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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band.

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gekommenen, geistlich weltlichen Aristokratie, die Hausmaier aus dem karolingischen
Geschlechte, welche zuerst durch blutige Siege dem innern Zwist des fränkischen
Stammes ein Ende machten. Langwierigere Kämpfe hatte sodann das nämliche
Heldengeschlecht zu bestehn, um sowohl die empörten Völkerschaften im Osten
und Westen zurückzuzwingen, als auch die heidnischen und saracenischen Feinde
des ganzen Reiches abzuweisen. Vermochten aber die Hausmaier, unter unge¬
heuern Anstrengungen, dies Rettungswerk zu vollziehen, so lag es doch in der
Natur der Sache, daß sie sich keineswegs darauf beschränkten. Wir meinen
nicht vlos, daß dies Geschlecht, nachdem es das Reich gewissermaßen noch ein¬
mal geschaffen und fast ein Jahrhundert schon thatsächlich regiert hatte, nun
auch die Krone sich aufsetzen ließ, die ja auf dem Haupte der letzten Merowinger
doch nur eine todte Zierrath gewesen war; wir meinen namentlich, daß die
Kräfte, welche die alten Reichsgrenzen wiederhergestellt und in den hiezu nöthi¬
gen Kämpfen sich entwickelt hatten, an diesen Grenzen nicht Halt machten.
Hatten die Friesen und Sachsen sich in die innern Reichswirren eingemischtes"
schloß sich an die Beendigung dieser Wirren ohne Weiteres der Kampf gegen
sie, bis zu ihrer gänzlichen Bezwingung durch Karl den Großen an. Wer in
den schmalen Streifen von Südgallien, den früherhin die Merowinger den
Westgothen noch gelassen, jetzt der saracenischen Herrschaft widerstrebte, rief frän¬
kische Truppen ins- Land und half wohl gern auch dazu, daß Karl der Große
seine Macht noch über die Pyrenäen hinaus, bis zum Ebro ausdehnte. End¬
lich: der Papst, in der Unabhängigkeit, welche er durch glückliche Aufleh¬
nungen gegen den byzantinischen Hof errungen, von den longobardischen
Königen bedroht, konnte jetzt nur von den Frankenkönigen Hülfe gegen seine
Dränger hoffen und gab Anlaß und Hülfe zu jenen italienischen Feldzügen,
die mit der Unterwerfung des Lvngobardenreiches unter Karl den Großen
schlössen. An diese Siege reihten sich aber dann wieder neue Kämpfe und neue
Eroberungen -- die Vernichtung des avarischen Reiches in Ungarn und die Be¬
kriegung der slavischen Völker, die dem Frankenreiche tributbar gemacht wer¬
den sollten.

Wir sehen, mit der Wiederherstellung des Reiches verband sich zugleich
eine stattliche Erweiterung-, und was für uns das Wesentlichste ist: auch die¬
jenigen Völkerschaften, die dem früheren Frankenreiche noch gefehlt hatten, um
auf dem Kontinent alle Länder deutscher Zunge und alle die zu umfassen, in
denen sich die Germanen mit den Römern gemischt hatten, waren jetzt mit in-
begriffen. Sachsen und Friesen auf der einen, Longobarden und was von den
Westgothen dem arabischen Joche entgangen war auf der andern Seite, sah
man in das große Gemeinwesen hereingezogen. Hatte nun vieles von den
politischen und socialen Verhältnissen, die sich im Westen und Süden aus dem
Eindringen germanischer Völkerschaften überall gleichmäßig gebildet hatten.


gekommenen, geistlich weltlichen Aristokratie, die Hausmaier aus dem karolingischen
Geschlechte, welche zuerst durch blutige Siege dem innern Zwist des fränkischen
Stammes ein Ende machten. Langwierigere Kämpfe hatte sodann das nämliche
Heldengeschlecht zu bestehn, um sowohl die empörten Völkerschaften im Osten
und Westen zurückzuzwingen, als auch die heidnischen und saracenischen Feinde
des ganzen Reiches abzuweisen. Vermochten aber die Hausmaier, unter unge¬
heuern Anstrengungen, dies Rettungswerk zu vollziehen, so lag es doch in der
Natur der Sache, daß sie sich keineswegs darauf beschränkten. Wir meinen
nicht vlos, daß dies Geschlecht, nachdem es das Reich gewissermaßen noch ein¬
mal geschaffen und fast ein Jahrhundert schon thatsächlich regiert hatte, nun
auch die Krone sich aufsetzen ließ, die ja auf dem Haupte der letzten Merowinger
doch nur eine todte Zierrath gewesen war; wir meinen namentlich, daß die
Kräfte, welche die alten Reichsgrenzen wiederhergestellt und in den hiezu nöthi¬
gen Kämpfen sich entwickelt hatten, an diesen Grenzen nicht Halt machten.
Hatten die Friesen und Sachsen sich in die innern Reichswirren eingemischtes»
schloß sich an die Beendigung dieser Wirren ohne Weiteres der Kampf gegen
sie, bis zu ihrer gänzlichen Bezwingung durch Karl den Großen an. Wer in
den schmalen Streifen von Südgallien, den früherhin die Merowinger den
Westgothen noch gelassen, jetzt der saracenischen Herrschaft widerstrebte, rief frän¬
kische Truppen ins- Land und half wohl gern auch dazu, daß Karl der Große
seine Macht noch über die Pyrenäen hinaus, bis zum Ebro ausdehnte. End¬
lich: der Papst, in der Unabhängigkeit, welche er durch glückliche Aufleh¬
nungen gegen den byzantinischen Hof errungen, von den longobardischen
Königen bedroht, konnte jetzt nur von den Frankenkönigen Hülfe gegen seine
Dränger hoffen und gab Anlaß und Hülfe zu jenen italienischen Feldzügen,
die mit der Unterwerfung des Lvngobardenreiches unter Karl den Großen
schlössen. An diese Siege reihten sich aber dann wieder neue Kämpfe und neue
Eroberungen — die Vernichtung des avarischen Reiches in Ungarn und die Be¬
kriegung der slavischen Völker, die dem Frankenreiche tributbar gemacht wer¬
den sollten.

Wir sehen, mit der Wiederherstellung des Reiches verband sich zugleich
eine stattliche Erweiterung-, und was für uns das Wesentlichste ist: auch die¬
jenigen Völkerschaften, die dem früheren Frankenreiche noch gefehlt hatten, um
auf dem Kontinent alle Länder deutscher Zunge und alle die zu umfassen, in
denen sich die Germanen mit den Römern gemischt hatten, waren jetzt mit in-
begriffen. Sachsen und Friesen auf der einen, Longobarden und was von den
Westgothen dem arabischen Joche entgangen war auf der andern Seite, sah
man in das große Gemeinwesen hereingezogen. Hatte nun vieles von den
politischen und socialen Verhältnissen, die sich im Westen und Süden aus dem
Eindringen germanischer Völkerschaften überall gleichmäßig gebildet hatten.


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[0336] gekommenen, geistlich weltlichen Aristokratie, die Hausmaier aus dem karolingischen Geschlechte, welche zuerst durch blutige Siege dem innern Zwist des fränkischen Stammes ein Ende machten. Langwierigere Kämpfe hatte sodann das nämliche Heldengeschlecht zu bestehn, um sowohl die empörten Völkerschaften im Osten und Westen zurückzuzwingen, als auch die heidnischen und saracenischen Feinde des ganzen Reiches abzuweisen. Vermochten aber die Hausmaier, unter unge¬ heuern Anstrengungen, dies Rettungswerk zu vollziehen, so lag es doch in der Natur der Sache, daß sie sich keineswegs darauf beschränkten. Wir meinen nicht vlos, daß dies Geschlecht, nachdem es das Reich gewissermaßen noch ein¬ mal geschaffen und fast ein Jahrhundert schon thatsächlich regiert hatte, nun auch die Krone sich aufsetzen ließ, die ja auf dem Haupte der letzten Merowinger doch nur eine todte Zierrath gewesen war; wir meinen namentlich, daß die Kräfte, welche die alten Reichsgrenzen wiederhergestellt und in den hiezu nöthi¬ gen Kämpfen sich entwickelt hatten, an diesen Grenzen nicht Halt machten. Hatten die Friesen und Sachsen sich in die innern Reichswirren eingemischtes» schloß sich an die Beendigung dieser Wirren ohne Weiteres der Kampf gegen sie, bis zu ihrer gänzlichen Bezwingung durch Karl den Großen an. Wer in den schmalen Streifen von Südgallien, den früherhin die Merowinger den Westgothen noch gelassen, jetzt der saracenischen Herrschaft widerstrebte, rief frän¬ kische Truppen ins- Land und half wohl gern auch dazu, daß Karl der Große seine Macht noch über die Pyrenäen hinaus, bis zum Ebro ausdehnte. End¬ lich: der Papst, in der Unabhängigkeit, welche er durch glückliche Aufleh¬ nungen gegen den byzantinischen Hof errungen, von den longobardischen Königen bedroht, konnte jetzt nur von den Frankenkönigen Hülfe gegen seine Dränger hoffen und gab Anlaß und Hülfe zu jenen italienischen Feldzügen, die mit der Unterwerfung des Lvngobardenreiches unter Karl den Großen schlössen. An diese Siege reihten sich aber dann wieder neue Kämpfe und neue Eroberungen — die Vernichtung des avarischen Reiches in Ungarn und die Be¬ kriegung der slavischen Völker, die dem Frankenreiche tributbar gemacht wer¬ den sollten. Wir sehen, mit der Wiederherstellung des Reiches verband sich zugleich eine stattliche Erweiterung-, und was für uns das Wesentlichste ist: auch die¬ jenigen Völkerschaften, die dem früheren Frankenreiche noch gefehlt hatten, um auf dem Kontinent alle Länder deutscher Zunge und alle die zu umfassen, in denen sich die Germanen mit den Römern gemischt hatten, waren jetzt mit in- begriffen. Sachsen und Friesen auf der einen, Longobarden und was von den Westgothen dem arabischen Joche entgangen war auf der andern Seite, sah man in das große Gemeinwesen hereingezogen. Hatte nun vieles von den politischen und socialen Verhältnissen, die sich im Westen und Süden aus dem Eindringen germanischer Völkerschaften überall gleichmäßig gebildet hatten.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114313/336>, abgerufen am 11.02.2025.