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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band.

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das Widerstreben des Mädchcnstolzes bricht. Die Frage, ob wohl unseren
Mädchen das Ehebett eines römischen Helden gar so gräßlich dünken würde,
ist in der That so unabweisbar, das komische Element der Fabel so auffällig,
daß wir noch kein ehrliches Weltkind gefunden haben, weiches der Aufführung
dieses Trauerspieles, trotz seiner zahlreichen schönen Scenen, mit unerschüttertem
Ernste zuschauen konnte.

Zu allgemeiner Ueberraschung bietet uns Paul Heyse jetzt die dramatische
Bearbeitung eines Stoffes aus der deutschen Geschichte. Doch leider ist unde,
den deutschen Königen des Mittelalters kaum Einer, der das Interesse des
Politikers in so hohem Grade und zugleich die ästhetische Theilnahme so wenig
erregte wie "Ludwig der Bayer". Das mißgünstige Urtheil des Theatcrpubli-
cums -- desselben Publicums, welches die Philippine Welser des Herrn
v. Redwitz bewundert -- darf uns nicht hindern, das Schauspiel, und zunächst
seinen geschichtlichen Stoff, zu betrachten. Zwei ganz verschiedene Arten histo¬
rischer Stoffe bieten dem Dramatiker das dankbarste Feld. Wagt sich der
Dichter auf jene glänzenden Höhepunkte der Weltgeschichte, welche jedem Hörer
begeisternd in der Erinnerung leben, so wird er zwar Gefahr laufen, an dem
prosaischen historischen Besserwissen seiner Hörer zu scheitern, doch diese leiden¬
schaftliche Theilnahme der Zuschauer an dem Stoffe selber wird ihn zugleich
fördern und heben. An einigen Scenen von Zacharias Werners Luther mag
man erkennen, wie auch die Kraft eines phantastischen unklaren Poeten durch
die Großheit und Tiefe eines welthistorischen Stoffs über ihr Maß hinaus gestei¬
gert wird. Weit glücklicher aber wird sich der Dichter fühlen auf jenen Gebieten
der Geschichte, welche entweder -- wie das Schicksal Wallensteins und der Maria
Stuart-- einen sehr seinen und vieldeutigen psychologischen Proceß darbieten, oder
-- wie die Geschichte des falschen Demetrius -- sich nur leise aus sagenhaften
Halbdunkel emporheben. Hier hat die schöpferische Phantasie den erwünschte¬
sten freien Spielraum. Keinen dieser Vorzüge besitzt die Geschichte Ludwigs des
Bayern. Sie ist wohl zu bekannt, als daß sie nicht der Erfindungslust des
Dichters ziemlich enge Schranken setzen sollte, und dennoch entbehrt sie jenes
begeisternden stofflichen Reizes, der die Herzen der Hörer zu liebevollem Ent¬
gegenkommen stimmt. Ein wohlmeinender Herr von gesundem Verstände und
gut deutschem Sinne, aber mehr geschoben von der öffentlichen Meinung denn
ein Führer seiner Zeit, ein Charakter voll der seltensten Widersprüche, gut¬
müthig und doch habgierig, mit nahezu ketzerischer Kühnheit vorschreitend wider
die Kirche, und doch unfreien Gemüths, sichtlich gebeugt und verschüchtert durch
Roms geistliche Waffen -- so das Bild des historischen Ludwig. Dem Poli¬
tiker ist sein Wirken lehrreich, weil unter ihm der alte Kampf unsres Volks
wider die Herrschsucht der Päpste neue Formen annimmt. Aus dem Schooße
der Kirche selber erstehen dem Kaiser Bundesgenossen: die Minoriten verfechten


das Widerstreben des Mädchcnstolzes bricht. Die Frage, ob wohl unseren
Mädchen das Ehebett eines römischen Helden gar so gräßlich dünken würde,
ist in der That so unabweisbar, das komische Element der Fabel so auffällig,
daß wir noch kein ehrliches Weltkind gefunden haben, weiches der Aufführung
dieses Trauerspieles, trotz seiner zahlreichen schönen Scenen, mit unerschüttertem
Ernste zuschauen konnte.

Zu allgemeiner Ueberraschung bietet uns Paul Heyse jetzt die dramatische
Bearbeitung eines Stoffes aus der deutschen Geschichte. Doch leider ist unde,
den deutschen Königen des Mittelalters kaum Einer, der das Interesse des
Politikers in so hohem Grade und zugleich die ästhetische Theilnahme so wenig
erregte wie „Ludwig der Bayer". Das mißgünstige Urtheil des Theatcrpubli-
cums — desselben Publicums, welches die Philippine Welser des Herrn
v. Redwitz bewundert — darf uns nicht hindern, das Schauspiel, und zunächst
seinen geschichtlichen Stoff, zu betrachten. Zwei ganz verschiedene Arten histo¬
rischer Stoffe bieten dem Dramatiker das dankbarste Feld. Wagt sich der
Dichter auf jene glänzenden Höhepunkte der Weltgeschichte, welche jedem Hörer
begeisternd in der Erinnerung leben, so wird er zwar Gefahr laufen, an dem
prosaischen historischen Besserwissen seiner Hörer zu scheitern, doch diese leiden¬
schaftliche Theilnahme der Zuschauer an dem Stoffe selber wird ihn zugleich
fördern und heben. An einigen Scenen von Zacharias Werners Luther mag
man erkennen, wie auch die Kraft eines phantastischen unklaren Poeten durch
die Großheit und Tiefe eines welthistorischen Stoffs über ihr Maß hinaus gestei¬
gert wird. Weit glücklicher aber wird sich der Dichter fühlen auf jenen Gebieten
der Geschichte, welche entweder — wie das Schicksal Wallensteins und der Maria
Stuart— einen sehr seinen und vieldeutigen psychologischen Proceß darbieten, oder
— wie die Geschichte des falschen Demetrius — sich nur leise aus sagenhaften
Halbdunkel emporheben. Hier hat die schöpferische Phantasie den erwünschte¬
sten freien Spielraum. Keinen dieser Vorzüge besitzt die Geschichte Ludwigs des
Bayern. Sie ist wohl zu bekannt, als daß sie nicht der Erfindungslust des
Dichters ziemlich enge Schranken setzen sollte, und dennoch entbehrt sie jenes
begeisternden stofflichen Reizes, der die Herzen der Hörer zu liebevollem Ent¬
gegenkommen stimmt. Ein wohlmeinender Herr von gesundem Verstände und
gut deutschem Sinne, aber mehr geschoben von der öffentlichen Meinung denn
ein Führer seiner Zeit, ein Charakter voll der seltensten Widersprüche, gut¬
müthig und doch habgierig, mit nahezu ketzerischer Kühnheit vorschreitend wider
die Kirche, und doch unfreien Gemüths, sichtlich gebeugt und verschüchtert durch
Roms geistliche Waffen — so das Bild des historischen Ludwig. Dem Poli¬
tiker ist sein Wirken lehrreich, weil unter ihm der alte Kampf unsres Volks
wider die Herrschsucht der Päpste neue Formen annimmt. Aus dem Schooße
der Kirche selber erstehen dem Kaiser Bundesgenossen: die Minoriten verfechten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114313/424>, abgerufen am 25.08.2024.