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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band.

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erkennt sehr gut, daß seine Heeresvrganisation nur für die Defensive
verwendbar ist, er weiß, daß die nothwendigen Vorbedingungen derselben
grade in seinem Lande zu finden sind, ein freies und starkes Gemeinde-
lebcn. trotziges Selbstregiment, angestammte Freude und Virtuosität im
Gebrauch der Schußwaffen, im Ganzen betrachtet ein großer Wohlstand
und die Gewöhnung und Fähigkeit des Mannes, seinen politischen Ideen
große Opfer zu bringen. Er weiß, daß sein Heer für langgezogenen. Krieg
und mehrjährige Campagne durchaus unbrauchbar ist, und daß er in dem
kleinen Lande auch gar nicht nöthig hat, um solche Kämpfe zu sorgen. Er
rechnet endlich, daß sein Heer nur deshalb die öffentlichen Kassen verhältni߬
mäßig wenig belastet, weil der einzelne Mann selbst einen unverhältnißmäßig
großen Theil der Kosten trägt, und er weiß, daß mit diesem nationalen
Heere es ihm niemals gelingen wird, sein Machtgebiet zu erweitern, sondern
daß er damit gegen die stärkere" Nachbarn seine Heimath mannhaft vertheidigen
wird, um zuletzt der Uebermacht mit Ehren zu unterliegen.

Allerdings einige von den Bedingungen, unter welchen die militärische
Organisation der Schweiz möglich wurde, müssen auch wir für uns gewinnen.
Wir ringen darnach, die cvmmunale Kraft und Selbständigkeit zu vergrößern,
auch dem kleinen Mann von der Umsicht, dem praktischen Sinn, der Freude und
dem Stolz auf die Heimath mitzutheilen, welche am Züricher See und in den
Thälern von Bern heimisch sind. Auch wir arbeiten daran, unsre Jugend durch
Turnspiele gewandt, die Männer durch Uebung im Gebrauch der Schußwaffe
stärker zu machen. Aber es wäre Zeichen eines seichten Geistes, wenn man
das sogenannte stehende Heer in Preußen deshalb für abolirt erklären wollte,
weil von unsern Volksvertretern über neuen bessern Kreis- und Gemeindeord-
nungen gearbeitet wurde und weil die Stadtcvmmunen grade jetzt willfährig sind,
für ihre Knaben Barren und Recke zimmern zu lassen. Es wäre Wahnsinn,
eine Vvltsmiliz einzurichten auf der Grundlage erwünschter Culturzustände, .die
wir erst noch zu schaffen haben. Vorläufig liegt wenigstens in den östlichen
Provinzen Preußens die Sache noch so, daß für die größere Hälfte der Rekru¬
ten, welche zum Militärdienst eingezogen werden, die Jahre des Dienstes zu¬
gleich eine Bildungsschule sind, welche ihre Sauberkeit, Pünktlichkeit, Ordnung
vergrößert, ihren mangelhaften Kenntnissen im Lesen, Schreiben, Rechnen und
der^ Landeskunde ein wenig zu Hülfe kommt und ihnen eine wärmere Em¬
pfindung für den Staat gibt, dem sie angehören. Ohne Zweifel konnte diese
pädagogische und sittliche Einwirkung auf die armen Kinder des Volkes während
der Dienstjahre noch vergrößert werden; daß im Ganzen bei uns die Dienst¬
zeit den Mann nicht herabdrückt, sondern heraushebt, das wird Niemand leug¬
nen, der sich je um die Arbeiter eines Gutes und einer Fabrik näher gekümmert
hat. So muß bei uns jetzt noch das stehende Heer selbst einige von den


erkennt sehr gut, daß seine Heeresvrganisation nur für die Defensive
verwendbar ist, er weiß, daß die nothwendigen Vorbedingungen derselben
grade in seinem Lande zu finden sind, ein freies und starkes Gemeinde-
lebcn. trotziges Selbstregiment, angestammte Freude und Virtuosität im
Gebrauch der Schußwaffen, im Ganzen betrachtet ein großer Wohlstand
und die Gewöhnung und Fähigkeit des Mannes, seinen politischen Ideen
große Opfer zu bringen. Er weiß, daß sein Heer für langgezogenen. Krieg
und mehrjährige Campagne durchaus unbrauchbar ist, und daß er in dem
kleinen Lande auch gar nicht nöthig hat, um solche Kämpfe zu sorgen. Er
rechnet endlich, daß sein Heer nur deshalb die öffentlichen Kassen verhältni߬
mäßig wenig belastet, weil der einzelne Mann selbst einen unverhältnißmäßig
großen Theil der Kosten trägt, und er weiß, daß mit diesem nationalen
Heere es ihm niemals gelingen wird, sein Machtgebiet zu erweitern, sondern
daß er damit gegen die stärkere» Nachbarn seine Heimath mannhaft vertheidigen
wird, um zuletzt der Uebermacht mit Ehren zu unterliegen.

Allerdings einige von den Bedingungen, unter welchen die militärische
Organisation der Schweiz möglich wurde, müssen auch wir für uns gewinnen.
Wir ringen darnach, die cvmmunale Kraft und Selbständigkeit zu vergrößern,
auch dem kleinen Mann von der Umsicht, dem praktischen Sinn, der Freude und
dem Stolz auf die Heimath mitzutheilen, welche am Züricher See und in den
Thälern von Bern heimisch sind. Auch wir arbeiten daran, unsre Jugend durch
Turnspiele gewandt, die Männer durch Uebung im Gebrauch der Schußwaffe
stärker zu machen. Aber es wäre Zeichen eines seichten Geistes, wenn man
das sogenannte stehende Heer in Preußen deshalb für abolirt erklären wollte,
weil von unsern Volksvertretern über neuen bessern Kreis- und Gemeindeord-
nungen gearbeitet wurde und weil die Stadtcvmmunen grade jetzt willfährig sind,
für ihre Knaben Barren und Recke zimmern zu lassen. Es wäre Wahnsinn,
eine Vvltsmiliz einzurichten auf der Grundlage erwünschter Culturzustände, .die
wir erst noch zu schaffen haben. Vorläufig liegt wenigstens in den östlichen
Provinzen Preußens die Sache noch so, daß für die größere Hälfte der Rekru¬
ten, welche zum Militärdienst eingezogen werden, die Jahre des Dienstes zu¬
gleich eine Bildungsschule sind, welche ihre Sauberkeit, Pünktlichkeit, Ordnung
vergrößert, ihren mangelhaften Kenntnissen im Lesen, Schreiben, Rechnen und
der^ Landeskunde ein wenig zu Hülfe kommt und ihnen eine wärmere Em¬
pfindung für den Staat gibt, dem sie angehören. Ohne Zweifel konnte diese
pädagogische und sittliche Einwirkung auf die armen Kinder des Volkes während
der Dienstjahre noch vergrößert werden; daß im Ganzen bei uns die Dienst¬
zeit den Mann nicht herabdrückt, sondern heraushebt, das wird Niemand leug¬
nen, der sich je um die Arbeiter eines Gutes und einer Fabrik näher gekümmert
hat. So muß bei uns jetzt noch das stehende Heer selbst einige von den


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114313/255>, abgerufen am 01.10.2024.