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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band.

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von den Eisenbahnen zu hoffen seien. Die Hauptmsache der Leiden Italiens sei
die Fremdherrschaft, und diese selbst bade ihre vornehmsten Gründe in den
innern Zwistigkeiten und Antipathien innerhalb der italienischen Familie, sowie
in dem gegenseitigen Mißtrauen zwischen den Fürsten und ihren Bevölkerungen.
In beiden Beziehungen werden die Eisenbahnen von den glücklichsten Folgen
sein. Einmal werden durch die Erleichterung der Verbindungen die, einzelnen
Städte und Landschaften sich einander nähern, Vorurtheile werden verschwinden,
das Gefühl der Nationalität geweckt werden. Dann aber werde die Ausführung
der Eisenbahnen namentlich dazu beitragen, einen Zustand wechselseitigen Ver¬
trauens zwischen Regierungen und Völkern, worauf die Hoffnungen der Zukunft
beruhen, herzustellen und dauerhaft zu begründen. In diesem Zusammenbang
nun kam Cavour auf die politischen Ereignisse seit dem Wiener Kongreß zu
reden. Mit gleicher Schärfe sprach er sich gegen die willkürliche Mßacbtung
der nationalen Wünsche in den bestehenden Verhältnissen, wie gegen das Trei¬
ben der Umsturzpartei, der er alle Zukunft in Italien absprach, und gegen
die revolutionären Versuche und Agitationen der Jahre I82N. 1821. 1833 aus.
Jetzt seien glücklicherweise die Folgen dieser Ereignisse im Verschwinden.

Die Dinge haben ihren natürlichen Lauf wieder genommen; bereits kehre
das erschütterte Vertrauen der Fürsten zurück, wie auch die Volker die erfreuli¬
chen Wirkungen diescv heilsamen Veränderung erkennen, und alles beweise, daß
wir einer besseren Zukunft entgegengehen.

"Diese Zukunft" -- fährt er dann fort -- "welche wir mit allen unsern
Wünschen herbeirufen, ist die Eroberung der nationalen Unabhängigkeit, welche
Italien nur erlangen kann durch die vereinigten Anstrengungen aller seiner
Sohne, und ohne welche es weder eine wirkliche und dauerhafte Verbesserung
seiner politischen Lage, noch sicheren Fußes die Bahn des Fortschrittes zu be¬
treten hoffen kann. Was wir hier aussprechen, indem wir unsere schwache
Stimme mit den beredten Worten unsers Freundes Botho vereinigen, ist kein
Traum, das Ergebniß eines unreflcctirten Gefühls, einer überspannten Ein¬
bildungskraft; es ist eine Wahrheit, welche uns eines strengen Beweises fähig
scheint.

Die Geschichte aller Zeiten beweist, daß kein Volk, in welchem nicht das
Gefühl seiner Nationalität stark entwickelt ist, eine hohe Stufe der Intelligenz
und der Sittlichkeit einzunehmen im Stande ist. Diese bemerkenswerthe That¬
sache ist eine nothwendige Folge der Gesetze der menschlichen Natur. In der
That bewegt sich das geistige Leben der Massen in einem sehr engen Jdeenkrnse.
Unter denen, welche ihnen zugänglich, sind nach den religiösen Ideen d>e edel¬
sten und erhabensten sicher die Ideen des Vaterlandes und der Nationalität.
Wenn nun die politischen Zustände des Landes die Kundgebung dieser Ideen
verhindern oder ihnen eine traurige Richtung geben, so werden die Massen in


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von den Eisenbahnen zu hoffen seien. Die Hauptmsache der Leiden Italiens sei
die Fremdherrschaft, und diese selbst bade ihre vornehmsten Gründe in den
innern Zwistigkeiten und Antipathien innerhalb der italienischen Familie, sowie
in dem gegenseitigen Mißtrauen zwischen den Fürsten und ihren Bevölkerungen.
In beiden Beziehungen werden die Eisenbahnen von den glücklichsten Folgen
sein. Einmal werden durch die Erleichterung der Verbindungen die, einzelnen
Städte und Landschaften sich einander nähern, Vorurtheile werden verschwinden,
das Gefühl der Nationalität geweckt werden. Dann aber werde die Ausführung
der Eisenbahnen namentlich dazu beitragen, einen Zustand wechselseitigen Ver¬
trauens zwischen Regierungen und Völkern, worauf die Hoffnungen der Zukunft
beruhen, herzustellen und dauerhaft zu begründen. In diesem Zusammenbang
nun kam Cavour auf die politischen Ereignisse seit dem Wiener Kongreß zu
reden. Mit gleicher Schärfe sprach er sich gegen die willkürliche Mßacbtung
der nationalen Wünsche in den bestehenden Verhältnissen, wie gegen das Trei¬
ben der Umsturzpartei, der er alle Zukunft in Italien absprach, und gegen
die revolutionären Versuche und Agitationen der Jahre I82N. 1821. 1833 aus.
Jetzt seien glücklicherweise die Folgen dieser Ereignisse im Verschwinden.

Die Dinge haben ihren natürlichen Lauf wieder genommen; bereits kehre
das erschütterte Vertrauen der Fürsten zurück, wie auch die Volker die erfreuli¬
chen Wirkungen diescv heilsamen Veränderung erkennen, und alles beweise, daß
wir einer besseren Zukunft entgegengehen.

„Diese Zukunft" — fährt er dann fort — „welche wir mit allen unsern
Wünschen herbeirufen, ist die Eroberung der nationalen Unabhängigkeit, welche
Italien nur erlangen kann durch die vereinigten Anstrengungen aller seiner
Sohne, und ohne welche es weder eine wirkliche und dauerhafte Verbesserung
seiner politischen Lage, noch sicheren Fußes die Bahn des Fortschrittes zu be¬
treten hoffen kann. Was wir hier aussprechen, indem wir unsere schwache
Stimme mit den beredten Worten unsers Freundes Botho vereinigen, ist kein
Traum, das Ergebniß eines unreflcctirten Gefühls, einer überspannten Ein¬
bildungskraft; es ist eine Wahrheit, welche uns eines strengen Beweises fähig
scheint.

Die Geschichte aller Zeiten beweist, daß kein Volk, in welchem nicht das
Gefühl seiner Nationalität stark entwickelt ist, eine hohe Stufe der Intelligenz
und der Sittlichkeit einzunehmen im Stande ist. Diese bemerkenswerthe That¬
sache ist eine nothwendige Folge der Gesetze der menschlichen Natur. In der
That bewegt sich das geistige Leben der Massen in einem sehr engen Jdeenkrnse.
Unter denen, welche ihnen zugänglich, sind nach den religiösen Ideen d>e edel¬
sten und erhabensten sicher die Ideen des Vaterlandes und der Nationalität.
Wenn nun die politischen Zustände des Landes die Kundgebung dieser Ideen
verhindern oder ihnen eine traurige Richtung geben, so werden die Massen in


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114313/241>, abgerufen am 05.02.2025.