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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band.

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Bildungsmomenten in die Seelen tragen, welche die Schule, die Gemeinde,
der Kreis noch nicht zu geben vermögen.

Wir protestiren auch gegen die Auffassung, daß unser stehendes Heer viel¬
leicht nothwendig sei, dann aber ein nothwendiges Uebel. Solche Behauptung
hat grade so viel Berechtigung als die, welche das Kreisgericht, die Polizei¬
behörde, den Steuerbeamten für nothwendige Uebel erklärt. Es wäre ohne Zwei¬
fel auch ein weit glücklicherer Zustand, wenn es keine Processe mehr gäbe, wenn
die Diebe sich selbst in das Gefängniß setzten, und wenn jeder Staatsbürger
seinen Antheil an directen und indirecten Steuern von sich selbst zu erheben
und in einen großen Staatstopf abzuliefern die Zuvorkommenheit hätte.
Da aber das Heer an jedem Tag des friedlichsten Jahres durch seine Existenz
den Deutschen davor bewahrt, Franzose, Russe oder etwas Anderes zu werden,
da wir, wie einmal der Lauf der Welt ist, mehr unserer Neigung gemäß finden,
auf deutschem Boden Tugend zu üben als in Cayenne oder Sibirien, so wird
man sich diese herkömmliche Einrichtung unseres civilisirten Lebens ebenso gut
gefallen lassen, wie die Gewalten, welche das Recht unsrer Tage, den Frieden
unserer Nächte schützen.




Ludwig vou Mllhlellsels
als Gefangener der Stadtvoigtei in Berlin,
(1819--1820).

In Ur, 52 der Grenzboten von 1861 sind unter der Ueberschrift "ein Lützo-
wischer Reiter" Aufzeichnungen des verstorbenen Geh. Justizraths Ludwig von
Mühlenfels mitgetheilt worden. Damals sah der Leser vielleicht mit freudiger
Theilnahme auf die Gestalt eines begeisterten willenstarken Jünglings, welcher
in patriotischem Zorn auf seine eigene Hand in die Dennewitzer Schlacht hinein¬
ritt, preußische Truppen gegen den Feind trieb, ein Quarrö sprengen, eine
Fahne und ein Geschütz erobern half. Jetzt soll ein anderes Bild aus dem Leben
desselben Mannes vorgeführt werden, worin dieselbe mächtige Willenskraft sich
im Kampfe gegen ungesetzliche Gewaltthat der Staatsregierung bewährt.

Es ist jetzt ein Jahr, daß wir den Verlust des heldenhaften Mannes be¬
klagen, der in seinem Wesen mehre von den Eigenschaften umschloß, welche


Bildungsmomenten in die Seelen tragen, welche die Schule, die Gemeinde,
der Kreis noch nicht zu geben vermögen.

Wir protestiren auch gegen die Auffassung, daß unser stehendes Heer viel¬
leicht nothwendig sei, dann aber ein nothwendiges Uebel. Solche Behauptung
hat grade so viel Berechtigung als die, welche das Kreisgericht, die Polizei¬
behörde, den Steuerbeamten für nothwendige Uebel erklärt. Es wäre ohne Zwei¬
fel auch ein weit glücklicherer Zustand, wenn es keine Processe mehr gäbe, wenn
die Diebe sich selbst in das Gefängniß setzten, und wenn jeder Staatsbürger
seinen Antheil an directen und indirecten Steuern von sich selbst zu erheben
und in einen großen Staatstopf abzuliefern die Zuvorkommenheit hätte.
Da aber das Heer an jedem Tag des friedlichsten Jahres durch seine Existenz
den Deutschen davor bewahrt, Franzose, Russe oder etwas Anderes zu werden,
da wir, wie einmal der Lauf der Welt ist, mehr unserer Neigung gemäß finden,
auf deutschem Boden Tugend zu üben als in Cayenne oder Sibirien, so wird
man sich diese herkömmliche Einrichtung unseres civilisirten Lebens ebenso gut
gefallen lassen, wie die Gewalten, welche das Recht unsrer Tage, den Frieden
unserer Nächte schützen.




Ludwig vou Mllhlellsels
als Gefangener der Stadtvoigtei in Berlin,
(1819—1820).

In Ur, 52 der Grenzboten von 1861 sind unter der Ueberschrift „ein Lützo-
wischer Reiter" Aufzeichnungen des verstorbenen Geh. Justizraths Ludwig von
Mühlenfels mitgetheilt worden. Damals sah der Leser vielleicht mit freudiger
Theilnahme auf die Gestalt eines begeisterten willenstarken Jünglings, welcher
in patriotischem Zorn auf seine eigene Hand in die Dennewitzer Schlacht hinein¬
ritt, preußische Truppen gegen den Feind trieb, ein Quarrö sprengen, eine
Fahne und ein Geschütz erobern half. Jetzt soll ein anderes Bild aus dem Leben
desselben Mannes vorgeführt werden, worin dieselbe mächtige Willenskraft sich
im Kampfe gegen ungesetzliche Gewaltthat der Staatsregierung bewährt.

Es ist jetzt ein Jahr, daß wir den Verlust des heldenhaften Mannes be¬
klagen, der in seinem Wesen mehre von den Eigenschaften umschloß, welche


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[0256] Bildungsmomenten in die Seelen tragen, welche die Schule, die Gemeinde, der Kreis noch nicht zu geben vermögen. Wir protestiren auch gegen die Auffassung, daß unser stehendes Heer viel¬ leicht nothwendig sei, dann aber ein nothwendiges Uebel. Solche Behauptung hat grade so viel Berechtigung als die, welche das Kreisgericht, die Polizei¬ behörde, den Steuerbeamten für nothwendige Uebel erklärt. Es wäre ohne Zwei¬ fel auch ein weit glücklicherer Zustand, wenn es keine Processe mehr gäbe, wenn die Diebe sich selbst in das Gefängniß setzten, und wenn jeder Staatsbürger seinen Antheil an directen und indirecten Steuern von sich selbst zu erheben und in einen großen Staatstopf abzuliefern die Zuvorkommenheit hätte. Da aber das Heer an jedem Tag des friedlichsten Jahres durch seine Existenz den Deutschen davor bewahrt, Franzose, Russe oder etwas Anderes zu werden, da wir, wie einmal der Lauf der Welt ist, mehr unserer Neigung gemäß finden, auf deutschem Boden Tugend zu üben als in Cayenne oder Sibirien, so wird man sich diese herkömmliche Einrichtung unseres civilisirten Lebens ebenso gut gefallen lassen, wie die Gewalten, welche das Recht unsrer Tage, den Frieden unserer Nächte schützen. Ludwig vou Mllhlellsels als Gefangener der Stadtvoigtei in Berlin, (1819—1820). In Ur, 52 der Grenzboten von 1861 sind unter der Ueberschrift „ein Lützo- wischer Reiter" Aufzeichnungen des verstorbenen Geh. Justizraths Ludwig von Mühlenfels mitgetheilt worden. Damals sah der Leser vielleicht mit freudiger Theilnahme auf die Gestalt eines begeisterten willenstarken Jünglings, welcher in patriotischem Zorn auf seine eigene Hand in die Dennewitzer Schlacht hinein¬ ritt, preußische Truppen gegen den Feind trieb, ein Quarrö sprengen, eine Fahne und ein Geschütz erobern half. Jetzt soll ein anderes Bild aus dem Leben desselben Mannes vorgeführt werden, worin dieselbe mächtige Willenskraft sich im Kampfe gegen ungesetzliche Gewaltthat der Staatsregierung bewährt. Es ist jetzt ein Jahr, daß wir den Verlust des heldenhaften Mannes be¬ klagen, der in seinem Wesen mehre von den Eigenschaften umschloß, welche

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114313/256>, abgerufen am 01.10.2024.