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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band.

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Gebäudes die Anzahl von 2000 Musikern und Sängern noch zu klein war,
und man verdoppelte für das eigentliche Fest Chor und Orchester, so daß die
Zahl der Mitwirkenden 4000 war, eine Anzahl, die man für das diesjährige
Fest beibehalten hat.'

. Den Stamm des Chores bildet die Sacred Harmonie Society^mit ande¬
ren Sängern aus London, und das Verhältniß der in London selbst lebenden
Sänger und Sängerinne" zu den auswärtigen stellt sich wie 0:1. Das Or¬
chester besteht größtenteils nur aus Londoner Musikern, das Verhältniß zu den
von auswärts kommenden ist wie 10 : 1., Der große Unterschied zwischen
einer musikalischen Vereinigung dieser Art in England und einem deutschen
Musikfeste ist, daß in England im Grunde nur der pecuniäre Vortheil das ist,
was zu solchen ungeheuerlichen Anstrengungen veranlaßt, während in Deutsch¬
land der Enthusiasmus und die Begeisterung für das Schöne und Große der
Nerv aller großen musikalischen Leistungen ist. England bezahlt seine Sänger
und Sängerinnen, die größtentheils den unteren Volksclassen angehören, und
die Sacred Harmonie Society und die Direction. des Krystallpalastes haben
selbst nach den großen Kosten, die ein solches Unternehmen erfordert, jede ein
bedeutendes Capital als Reinertrag dieser Aufführungen erworben. Nach offi-
ciellen Berichten hat die Krystallpalast-Company außer der Errichtung des
großen Orchesters die Summe von etwa 25,00" Pfund, die Sacred Harmonie
Society, außer einer beträchtlichen Masse von Noten und Instrumenten, etwa
9 -- 10,000 Pfund als Gewinn aus den letzten drei Händelfesten gezogen. Wie
unbedeutend sind solchen Summen gegenüber die Ueberschüsse aus unseren deut¬
schen Musikfesten, wo jeder sein Scherflein zum Gelingen des Ganzen beiträgt
und nur die Liebe zur Kunst allein und das Bewußtsein, einem hohen und
idealen Zwecke seine Kräfte zu widmen, selbst den Aermsten opferwillig macht!
In diesem Unterschied liegt aber auch der Grund zu Befürchtungen für die
Wiederholung dieser Feste. Wenn der Reiz der Neuheit geschwunden ist und
die Monsterconcerte nicht mehr pecuniären Gewinn bringen können, werden
sie von selbst aufhören; innere treibende Lebenskraft haben sie nicht. Die
Direction ist gezwungen, an denselben Musikstücken festzuhalten, denn die eng¬
lischen musikalischen Verhältnisse bedingen das. Händels Messias und Israel
in Aegypten, so vollendet auch diese beiden Werke dastehen, können einem sol¬
chen Unternehmen nicht für alle Zeiten Lebenssaft genug zuführen, und wenn
die Sacred Harmonie Society nicht für das nächste Händelfest außerordentliche
Anstrengungen macht, so fürchte ich, wird schon dann die Krisis eintreten.

Freitag Abend den 21. Juni 1862 versammelte eine Probe zum ersten Male
sämmtliche Sänger aus London und den Provinzen in Exeter-Hall, dem Con-
certsaale der Sacred Harmonie Society, und am folgenden Tage hielt man
im Glaspalaste selbst eine Generalprobe. Uns Deutschen scheint eine Musik-


Gebäudes die Anzahl von 2000 Musikern und Sängern noch zu klein war,
und man verdoppelte für das eigentliche Fest Chor und Orchester, so daß die
Zahl der Mitwirkenden 4000 war, eine Anzahl, die man für das diesjährige
Fest beibehalten hat.'

. Den Stamm des Chores bildet die Sacred Harmonie Society^mit ande¬
ren Sängern aus London, und das Verhältniß der in London selbst lebenden
Sänger und Sängerinne» zu den auswärtigen stellt sich wie 0:1. Das Or¬
chester besteht größtenteils nur aus Londoner Musikern, das Verhältniß zu den
von auswärts kommenden ist wie 10 : 1., Der große Unterschied zwischen
einer musikalischen Vereinigung dieser Art in England und einem deutschen
Musikfeste ist, daß in England im Grunde nur der pecuniäre Vortheil das ist,
was zu solchen ungeheuerlichen Anstrengungen veranlaßt, während in Deutsch¬
land der Enthusiasmus und die Begeisterung für das Schöne und Große der
Nerv aller großen musikalischen Leistungen ist. England bezahlt seine Sänger
und Sängerinnen, die größtentheils den unteren Volksclassen angehören, und
die Sacred Harmonie Society und die Direction. des Krystallpalastes haben
selbst nach den großen Kosten, die ein solches Unternehmen erfordert, jede ein
bedeutendes Capital als Reinertrag dieser Aufführungen erworben. Nach offi-
ciellen Berichten hat die Krystallpalast-Company außer der Errichtung des
großen Orchesters die Summe von etwa 25,00« Pfund, die Sacred Harmonie
Society, außer einer beträchtlichen Masse von Noten und Instrumenten, etwa
9 — 10,000 Pfund als Gewinn aus den letzten drei Händelfesten gezogen. Wie
unbedeutend sind solchen Summen gegenüber die Ueberschüsse aus unseren deut¬
schen Musikfesten, wo jeder sein Scherflein zum Gelingen des Ganzen beiträgt
und nur die Liebe zur Kunst allein und das Bewußtsein, einem hohen und
idealen Zwecke seine Kräfte zu widmen, selbst den Aermsten opferwillig macht!
In diesem Unterschied liegt aber auch der Grund zu Befürchtungen für die
Wiederholung dieser Feste. Wenn der Reiz der Neuheit geschwunden ist und
die Monsterconcerte nicht mehr pecuniären Gewinn bringen können, werden
sie von selbst aufhören; innere treibende Lebenskraft haben sie nicht. Die
Direction ist gezwungen, an denselben Musikstücken festzuhalten, denn die eng¬
lischen musikalischen Verhältnisse bedingen das. Händels Messias und Israel
in Aegypten, so vollendet auch diese beiden Werke dastehen, können einem sol¬
chen Unternehmen nicht für alle Zeiten Lebenssaft genug zuführen, und wenn
die Sacred Harmonie Society nicht für das nächste Händelfest außerordentliche
Anstrengungen macht, so fürchte ich, wird schon dann die Krisis eintreten.

Freitag Abend den 21. Juni 1862 versammelte eine Probe zum ersten Male
sämmtliche Sänger aus London und den Provinzen in Exeter-Hall, dem Con-
certsaale der Sacred Harmonie Society, und am folgenden Tage hielt man
im Glaspalaste selbst eine Generalprobe. Uns Deutschen scheint eine Musik-


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[0290] Gebäudes die Anzahl von 2000 Musikern und Sängern noch zu klein war, und man verdoppelte für das eigentliche Fest Chor und Orchester, so daß die Zahl der Mitwirkenden 4000 war, eine Anzahl, die man für das diesjährige Fest beibehalten hat.' . Den Stamm des Chores bildet die Sacred Harmonie Society^mit ande¬ ren Sängern aus London, und das Verhältniß der in London selbst lebenden Sänger und Sängerinne» zu den auswärtigen stellt sich wie 0:1. Das Or¬ chester besteht größtenteils nur aus Londoner Musikern, das Verhältniß zu den von auswärts kommenden ist wie 10 : 1., Der große Unterschied zwischen einer musikalischen Vereinigung dieser Art in England und einem deutschen Musikfeste ist, daß in England im Grunde nur der pecuniäre Vortheil das ist, was zu solchen ungeheuerlichen Anstrengungen veranlaßt, während in Deutsch¬ land der Enthusiasmus und die Begeisterung für das Schöne und Große der Nerv aller großen musikalischen Leistungen ist. England bezahlt seine Sänger und Sängerinnen, die größtentheils den unteren Volksclassen angehören, und die Sacred Harmonie Society und die Direction. des Krystallpalastes haben selbst nach den großen Kosten, die ein solches Unternehmen erfordert, jede ein bedeutendes Capital als Reinertrag dieser Aufführungen erworben. Nach offi- ciellen Berichten hat die Krystallpalast-Company außer der Errichtung des großen Orchesters die Summe von etwa 25,00« Pfund, die Sacred Harmonie Society, außer einer beträchtlichen Masse von Noten und Instrumenten, etwa 9 — 10,000 Pfund als Gewinn aus den letzten drei Händelfesten gezogen. Wie unbedeutend sind solchen Summen gegenüber die Ueberschüsse aus unseren deut¬ schen Musikfesten, wo jeder sein Scherflein zum Gelingen des Ganzen beiträgt und nur die Liebe zur Kunst allein und das Bewußtsein, einem hohen und idealen Zwecke seine Kräfte zu widmen, selbst den Aermsten opferwillig macht! In diesem Unterschied liegt aber auch der Grund zu Befürchtungen für die Wiederholung dieser Feste. Wenn der Reiz der Neuheit geschwunden ist und die Monsterconcerte nicht mehr pecuniären Gewinn bringen können, werden sie von selbst aufhören; innere treibende Lebenskraft haben sie nicht. Die Direction ist gezwungen, an denselben Musikstücken festzuhalten, denn die eng¬ lischen musikalischen Verhältnisse bedingen das. Händels Messias und Israel in Aegypten, so vollendet auch diese beiden Werke dastehen, können einem sol¬ chen Unternehmen nicht für alle Zeiten Lebenssaft genug zuführen, und wenn die Sacred Harmonie Society nicht für das nächste Händelfest außerordentliche Anstrengungen macht, so fürchte ich, wird schon dann die Krisis eintreten. Freitag Abend den 21. Juni 1862 versammelte eine Probe zum ersten Male sämmtliche Sänger aus London und den Provinzen in Exeter-Hall, dem Con- certsaale der Sacred Harmonie Society, und am folgenden Tage hielt man im Glaspalaste selbst eine Generalprobe. Uns Deutschen scheint eine Musik-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114313/290>, abgerufen am 05.02.2025.