Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band.Stadt hat ihr großes Blatt, alle diese Orte stehen publicistisch selbständig da, Bis zum- heutigen Tage steht unsere politische Intelligenz in einem weiten Wir dürfen uns glücklich schätzen, daß endlich dieser Zustand mehr und Wenn die Presse jenes Niveau erreichen will, muß sie sich vor allem concen- Stadt hat ihr großes Blatt, alle diese Orte stehen publicistisch selbständig da, Bis zum- heutigen Tage steht unsere politische Intelligenz in einem weiten Wir dürfen uns glücklich schätzen, daß endlich dieser Zustand mehr und Wenn die Presse jenes Niveau erreichen will, muß sie sich vor allem concen- <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0032" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/114346"/> <p xml:id="ID_102" prev="#ID_101"> Stadt hat ihr großes Blatt, alle diese Orte stehen publicistisch selbständig da,<lb/> und über ihnen gibt es keine höhere Einheit. Die nothwendige Folge dieses<lb/> Zustands ist das Auseinandergehen der öffentlichen Meinung in zahllose Nuancen,<lb/> die Herrschaft der localen und provinziellen Anschauung über die allgemeine.<lb/> Es muß anerkannt werden, daß fast alle diese Blätter in den letzten Jahren<lb/> eine höchst erfreuliche Uebereinstimmung in gewissen Hauptpunkten gewonnen<lb/> haben, daß ein Grundzug in der Hauptsache gleichen Strebens durch die meisten<lb/> derselben hindurchgeht, daß sie in ihrer sehr großen Mehrheit dem nationalen<lb/> Gedanken einen ernsten und einsichtigen Dienst widmen. Aber auf der andern<lb/> Seite läßt sich ebenso wenig verkennen, daß der Organismus unserer Presse<lb/> durch den vollständigen Mangel der höheren Einheit an schweren Gebrechen<lb/> leidet.</p><lb/> <p xml:id="ID_103"> Bis zum- heutigen Tage steht unsere politische Intelligenz in einem weiten<lb/> Abstände hinter unsrer allgemeinen Bildung zurück, eine natürliche Folge un¬<lb/> seres seltsamen Entwicklungsganges, welcher uns fast dreihundert Jahre ganz<lb/> in private Interessen und Tugenden, in religiöse, künstlerische und wissenschaft¬<lb/> liche Bestrebungen begrub. Noch heute hat der für alle andern Nationen der<lb/> Welt absolut selbstverständliche Satz, daß der Staat die Basis der nationalen<lb/> Existenz ist wie der nationalen Bildung und Tugend, bei uns keineswegs all-<lb/> ,gemeine.n und thatkräftigen Glauben sich errungen. Noch heute begegnen wir<lb/> in allen Kreisen geistvollen und kenntnißreichen Personen, welche sich nicht ge¬<lb/> drückt fühlen durch den Umstand, daß sie zum Staat weder ein warmes prak¬<lb/> tisches Verhältniß, noch von staatlichen Dingen das geringste Urtheil haben.</p><lb/> <p xml:id="ID_104"> Wir dürfen uns glücklich schätzen, daß endlich dieser Zustand mehr und<lb/> mehr als krankhaft, der Heilung bedürftig erkannt wird. Zu dieser Genesung<lb/> muß aber vor allem unsere Publicistik mitwirken, sie muß die Brücke schlagen<lb/> von unserer wissenschaftlichen und menschlichen Bildung zur bürgerlichen. Unsre<lb/> jetzige Presse steht aber noch nicht auf der Höhe unseres geistigen Lebens, sie<lb/> ist unsrer Wissenschaft noch nicht ebenbürtig geworden, sie ist theils wirklich<lb/> noch eine niedere Region, in der zu oft Personen von mäßiger Einsicht und<lb/> beschränkten Kenntnissen dominiren, theils gilt sie wenigstens bei sehr vielen<lb/> dafür.</p><lb/> <p xml:id="ID_105" next="#ID_106"> Wenn die Presse jenes Niveau erreichen will, muß sie sich vor allem concen-<lb/> triren; nur dadurch kann sie die geistigen und materiellen Mittel, nur dadurch<lb/> die weithin treffende Wirkung erlangen, ohne welche ein großes Journal sich nicht<lb/> denken läßt. Wir müssen einige große Blätter haben mit einem Absatz wie wir<lb/> ihn in Frankreich, England und Amerika findein diese Blätter werden die deutsche<lb/> Intelligenz repräsentiren, diese für den Bau des deutschen Staats die deutschen<lb/> Köpfe zusammenführen, diese das unselige Schwanken austreiben zwischen eng¬<lb/> herzigen Particularismus in der Praxis und kernlosem Kosmopolitismus in</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0032]
Stadt hat ihr großes Blatt, alle diese Orte stehen publicistisch selbständig da,
und über ihnen gibt es keine höhere Einheit. Die nothwendige Folge dieses
Zustands ist das Auseinandergehen der öffentlichen Meinung in zahllose Nuancen,
die Herrschaft der localen und provinziellen Anschauung über die allgemeine.
Es muß anerkannt werden, daß fast alle diese Blätter in den letzten Jahren
eine höchst erfreuliche Uebereinstimmung in gewissen Hauptpunkten gewonnen
haben, daß ein Grundzug in der Hauptsache gleichen Strebens durch die meisten
derselben hindurchgeht, daß sie in ihrer sehr großen Mehrheit dem nationalen
Gedanken einen ernsten und einsichtigen Dienst widmen. Aber auf der andern
Seite läßt sich ebenso wenig verkennen, daß der Organismus unserer Presse
durch den vollständigen Mangel der höheren Einheit an schweren Gebrechen
leidet.
Bis zum- heutigen Tage steht unsere politische Intelligenz in einem weiten
Abstände hinter unsrer allgemeinen Bildung zurück, eine natürliche Folge un¬
seres seltsamen Entwicklungsganges, welcher uns fast dreihundert Jahre ganz
in private Interessen und Tugenden, in religiöse, künstlerische und wissenschaft¬
liche Bestrebungen begrub. Noch heute hat der für alle andern Nationen der
Welt absolut selbstverständliche Satz, daß der Staat die Basis der nationalen
Existenz ist wie der nationalen Bildung und Tugend, bei uns keineswegs all-
,gemeine.n und thatkräftigen Glauben sich errungen. Noch heute begegnen wir
in allen Kreisen geistvollen und kenntnißreichen Personen, welche sich nicht ge¬
drückt fühlen durch den Umstand, daß sie zum Staat weder ein warmes prak¬
tisches Verhältniß, noch von staatlichen Dingen das geringste Urtheil haben.
Wir dürfen uns glücklich schätzen, daß endlich dieser Zustand mehr und
mehr als krankhaft, der Heilung bedürftig erkannt wird. Zu dieser Genesung
muß aber vor allem unsere Publicistik mitwirken, sie muß die Brücke schlagen
von unserer wissenschaftlichen und menschlichen Bildung zur bürgerlichen. Unsre
jetzige Presse steht aber noch nicht auf der Höhe unseres geistigen Lebens, sie
ist unsrer Wissenschaft noch nicht ebenbürtig geworden, sie ist theils wirklich
noch eine niedere Region, in der zu oft Personen von mäßiger Einsicht und
beschränkten Kenntnissen dominiren, theils gilt sie wenigstens bei sehr vielen
dafür.
Wenn die Presse jenes Niveau erreichen will, muß sie sich vor allem concen-
triren; nur dadurch kann sie die geistigen und materiellen Mittel, nur dadurch
die weithin treffende Wirkung erlangen, ohne welche ein großes Journal sich nicht
denken läßt. Wir müssen einige große Blätter haben mit einem Absatz wie wir
ihn in Frankreich, England und Amerika findein diese Blätter werden die deutsche
Intelligenz repräsentiren, diese für den Bau des deutschen Staats die deutschen
Köpfe zusammenführen, diese das unselige Schwanken austreiben zwischen eng¬
herzigen Particularismus in der Praxis und kernlosem Kosmopolitismus in
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