchen, welche deshalb die einzigen
sind, die sich noch einer gewissen Popularität erfreuen; einen Theil ihres Klosters
haben sie rothen französischen Husaren abtreten Müssen, und die Glocken der Kirche
mischen ihre Töne mit kriegerischen Trompetensignalen. Paarweise ziehen diese
Mönche, ich weiß nicht wohin, an uns vorüber; die braune Kutte, emporgeho-
ben. läßt die nackten Beine von den Sandalen der schmutzigen Füße bis zum
Knie sehen. Es sind schöne, charakteristische, ehrwürdige Köpfe, aber auch
manche Galgenphysiognomien darunter. Ihnen folgt eine Schwadron Husaren,
die Reiter abgesessen, vorsorglich die Pferde aus dem Steinpflaster am Zügel
führend.

Man sieht in Rom mehr wie in irgend einer anderen Stadt die National
kracht des niederen und des Landvolkes auf den Straßen. Das liegt zum
Theil daran, daß das Volk mit großer Zähigkeit an seinem Costüm festhält,
zum anderen Theil, weil der weite Mauernkreis eine ländliche Bevölkerung von
Ackerbauern, Winzern und Gärtnern umschließt. Es ist ein ungeMein buntes,
unterhaltendes Treiben auf diesem Barberini'schen Platze.

Wir aber kleiden uns an und begeben uns ins Cass Greco auf der Via
Condotti, um unser Frühstück nach römischer Sitte nicht zu Hause, sondern im
Cas6 einzunehmen. Wir "biegen vom Platze ab in die Via Felice. Alls dem
Eckhause ruft uns die weißgekleidete Gestalt eines Kochs und Trattoriewirths
ein deutsches "Guten Morgen" zu; neben der niedrigen unscheinbaren Ein¬
gangsthür steht in großen Lettern "deutsche Küche^. Es ist der Carton. eine der
besten und zugleich eine der unsaubersten Trattorien, die namentlich von deutschen
Künstlern und päpstlichen Offizieren viel besucht wird. Ein feister Hammel
lagert, wie anderwärts wohl ein Hund in der Hausthür, ein lebendiges Aus¬
hängeschild, das auch wohl in der Nachbarschaft umherspaziert, um aus dem
Straßenkehricht die Reste der Kohl- und Salatblätter sorgsam auszulesen, und
das an Feiertagen mit rothen, in die Wolle eingeflochtenen Bändern geschmückt
ist. Weiter die Via Felice nach dem Pincio hinausgehend, schauen wir an
den Fenstern blauäugige und blondhaarige Köpfe und englische Gesichter^ denn
wir sind in der Fremdenstraße rM exosllLiick. Ueber jeder Hausthür die In¬
schrift "elraurdrös ot apMrtviruznt.8 s, louer, eatrieis Ä'aMare". An der
nächsten Straßenecke und vor der Thüre der Madonnenkirche haben Kinder auf


besessen, macht plötzlich Kehrt und jagt des Wegs zurück, den er eben gekommen
ist; der Hirt aber wirft sein Roß auf dem Hintertheile kurz herum, jagt dem
Flüchtlinge nach und sucht ihm den Vorsprung abzugewinnen; hat das flüch¬
tigere Pferd ihn überholt, so bringt ihn ein schwerer Schlag auf das Haupt
zur Vernunft; der Reiter schneidet ihm den Weg ab, und der Ochs trabt wie¬
der seinen Genossen nach, um zur Schlachtbank geführt zu werdet».

Unweit der Piazza Barberini liegt die merkwürdige Kirche und das Kloster
der Kapuziner, der Proletarier unter den Mönchen, welche deshalb die einzigen
sind, die sich noch einer gewissen Popularität erfreuen; einen Theil ihres Klosters
haben sie rothen französischen Husaren abtreten Müssen, und die Glocken der Kirche
mischen ihre Töne mit kriegerischen Trompetensignalen. Paarweise ziehen diese
Mönche, ich weiß nicht wohin, an uns vorüber; die braune Kutte, emporgeho-
ben. läßt die nackten Beine von den Sandalen der schmutzigen Füße bis zum
Knie sehen. Es sind schöne, charakteristische, ehrwürdige Köpfe, aber auch
manche Galgenphysiognomien darunter. Ihnen folgt eine Schwadron Husaren,
die Reiter abgesessen, vorsorglich die Pferde aus dem Steinpflaster am Zügel
führend.

Man sieht in Rom mehr wie in irgend einer anderen Stadt die National
kracht des niederen und des Landvolkes auf den Straßen. Das liegt zum
Theil daran, daß das Volk mit großer Zähigkeit an seinem Costüm festhält,
zum anderen Theil, weil der weite Mauernkreis eine ländliche Bevölkerung von
Ackerbauern, Winzern und Gärtnern umschließt. Es ist ein ungeMein buntes,
unterhaltendes Treiben auf diesem Barberini'schen Platze.

Wir aber kleiden uns an und begeben uns ins Cass Greco auf der Via
Condotti, um unser Frühstück nach römischer Sitte nicht zu Hause, sondern im
Cas6 einzunehmen. Wir »biegen vom Platze ab in die Via Felice. Alls dem
Eckhause ruft uns die weißgekleidete Gestalt eines Kochs und Trattoriewirths
ein deutsches „Guten Morgen" zu; neben der niedrigen unscheinbaren Ein¬
gangsthür steht in großen Lettern „deutsche Küche^. Es ist der Carton. eine der
besten und zugleich eine der unsaubersten Trattorien, die namentlich von deutschen
Künstlern und päpstlichen Offizieren viel besucht wird. Ein feister Hammel
lagert, wie anderwärts wohl ein Hund in der Hausthür, ein lebendiges Aus¬
hängeschild, das auch wohl in der Nachbarschaft umherspaziert, um aus dem
Straßenkehricht die Reste der Kohl- und Salatblätter sorgsam auszulesen, und
das an Feiertagen mit rothen, in die Wolle eingeflochtenen Bändern geschmückt
ist. Weiter die Via Felice nach dem Pincio hinausgehend, schauen wir an
den Fenstern blauäugige und blondhaarige Köpfe und englische Gesichter^ denn
wir sind in der Fremdenstraße rM exosllLiick. Ueber jeder Hausthür die In¬
schrift „elraurdrös ot apMrtviruznt.8 s, louer, eatrieis Ä'aMare". An der
nächsten Straßenecke und vor der Thüre der Madonnenkirche haben Kinder auf


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114313/437>, abgerufen am 26.08.2024.