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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band.

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Sion zu unterstützen. Robert d'Azeglio führte den Vorsitz. Balbo war durch
Krankheit verhindert zu erscheinen. Zuerst ergriffen Valerio und seine Freunde
das Wort und beantragten, daß eine gleiche Anzahl Turiner an den König ab¬
gesandt werden solle, um ihm dieselben Bitten vorzutragen. Ihnen gegenüber
zeigte Cavour, daß dieser Weg nicht ohne Gefahren sei, da er die bestehende
Eintracht zwischen Volk und Regierung compromittiren müßte; denn Karl Al¬
bert sei nun einmal in religiösen Dingen befangen und werde niemals eine
strenge Maßregel gegen die Jesuiten genehmigen. Soll man denn, fuhr er fort,
eine Gefahr laufen, so sei es um etwas Ernsthafteres als die Räumung eines
Klosters, und so schlage ich vor, ohne Umschweife und freimüthig eine Verfas¬
sung zu verlangen. Die gegebenen Reformen sind Etwas, als Anfang des
Fortschritts. Als ein dauernder Zustand sind sie eine Absurdität, eine Unmög¬
lichkeit, wogegen unverzüglich Vorsorge zu treffen ist, bevor die Agitationen
das zur Nothwendigkeit machen, was heute noch ein freies Geschenk ist. Vale-
rio war betroffen, auf diese Weise seinen Liberalismus von dem des Grafen
Cavour überholt zu sehen und erklärte den Antrag für inopportun, die Zeiten
seien noch nicht reif für eine so durchgreifende politische Veränderung, das
Land noch nicht vorbereitet, man müsse erst die Massen zum Gebrauch der Frei¬
heit erziehen. Predari bemerkte ihm, nur durch den Gebrauch der Freiheit
werden die Völker für die Freiheit reif, worauf Valerio ungeschickt genug er¬
widerte, in Fragen von höchster Wichtigkeit für das Land könne ein Fremder
nicht mitsprechen, der Lombarde galt also damals noch dem piemontesischen
Demokraten als ein Ausländer. Die Discussion wurde nun äußerst lebhaft.
Lanza, Sineo und einige andere Mitarbeiter der Concordia hielten zu Valerio,
aber die überwiegende Mehrheit, darunter Robert d'Azeglio, Santa Rosa, Du-
rando, Brofferio, standen auf Cavours Seite. Man kam überein. diese Ansicht
der Mehrheit der genuesischen Deputation mitzutheilen und sie einzuladen, die
Ausführung ihres. Maubads zu suspendiren, bis man sich gemeinsam über die
Erfordernisse der Lage besprochen und ein EinVerständniß zwischen den beiden
großen Familien Piemonts und Liguriens erzielt hätte. Die Wahl zur Abord¬
nung und Berichterstattung an die Genuesen fiel auf d'Azeglio, Brofferio,
Sineo, Valerio. Die Genuesen waren jedoch noch nicht alle angelangt. Die¬
jenigen, welche die piemontesische Abordnung empfingen, erwiderten deshalb,
daß sie über den Vorschlag erst nach Ankunft der Uebrigen beschließen könnten;
es wurde ausgemacht, daß bis zum nächsten Abend die Antwort erfolgen solle.
Am Mittag des folgenden Tags (8. Jan.) fand eine Vorbesprechung im Hause
Vicar's statt, wo OberstsDurandv es übernahm, eine ehrerbietige Adresse an
den König zu verfassen, die in der Abendversammlung bei d'Azeglio vorgelesen
und berathen werden sollte. Alle erschienen zur festgesetzten Stunde mit Aus¬
nahme von Valerio und seinen Freunden von der Concordia. Man erfuhr


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Sion zu unterstützen. Robert d'Azeglio führte den Vorsitz. Balbo war durch
Krankheit verhindert zu erscheinen. Zuerst ergriffen Valerio und seine Freunde
das Wort und beantragten, daß eine gleiche Anzahl Turiner an den König ab¬
gesandt werden solle, um ihm dieselben Bitten vorzutragen. Ihnen gegenüber
zeigte Cavour, daß dieser Weg nicht ohne Gefahren sei, da er die bestehende
Eintracht zwischen Volk und Regierung compromittiren müßte; denn Karl Al¬
bert sei nun einmal in religiösen Dingen befangen und werde niemals eine
strenge Maßregel gegen die Jesuiten genehmigen. Soll man denn, fuhr er fort,
eine Gefahr laufen, so sei es um etwas Ernsthafteres als die Räumung eines
Klosters, und so schlage ich vor, ohne Umschweife und freimüthig eine Verfas¬
sung zu verlangen. Die gegebenen Reformen sind Etwas, als Anfang des
Fortschritts. Als ein dauernder Zustand sind sie eine Absurdität, eine Unmög¬
lichkeit, wogegen unverzüglich Vorsorge zu treffen ist, bevor die Agitationen
das zur Nothwendigkeit machen, was heute noch ein freies Geschenk ist. Vale-
rio war betroffen, auf diese Weise seinen Liberalismus von dem des Grafen
Cavour überholt zu sehen und erklärte den Antrag für inopportun, die Zeiten
seien noch nicht reif für eine so durchgreifende politische Veränderung, das
Land noch nicht vorbereitet, man müsse erst die Massen zum Gebrauch der Frei¬
heit erziehen. Predari bemerkte ihm, nur durch den Gebrauch der Freiheit
werden die Völker für die Freiheit reif, worauf Valerio ungeschickt genug er¬
widerte, in Fragen von höchster Wichtigkeit für das Land könne ein Fremder
nicht mitsprechen, der Lombarde galt also damals noch dem piemontesischen
Demokraten als ein Ausländer. Die Discussion wurde nun äußerst lebhaft.
Lanza, Sineo und einige andere Mitarbeiter der Concordia hielten zu Valerio,
aber die überwiegende Mehrheit, darunter Robert d'Azeglio, Santa Rosa, Du-
rando, Brofferio, standen auf Cavours Seite. Man kam überein. diese Ansicht
der Mehrheit der genuesischen Deputation mitzutheilen und sie einzuladen, die
Ausführung ihres. Maubads zu suspendiren, bis man sich gemeinsam über die
Erfordernisse der Lage besprochen und ein EinVerständniß zwischen den beiden
großen Familien Piemonts und Liguriens erzielt hätte. Die Wahl zur Abord¬
nung und Berichterstattung an die Genuesen fiel auf d'Azeglio, Brofferio,
Sineo, Valerio. Die Genuesen waren jedoch noch nicht alle angelangt. Die¬
jenigen, welche die piemontesische Abordnung empfingen, erwiderten deshalb,
daß sie über den Vorschlag erst nach Ankunft der Uebrigen beschließen könnten;
es wurde ausgemacht, daß bis zum nächsten Abend die Antwort erfolgen solle.
Am Mittag des folgenden Tags (8. Jan.) fand eine Vorbesprechung im Hause
Vicar's statt, wo OberstsDurandv es übernahm, eine ehrerbietige Adresse an
den König zu verfassen, die in der Abendversammlung bei d'Azeglio vorgelesen
und berathen werden sollte. Alle erschienen zur festgesetzten Stunde mit Aus¬
nahme von Valerio und seinen Freunden von der Concordia. Man erfuhr


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[0315] Sion zu unterstützen. Robert d'Azeglio führte den Vorsitz. Balbo war durch Krankheit verhindert zu erscheinen. Zuerst ergriffen Valerio und seine Freunde das Wort und beantragten, daß eine gleiche Anzahl Turiner an den König ab¬ gesandt werden solle, um ihm dieselben Bitten vorzutragen. Ihnen gegenüber zeigte Cavour, daß dieser Weg nicht ohne Gefahren sei, da er die bestehende Eintracht zwischen Volk und Regierung compromittiren müßte; denn Karl Al¬ bert sei nun einmal in religiösen Dingen befangen und werde niemals eine strenge Maßregel gegen die Jesuiten genehmigen. Soll man denn, fuhr er fort, eine Gefahr laufen, so sei es um etwas Ernsthafteres als die Räumung eines Klosters, und so schlage ich vor, ohne Umschweife und freimüthig eine Verfas¬ sung zu verlangen. Die gegebenen Reformen sind Etwas, als Anfang des Fortschritts. Als ein dauernder Zustand sind sie eine Absurdität, eine Unmög¬ lichkeit, wogegen unverzüglich Vorsorge zu treffen ist, bevor die Agitationen das zur Nothwendigkeit machen, was heute noch ein freies Geschenk ist. Vale- rio war betroffen, auf diese Weise seinen Liberalismus von dem des Grafen Cavour überholt zu sehen und erklärte den Antrag für inopportun, die Zeiten seien noch nicht reif für eine so durchgreifende politische Veränderung, das Land noch nicht vorbereitet, man müsse erst die Massen zum Gebrauch der Frei¬ heit erziehen. Predari bemerkte ihm, nur durch den Gebrauch der Freiheit werden die Völker für die Freiheit reif, worauf Valerio ungeschickt genug er¬ widerte, in Fragen von höchster Wichtigkeit für das Land könne ein Fremder nicht mitsprechen, der Lombarde galt also damals noch dem piemontesischen Demokraten als ein Ausländer. Die Discussion wurde nun äußerst lebhaft. Lanza, Sineo und einige andere Mitarbeiter der Concordia hielten zu Valerio, aber die überwiegende Mehrheit, darunter Robert d'Azeglio, Santa Rosa, Du- rando, Brofferio, standen auf Cavours Seite. Man kam überein. diese Ansicht der Mehrheit der genuesischen Deputation mitzutheilen und sie einzuladen, die Ausführung ihres. Maubads zu suspendiren, bis man sich gemeinsam über die Erfordernisse der Lage besprochen und ein EinVerständniß zwischen den beiden großen Familien Piemonts und Liguriens erzielt hätte. Die Wahl zur Abord¬ nung und Berichterstattung an die Genuesen fiel auf d'Azeglio, Brofferio, Sineo, Valerio. Die Genuesen waren jedoch noch nicht alle angelangt. Die¬ jenigen, welche die piemontesische Abordnung empfingen, erwiderten deshalb, daß sie über den Vorschlag erst nach Ankunft der Uebrigen beschließen könnten; es wurde ausgemacht, daß bis zum nächsten Abend die Antwort erfolgen solle. Am Mittag des folgenden Tags (8. Jan.) fand eine Vorbesprechung im Hause Vicar's statt, wo OberstsDurandv es übernahm, eine ehrerbietige Adresse an den König zu verfassen, die in der Abendversammlung bei d'Azeglio vorgelesen und berathen werden sollte. Alle erschienen zur festgesetzten Stunde mit Aus¬ nahme von Valerio und seinen Freunden von der Concordia. Man erfuhr 39*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114313/315>, abgerufen am 06.02.2025.