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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band.

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Erklärungen und Zusicherungen aus den Jahren 1848 bis 1850 auf das schla¬
gendste wiedcrlegt. Dies beweist aber nicht, daß unsere Behauptung unbe¬
gründet ist, sondern nur, daß jene Worte, gleich den Schwüren der Liebenden,
von Zeus in den Sand geschrieben und seither vom Winde verweht worden
sind. Die Thatsachen bestätigen unsere Behauptung, und diese gelten mehr als
Worte. Allerdings hat der Bundestag selbst erklärt, daß er nie etwas getaugt
habe, und daß eine Revision der Bundesverfassung auf wahrhaft zeitgemäßer
und nationaler Grundlage nothwendig sei. Sämmtliche Regierungen sprachen
ähnliche Ueberzeugungen aus; Oestreich äußerte noch im December 1850 in der
Einladung zu den Dresdener Konferenzen, daß man schnell zu einer gründ¬
lichen Reform des Bundes gelangen müsse, "wolle man nicht die beutscken
Verhältnisse einer völligen Auflösung entgegengehen und den Bund in der
europäischen Staatenfamilie gänzlicher Machtlosigkeit zur traurigen Beute wer¬
den sehen". Aber jene Beschlüsse, Erklärungen und Verheißungen sind längst
verraucht mit der Angst und den Verlegenheiten einer aufgeregten Zeit. Als
man in Dresden allmälig wieder zur Besinnung kam, da erschien als El des
Columbus der alte Bundestag, und man gelangte zu dem Entschlüsse, "durch
allgemeine Beschickung der Bundesversammlung zu Frankfurt a. M. das für
den Augenblick Erreichbare zu thun". Man packte die Dresdener Commissions-
berichte als schätzbares Material zusammen, verhieß zum Schlüsse noch einmal,
daß die Bundesacte revidirt werden solle, und zwar von dem wiedererstehenden
Bundestage in der Eschenheimer Gasse, und wenn auch diese letzte Verheißung
bis jetzt noch nicht in Erfüllung gegangen ist, so wird dadurch der Zukunft
nicht vorgegriffen.

Zwei Dinge sind es nach Allem, was wir erlebt haben, auf die wir nicht
ganz ohne Aussicht warten dürfen: Erstens, daß der Bundestag in seinen reiferen
Jahren sich besser aufführe, als er in feiner Jugend unter der Leitung des Herrn
Fürsten von Metternich gethan bat; dann, daß ihm ein Extract aus den deutschen
Kammern an die Seite gesetzt werde, um ihn zu nützlichen Leistungen, zu Fleiß
und Aufmerksamkeit anzuhalten und um ihn vor Rückfällen in alte Untugen¬
den zu bewahren. Es kann leider nicht geleugnet werden, daß die restaurirte
Versammlung, als sie sich kaum wieder in den alten Räumen wohnlich einge¬
richtet hatte, über Kurhessen, über die deutsche Flotte, über Presse und Vereine
Hersiel, und nicht übel Lust bezeigte, die alten Sünden durch neue zu überbieten.
Aber ein Wesen ändert nicht plötzlich seine Natur. In dem Maße wie die
Landesregierungen sich in liberalen und konstitutionellen Grundsätzen befestigen,
werden sie, dem Beispiele von Preußen und Baden folgend, statt Invaliden
der Reaction, Männer von besserer Gesinnung nach Frankfurt schicken und mit
entsprechenden Jnstructionen versehen. Dann gibt sich das Weitere von selbst.
Eine Vertretung der Kammern aber war jeweils das mindeste, was die hohen


Erklärungen und Zusicherungen aus den Jahren 1848 bis 1850 auf das schla¬
gendste wiedcrlegt. Dies beweist aber nicht, daß unsere Behauptung unbe¬
gründet ist, sondern nur, daß jene Worte, gleich den Schwüren der Liebenden,
von Zeus in den Sand geschrieben und seither vom Winde verweht worden
sind. Die Thatsachen bestätigen unsere Behauptung, und diese gelten mehr als
Worte. Allerdings hat der Bundestag selbst erklärt, daß er nie etwas getaugt
habe, und daß eine Revision der Bundesverfassung auf wahrhaft zeitgemäßer
und nationaler Grundlage nothwendig sei. Sämmtliche Regierungen sprachen
ähnliche Ueberzeugungen aus; Oestreich äußerte noch im December 1850 in der
Einladung zu den Dresdener Konferenzen, daß man schnell zu einer gründ¬
lichen Reform des Bundes gelangen müsse, „wolle man nicht die beutscken
Verhältnisse einer völligen Auflösung entgegengehen und den Bund in der
europäischen Staatenfamilie gänzlicher Machtlosigkeit zur traurigen Beute wer¬
den sehen". Aber jene Beschlüsse, Erklärungen und Verheißungen sind längst
verraucht mit der Angst und den Verlegenheiten einer aufgeregten Zeit. Als
man in Dresden allmälig wieder zur Besinnung kam, da erschien als El des
Columbus der alte Bundestag, und man gelangte zu dem Entschlüsse, „durch
allgemeine Beschickung der Bundesversammlung zu Frankfurt a. M. das für
den Augenblick Erreichbare zu thun". Man packte die Dresdener Commissions-
berichte als schätzbares Material zusammen, verhieß zum Schlüsse noch einmal,
daß die Bundesacte revidirt werden solle, und zwar von dem wiedererstehenden
Bundestage in der Eschenheimer Gasse, und wenn auch diese letzte Verheißung
bis jetzt noch nicht in Erfüllung gegangen ist, so wird dadurch der Zukunft
nicht vorgegriffen.

Zwei Dinge sind es nach Allem, was wir erlebt haben, auf die wir nicht
ganz ohne Aussicht warten dürfen: Erstens, daß der Bundestag in seinen reiferen
Jahren sich besser aufführe, als er in feiner Jugend unter der Leitung des Herrn
Fürsten von Metternich gethan bat; dann, daß ihm ein Extract aus den deutschen
Kammern an die Seite gesetzt werde, um ihn zu nützlichen Leistungen, zu Fleiß
und Aufmerksamkeit anzuhalten und um ihn vor Rückfällen in alte Untugen¬
den zu bewahren. Es kann leider nicht geleugnet werden, daß die restaurirte
Versammlung, als sie sich kaum wieder in den alten Räumen wohnlich einge¬
richtet hatte, über Kurhessen, über die deutsche Flotte, über Presse und Vereine
Hersiel, und nicht übel Lust bezeigte, die alten Sünden durch neue zu überbieten.
Aber ein Wesen ändert nicht plötzlich seine Natur. In dem Maße wie die
Landesregierungen sich in liberalen und konstitutionellen Grundsätzen befestigen,
werden sie, dem Beispiele von Preußen und Baden folgend, statt Invaliden
der Reaction, Männer von besserer Gesinnung nach Frankfurt schicken und mit
entsprechenden Jnstructionen versehen. Dann gibt sich das Weitere von selbst.
Eine Vertretung der Kammern aber war jeweils das mindeste, was die hohen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114313/23>, abgerufen am 26.06.2024.