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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band.

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sich auf den engen Kreis seiner Privatthätigkeit in Wissenschaft. Genuß oder
hinter seine Acten zurück. Am Hofe wurden die Zeugen der großen Zeit in
der Mehrzahl unbequem, in der Luft, welche sich allmälig dort erzeugte, erschien
der König auch als Leiter und Führer der vergangenen Erhcbungszeit, was er
in der Empfindung derer, welche an die Periode vor 180" dachten und die
große Zeit thätig durchgemacht hatten, die Wahrheit zu sagen/ nicht gewesen
war. Ader es liegt im Wesen der Majestät, sich über den eigenen Antheil an
den Begebenheiten zu täuschen. Preußische Generale wurden bald durch ein
Lob und euren Orden des russischen Kaisers mehr beglückt, als durch das spar¬
same Lob,ihres eigenen Monarchen, und zuletzt fühlten sich auch die Berliner
erfreut und geschmeichelt, wenn die große Gestalt des Czaars -- den die russi¬
schen Generale jetzt gern den großen Poltron nennen -- aus dem Portal des
königlichen Schlosses in das Volksgewühl trat. Es ist hier nicht der Ort aus¬
zuführen, wie in der langen Regierungszeit Friedrich Wilhelm des Dritten und
seines unglücklichen Nachfolgers das Verständniß der großen Aufgabe Preußens
am Hose, bei der Generalität und der Diplomatie und im Volte geringer wurde,
und wie zuletzt die krampfhaften Verwirrungen des Jahres 1848 und die Reac¬
tion der folgenden Jahre als unvermeidliche Folge solcher schwachen Vergangen¬
heit eintraten.

Hier soll mit den Worten eines einzelnen tüchtigen Mannes gezeigt werden,
wie er selbst sich gegen die herein brechende Schwäche und ihre Gewaltthätigkeit
zu vertheidigen suchte. Mühlenfels war nach der Schlacht bei Dennewitz, den
Aufforderungen aus der Umgebung des Kronprinzen von Schweden folgend,
als Freiwilliger in das schwedische Heer getreten, bei welchem mehre seiner
Vrüder ständen, dem er selbst seiner engern Heimath, dem schwedischen Vorpom¬
mern, nach angehörte. Er hatte in der Schlacht bei Leipzig mitgefochten, die
große Medaille für Tapferkeit erhalten und war zum Offizier ernannt worden.
Aber die schlecht geheilten Wunden, welche er bei jenem Gemetzel der Lützvwi-
schen Reiter am 16. Juni erhalten, brachen'wieder auf, er mußte das Heer ver¬
lassen, in milderem Klima seine Herstellung suchen. Er ging nach Heidelberg;
dort vollendete er im I. 1816 seine Studien, wurde Doctor der Rechte, nahm
seinen Abschied von dein schwedischen Militär und trat als Jurist in den
preußischen Staatsdienst. Im December 1817 wurde er als substitue des
Staatsproucrators angestellt. In diesem Amt wußte er sich schnell das Ver¬
trauen der Bürger und seiner Vorgesetzten zu erwerben; im Alter von vier und
zwanzig Jahren stand er in ehrenvoller Tätigkeit mit einem immerhin ansehn¬
lichen Gehalt Und umfassender Wirksamkeit, geachtet, geliebt und geehrt.in gro¬
ßem Freundeskreise, mit frohen, ja glänzenden Aussichten in die Zukunft.

Da brach über ihn, wie über den preußischen Staat das Verhängniß herein.
Als 1819 nach der Ermordung Kotzebues die Demagogenuntersuchungen be-


sich auf den engen Kreis seiner Privatthätigkeit in Wissenschaft. Genuß oder
hinter seine Acten zurück. Am Hofe wurden die Zeugen der großen Zeit in
der Mehrzahl unbequem, in der Luft, welche sich allmälig dort erzeugte, erschien
der König auch als Leiter und Führer der vergangenen Erhcbungszeit, was er
in der Empfindung derer, welche an die Periode vor 180» dachten und die
große Zeit thätig durchgemacht hatten, die Wahrheit zu sagen/ nicht gewesen
war. Ader es liegt im Wesen der Majestät, sich über den eigenen Antheil an
den Begebenheiten zu täuschen. Preußische Generale wurden bald durch ein
Lob und euren Orden des russischen Kaisers mehr beglückt, als durch das spar¬
same Lob,ihres eigenen Monarchen, und zuletzt fühlten sich auch die Berliner
erfreut und geschmeichelt, wenn die große Gestalt des Czaars — den die russi¬
schen Generale jetzt gern den großen Poltron nennen — aus dem Portal des
königlichen Schlosses in das Volksgewühl trat. Es ist hier nicht der Ort aus¬
zuführen, wie in der langen Regierungszeit Friedrich Wilhelm des Dritten und
seines unglücklichen Nachfolgers das Verständniß der großen Aufgabe Preußens
am Hose, bei der Generalität und der Diplomatie und im Volte geringer wurde,
und wie zuletzt die krampfhaften Verwirrungen des Jahres 1848 und die Reac¬
tion der folgenden Jahre als unvermeidliche Folge solcher schwachen Vergangen¬
heit eintraten.

Hier soll mit den Worten eines einzelnen tüchtigen Mannes gezeigt werden,
wie er selbst sich gegen die herein brechende Schwäche und ihre Gewaltthätigkeit
zu vertheidigen suchte. Mühlenfels war nach der Schlacht bei Dennewitz, den
Aufforderungen aus der Umgebung des Kronprinzen von Schweden folgend,
als Freiwilliger in das schwedische Heer getreten, bei welchem mehre seiner
Vrüder ständen, dem er selbst seiner engern Heimath, dem schwedischen Vorpom¬
mern, nach angehörte. Er hatte in der Schlacht bei Leipzig mitgefochten, die
große Medaille für Tapferkeit erhalten und war zum Offizier ernannt worden.
Aber die schlecht geheilten Wunden, welche er bei jenem Gemetzel der Lützvwi-
schen Reiter am 16. Juni erhalten, brachen'wieder auf, er mußte das Heer ver¬
lassen, in milderem Klima seine Herstellung suchen. Er ging nach Heidelberg;
dort vollendete er im I. 1816 seine Studien, wurde Doctor der Rechte, nahm
seinen Abschied von dein schwedischen Militär und trat als Jurist in den
preußischen Staatsdienst. Im December 1817 wurde er als substitue des
Staatsproucrators angestellt. In diesem Amt wußte er sich schnell das Ver¬
trauen der Bürger und seiner Vorgesetzten zu erwerben; im Alter von vier und
zwanzig Jahren stand er in ehrenvoller Tätigkeit mit einem immerhin ansehn¬
lichen Gehalt Und umfassender Wirksamkeit, geachtet, geliebt und geehrt.in gro¬
ßem Freundeskreise, mit frohen, ja glänzenden Aussichten in die Zukunft.

Da brach über ihn, wie über den preußischen Staat das Verhängniß herein.
Als 1819 nach der Ermordung Kotzebues die Demagogenuntersuchungen be-


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[0258] sich auf den engen Kreis seiner Privatthätigkeit in Wissenschaft. Genuß oder hinter seine Acten zurück. Am Hofe wurden die Zeugen der großen Zeit in der Mehrzahl unbequem, in der Luft, welche sich allmälig dort erzeugte, erschien der König auch als Leiter und Führer der vergangenen Erhcbungszeit, was er in der Empfindung derer, welche an die Periode vor 180» dachten und die große Zeit thätig durchgemacht hatten, die Wahrheit zu sagen/ nicht gewesen war. Ader es liegt im Wesen der Majestät, sich über den eigenen Antheil an den Begebenheiten zu täuschen. Preußische Generale wurden bald durch ein Lob und euren Orden des russischen Kaisers mehr beglückt, als durch das spar¬ same Lob,ihres eigenen Monarchen, und zuletzt fühlten sich auch die Berliner erfreut und geschmeichelt, wenn die große Gestalt des Czaars — den die russi¬ schen Generale jetzt gern den großen Poltron nennen — aus dem Portal des königlichen Schlosses in das Volksgewühl trat. Es ist hier nicht der Ort aus¬ zuführen, wie in der langen Regierungszeit Friedrich Wilhelm des Dritten und seines unglücklichen Nachfolgers das Verständniß der großen Aufgabe Preußens am Hose, bei der Generalität und der Diplomatie und im Volte geringer wurde, und wie zuletzt die krampfhaften Verwirrungen des Jahres 1848 und die Reac¬ tion der folgenden Jahre als unvermeidliche Folge solcher schwachen Vergangen¬ heit eintraten. Hier soll mit den Worten eines einzelnen tüchtigen Mannes gezeigt werden, wie er selbst sich gegen die herein brechende Schwäche und ihre Gewaltthätigkeit zu vertheidigen suchte. Mühlenfels war nach der Schlacht bei Dennewitz, den Aufforderungen aus der Umgebung des Kronprinzen von Schweden folgend, als Freiwilliger in das schwedische Heer getreten, bei welchem mehre seiner Vrüder ständen, dem er selbst seiner engern Heimath, dem schwedischen Vorpom¬ mern, nach angehörte. Er hatte in der Schlacht bei Leipzig mitgefochten, die große Medaille für Tapferkeit erhalten und war zum Offizier ernannt worden. Aber die schlecht geheilten Wunden, welche er bei jenem Gemetzel der Lützvwi- schen Reiter am 16. Juni erhalten, brachen'wieder auf, er mußte das Heer ver¬ lassen, in milderem Klima seine Herstellung suchen. Er ging nach Heidelberg; dort vollendete er im I. 1816 seine Studien, wurde Doctor der Rechte, nahm seinen Abschied von dein schwedischen Militär und trat als Jurist in den preußischen Staatsdienst. Im December 1817 wurde er als substitue des Staatsproucrators angestellt. In diesem Amt wußte er sich schnell das Ver¬ trauen der Bürger und seiner Vorgesetzten zu erwerben; im Alter von vier und zwanzig Jahren stand er in ehrenvoller Tätigkeit mit einem immerhin ansehn¬ lichen Gehalt Und umfassender Wirksamkeit, geachtet, geliebt und geehrt.in gro¬ ßem Freundeskreise, mit frohen, ja glänzenden Aussichten in die Zukunft. Da brach über ihn, wie über den preußischen Staat das Verhängniß herein. Als 1819 nach der Ermordung Kotzebues die Demagogenuntersuchungen be-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114313/258>, abgerufen am 01.10.2024.