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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band.

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Eine große Verschiedenheit bestand unter den Programmen der drei Zei¬
tungen nicht. Alle wollten die Eintracht Italiens und den Fortschritt im Innern,
nur daß der Risorgimentv die Frage der Unabhängigkeit der der Freikeit voran¬
stellte, die Concordia vor allem die Freiheit betonte, die Opinione mehr in
allgemeiner Weise den Fortschritt verfocht. Alle aber erkannten es als Noth¬
wendigkeit, unter den gegenwärtigen Umständen die Regierung zu unterstützen,
und hierin ging das demokratische Organ fast weiter als die andern, was darin
seinen Grund hatte, daß der Director der Concordia sich die besondere Gunst
des Ministers des königlichen Hauses, Castagneto, zu erwerben wußte; es zeigte
sich übrigens bald, daß diese Zeitung überhaupt am wenigsten Haltung hatte.
Die schönen Phrasen und eine blühende Phantasie ersetzten nicht den Mangel
an tüchtiger Bildung und cousequenter Richtung. Ein Witzbold setzte eine
Prämie aus für die Beantwortung der Frage, was dieses Blatt in der innern
und auswärtigen Politik wolle. Selbst Mazzini, der von Valerie hoch verehrt
wurde, tadelte mit schneidender Schärfe dessen kritiklose, sentimentale Politik,
die alles verzeihe, alles von allen hoffe, Könige und Völker, Föderalisten und
Unitarier mit gleicher Liebe umfasse und zu meinen scheine, die Auferstehung
Italiens gehe in Arkadien vor sich. Die Aufgabe der Concordia wurde mehr
von der Volkszeitung erfüllt, welche bald zu Bedeutung gelangte, und mit Geist
und Feuer, oft nur zu ungezügelt, gegen die politischen, bürgerlichen und reli¬
giösen Vorurtheile ankämpfte. Die Leitung des Nisorgimento übernahm Ca-
millo Cavour, ihm zur Seite standen Graf Franchi, Santa Rosa, Castelli, Bon-
cvmpagni, Robert d'Azeglio und Ricotti. Balbo, dem Cavour zu revolutionär
war, hatte sich gleich im Anfang zurückgezogen, wie er von nun an überhaupt
sich darin gefiel, die Tugend der Mäßigung zu übertreiben. Sie werden es
noch so weit bringen -- sagte ihm einmal Cavour in einem der lebhaften Ge¬
spräche, wie sie damals zwischen beiden Männern stattzufinden pflegten, -- das
herrliche Gebäude zu zertrümmern, das von der Einsicht und der Mäßigung so
vieler Ehrenmänner aufgebaut worden ist.

Welche Bedeutung der Journalismus erlangt hatte, zeigte sich bald bei
einem wichtigen Vorfall. In Genua hatte die Agitation gegen die Jesuiten
immer mehr zugenommen, und der Stadtrath sah sich schließlich im Interesse der
Ordnung veranlaßt, eine Deputation nach Turin zu schicken, um von der Regie¬
rung Errichtung einer Bürgergarde und Ausweisung der Jesuiten zu verlangen.
Eine Adresse an den Kön'g in diesem Sinn ward von Tausenden von Unterschrif¬
ten bedeckt, ohne Unterschied des Alters, Geschlechts oder Standes.

Als die Genueser Deputation in Turin angelangt war, ergriffen die Ver¬
treter der Presse, Cavour, Valerio, Durando und Predari die Initiative und
luden auf den Abend des 7. Jan. in den Saal der Europa eine Anzahl notab¬
ler Bürger ein, um über die Mittel zu berathen, die Deputation in ihrer Mis-


Eine große Verschiedenheit bestand unter den Programmen der drei Zei¬
tungen nicht. Alle wollten die Eintracht Italiens und den Fortschritt im Innern,
nur daß der Risorgimentv die Frage der Unabhängigkeit der der Freikeit voran¬
stellte, die Concordia vor allem die Freiheit betonte, die Opinione mehr in
allgemeiner Weise den Fortschritt verfocht. Alle aber erkannten es als Noth¬
wendigkeit, unter den gegenwärtigen Umständen die Regierung zu unterstützen,
und hierin ging das demokratische Organ fast weiter als die andern, was darin
seinen Grund hatte, daß der Director der Concordia sich die besondere Gunst
des Ministers des königlichen Hauses, Castagneto, zu erwerben wußte; es zeigte
sich übrigens bald, daß diese Zeitung überhaupt am wenigsten Haltung hatte.
Die schönen Phrasen und eine blühende Phantasie ersetzten nicht den Mangel
an tüchtiger Bildung und cousequenter Richtung. Ein Witzbold setzte eine
Prämie aus für die Beantwortung der Frage, was dieses Blatt in der innern
und auswärtigen Politik wolle. Selbst Mazzini, der von Valerie hoch verehrt
wurde, tadelte mit schneidender Schärfe dessen kritiklose, sentimentale Politik,
die alles verzeihe, alles von allen hoffe, Könige und Völker, Föderalisten und
Unitarier mit gleicher Liebe umfasse und zu meinen scheine, die Auferstehung
Italiens gehe in Arkadien vor sich. Die Aufgabe der Concordia wurde mehr
von der Volkszeitung erfüllt, welche bald zu Bedeutung gelangte, und mit Geist
und Feuer, oft nur zu ungezügelt, gegen die politischen, bürgerlichen und reli¬
giösen Vorurtheile ankämpfte. Die Leitung des Nisorgimento übernahm Ca-
millo Cavour, ihm zur Seite standen Graf Franchi, Santa Rosa, Castelli, Bon-
cvmpagni, Robert d'Azeglio und Ricotti. Balbo, dem Cavour zu revolutionär
war, hatte sich gleich im Anfang zurückgezogen, wie er von nun an überhaupt
sich darin gefiel, die Tugend der Mäßigung zu übertreiben. Sie werden es
noch so weit bringen — sagte ihm einmal Cavour in einem der lebhaften Ge¬
spräche, wie sie damals zwischen beiden Männern stattzufinden pflegten, — das
herrliche Gebäude zu zertrümmern, das von der Einsicht und der Mäßigung so
vieler Ehrenmänner aufgebaut worden ist.

Welche Bedeutung der Journalismus erlangt hatte, zeigte sich bald bei
einem wichtigen Vorfall. In Genua hatte die Agitation gegen die Jesuiten
immer mehr zugenommen, und der Stadtrath sah sich schließlich im Interesse der
Ordnung veranlaßt, eine Deputation nach Turin zu schicken, um von der Regie¬
rung Errichtung einer Bürgergarde und Ausweisung der Jesuiten zu verlangen.
Eine Adresse an den Kön'g in diesem Sinn ward von Tausenden von Unterschrif¬
ten bedeckt, ohne Unterschied des Alters, Geschlechts oder Standes.

Als die Genueser Deputation in Turin angelangt war, ergriffen die Ver¬
treter der Presse, Cavour, Valerio, Durando und Predari die Initiative und
luden auf den Abend des 7. Jan. in den Saal der Europa eine Anzahl notab¬
ler Bürger ein, um über die Mittel zu berathen, die Deputation in ihrer Mis-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114313/314>, abgerufen am 06.02.2025.